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dies auch, aber erst, als es bereits zu spät war. Alle Umsicht, alle Erfahrung, die mir bei anderen Frauen von Nutzen gewesen und mich gegen Versuchungen verwahrt hatten, schlugen mir bei ihr fehl. Meine Beschäftigung hatte es seit Jahren mit sich gebracht, daß ich in nahe Berührung mit jungen Mädchen jeden Alters und jeder Gattung von Schönheit kam. Ich hatte die Stellung als einen Theil meines Berufes angenommen; ich hatte mich gewöhnt, alle die meinen Jahren entsprechenden Sympathien draußen im Vorsaale zu lassen, wie ich meinen Regenschirm dort zurückließ, ehe ich die Treppe hinauf ging. Ich hatte längst ganz gefaßt und wie etwas, das sich von selbst versteht, begriffen, daß meine Stellung im Leben eine Garantie dagegen sei, daß meine Schülerinnen jemals mehr als das allergewöhnlichste Interesse an mir nahmen und daß die jungen, bezaubernden Mädchen mich ungefähr wie ein unschädliches Hausthier empfingen. Diese schützende Erfahrung hatte ich schon früher gemacht, sie hatte mich streng und gerade auf meinem armen, schmalen Pfade dahingeführt, ohne mich auch nur ein einziges Mal zur Linken oder zur Rechten hinabschweifen zu lassen. Und jetzt hatte mein getreuer Talisman mich zum ersten Male verlassen! Ja, meine schwererworbene Selbstbeherrschung war so vollständig dahin, als ob ich sie nie besessen hätte; für mich verloren, wie andere Männer sie verlieren in kritischen Lagen, wo Frauen mit im Spiele sind. Ich weiß jetzt wohl, daß ich mich gleich von Anfang an hätte prüfen, mich hätte fragen sollen, warum jedes Zimmer in jenem Hause mir theurer war als meine Heimat, sobald sie eintrat, und warum es mir öde wurde, wie eine Wüste, sobald sie es verließ – warum ich bei ihr auch die kleinste Veränderung in der Kleidung wahrnahm, während ich hierauf noch bei keinem anderen Weibe geachtet hatte – warum ich sie ansah, anhörte und berührte (wenn wir einander zum Morgen- oder Abendgruße die Hand gaben), wie noch nie zuvor ein anderes Weib? Ich hätte fleißig in mein Herz schauen, dies neue Gefühl dort aufblühen sehen und es herausreißen sollen, da es noch in der Knospe war. Warum war mir dieses leichteste Werk der Selbstcultur immer zu schwer? Die Erklärung dieser Fragen liegt in den drei Worten meines Bekenntnisses. Ich liebte sie.

      Die Tage vergingen, die Wochen vergingen