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anschafften, wenn sie offenbar nicht bereit waren, so eine große Verantwortung zu übernehmen.

      Den ganzen Nachmittag ließ sie Dannys schlimmer Verdacht nicht los. Sie konnte es kaum erwarten, bis Daniel endlich nach Hause kam, um mit ihm darüber zu sprechen.

      Nicola Brandon lag apathisch in ihrem Bett in der Behnisch-Klinik. Sie hatte eine Infusionsnadel im Arm, durch die sie beruhigende und kreislaufstabilisierende Medikamente bekam. Nach dem schlimmen Weinkrampf, den sie gehabt hatte, wirkte ihre Ruhe fast gespenstisch auf Sarah. Sie war außer sich vor Sorge um die Gesundheit ihrer Mutter. Nach all den schlimmen Nachrichten der letzten Zeit hatte sie gedacht, jetzt würde es wieder bergauf gehen, aber es schien imm nur noch schlimmer zu werden.

      Schließlich hielt sie es am Bett ihrer Mutter nicht mehr aus.

      »Ich gehe ein bißchen im Park spazieren«, sagte sie leise, doch Nicola reagierte nicht. Mit glasigen Augen starrte sie in die Leere. Seufzend stand Sarah auf und verließ den Raum. Die Sonne schien an einem wolkendurchzogenen Himmel, trotzdem zog Sarah ihre Strickjacke fröstelnd enger um sich. Lange ging sie spazieren und nahm keine Notiz von den Kranken, die das schöne Wetter zu einem Ausflug nutzten. Dann setzte sie sich auf eine Bank und sah ein paar Vögeln zu, die sich um ein paar Brotkrumen stritten. Unwillkürlich mußte sie lächeln.

      »Manchmal wäre ich auch gerne ein kleiner Spatz, der sorglos in den Tag hineinleben kann«, bemerkte auf einmal eine Stimme neben ihr. Sarah schrak zusammen und sah sich um.

      »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte der junge Mann bedauernd, der neben der Bank stand. Er trug einen weißen Arztkittel, was sie wegen seines jugendlichen Aussehen verwunderte.

      »Ist schon gut. Ich war in Gedanken«, antwortete sie freundlich.

      Er hatte ihren prüfenden Blick bemerkt. »Ich bin Sebastian Streidl und Assistenzarzt hier. Dank meines Aussehens werde ich leider immer mit den Zi­vildienstleistenden verwechselt. Aber ich besitze den Führerschein schon seit sieben Jahren.« Seine Augen blitzten spitzbübisch.

      Trotz ihres Kummers mußte Sarah lächeln.

      »Ich hätte Sie tatsächlich nicht viel älter als zwanzig geschätzt. Aber seien Sie doch froh, daß man Sie für jünger hält, als Sie sind. Wenn das in zwanzig Jahren noch genauso ist, haben Sie sicher nichts dagegen.«

      »Da könnten Sie recht haben. Darf ich fragen, ob Sie Patientin hier sind, oder ist das zu neugierig?« fragte er direkt.

      »Meine Mutter wurde heute eingeliefert. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch«, erklärte Sarah freimütig und war froh, mit einem Menschen darüber sprechen zu können.

      »Das tut mir leid. Wie geht es ihr?«

      »Ich weiß es nicht. Sie liegt in ihrem Bett und starrt nur in die Luft. Deshalb bin ich ein bißchen nach draußen gegangen.«

      »Kommen Sie aus München?«

      »Nein, ich bin Amerikanerin, genau wie meine Mutter. Mein Vater war Deutscher, und München war seine Heimatstadt. Er ist vor zwei Wochen gestorben. Wir sind zur Testamentseröffnung hier.«

      »Das tut mir leid«, sagte Sebastian bedauernd. Aus seinen Augen sprach ehrliches Mitgefühl. »Sind Sie ganz allein hier?«

      »Die einzigen Menschen, die ich hier kenne, sind der Rechtsanwalt und ein Arzt.«

      Sebastian dachte einen Moment nach. »Ich habe um fünf Uhr Schluß. Wenn Sie Lust haben und es der Zustand Ihrer Mutter erlaubt, können wir eine Kleinigkeit miteinander essen, und Sie erzählen mir alles. Sie sehen so aus, als könnten Sie einen guten Zuhörer brauchen.« Aufmunternd lächelte er ihr zu. Er hatte ein fröhliches Jungengesicht, und Sarah fühlte sich eigentümlich getröstet in seiner Gegenwart. Deshalb stimmte sie nach kurzer Überlegung zu.

      »Kommen Sie um sieben in die Hotelhalle des City Hilton. Ich warte dort auf Sie.«

      »In Ordnung. Ich freue mich.« Er gab ihr die Hand und kehrte dann zu seiner Arbeit zurück.

      Sarah blickte ihm nach, wie er zwischen den Bäumen verschwand. Ein kleiner Hoffnungsschimmer tauchte vor ihr auf, und sie bemerkte, wie sie sich auf den Abend freute.

      Inzwischen war Daniel in der Behnisch-Klinik eingetroffen und war gleich zu Nicola gegangen. Diese lag immer noch regungslos da. Sie wandte nicht einmal den Kopf, als er eintrat. Leise setzte sich Daniel an ihr Bett und betrachtete sie eine Weile. Dann fühlte er ihren Puls und maß den Blutdruck. Beide Werte waren zwar noch nicht normal, gaben jedoch keinen Anlaß mehr zu großer Sorge. Daniel war sich sicher, daß es Nicola in ein paar Tagen wieder so gut gehen würde, daß sie die Klinik verlassen konnte. Er ahnte vorerst nicht, daß ihr psychischer Zustand Grund zu großer Sorge geben würde.

      Als Daniel an diesem Abend endlich nach Hause kam, wurde er schon sehnlichst von Fee erwartet. Doch sie mußte sich noch gedulden, denn zuerst hatten die Kinder ein Recht auf die Aufmerksamkeit ihres Papis. Sie lachten und scherzten viel miteinander und Daniel zog zu Dannys großer Freude einen gut erhaltenen Arztkittel und ein ausgedientes Stethoskop aus der Tasche. Die Sachen wurden gleich ausprobiert und da Danny inzwischen beinah so groß wie sein Vater war, machte er eine wirklich gute Figur.

      »Da wächst die Konkurrenz heran«, stellte Daniel stolz fest, als er seinen Sohn betrachtete.

      »Schade, das du mein großer Bruder bist. Sonst würde ich dich bestimmt heiraten«, bemerkte Anneka, und alle lachten.

      »Jetzt ist aber Schluß mit den Lobeshymnen, sonst wird der junge Mann noch eingebildet«, warf Fee ein und stand auf, um Jan und Dési nach oben zu bringen.

      Endlich kehrte Ruhe ein im Haus Norden. Fee und Daniel saßen im Wohnzimmer, und Fee schüttelte ihm ihr Herz aus. Daniel hörte nachdenklich zu.

      »Das ist eine schwierige Sache«, sagte er schließlich, als Fee geendet hatte. »Stell dir vor, die Eltern werden der Kindesmißhandlung beschuldigt und es stellt sich heraus, daß es nicht stimmt. Wie stehen diese Leute dann da?«

      »Andererseits kann es wirklich sein, daß der kleine Dominik geschlagen wird, und keiner unternimmt etwas. Das ist ja das große Problem in unserer Gesellschaft, daß niemand mehr Verantwortung für den anderen übernehmen will.«

      »Ich verstehe deine Sorgen, mein Schatz. Ich muß eine Nacht darüber schlafen, vielleicht fällt mir eine Lösung ein.«

      *

      Jenny Behnisch hatte einen recht ruhigen Kliniktag hinter sich. Es hatte keine Notfälle gegeben, und die angesetzten Operationen waren ausnahmslos gut verlaufen. Bevor sie jedoch nach Hause ging, warf sie noch einen Blick in das Zimmer von Nicola Brandon. Es war halb sechs Uhr abends, und die Schwester sammelte gerade die Tabletts wieder ein, auf denen das Abendessen serviert worden war. Nicola hatte nichts davon angerührt.

      »Sie müssen etwas essen, um wieder zu Kräften zu kommen, Frau Brandon«, sagte Jenny, als sie das Tablett unberührt dort stehen sah.

      »Das habe ich ihr auch gesagt, aber sie wollte nichts. Ich kann sie doch nicht zwingen.« Im Laufe des Nachmittags war etwas Leben in sie zurückgekehrt und sie hatte ein paar, wenn auch belanglose Sätze mit ihrer Tochter gesprochen.

      »Ich habe keinen Hunger, Frau Doktor«, sagte Nicola mit matter Stimme.

      »Heute kann ich das verstehen. Sie haben viel Schlimmes erlebt in letzter Zeit. Aber morgen müssen Sie mir versprechen zu essen.«

      »Ich habe so viele Probleme. Wie könnte Essen da eine Rolle spielen?« Nicola war verzweifelt.

      »Sie werden sehen, wenn Sie wieder zu Kräften gekommen sind, ist alles halb so schlimm. Und Sie haben ja Ihre Tochter. Sie wird Ihnen sicher helfen, nicht wahr?« Jenny wandte sich an Sarah.

      »Natürlich werde ich das, Mum. Das weißt du doch, oder?« Tränen stiegen ihr in die Augen.

      »Ach, mein Kind. Ich habe mir deine Zukunft ganz anders vorgestellt.«

      »Das macht doch nichts. Wir werden gemeinsam einen Weg finden, da bin ich mir sicher.«

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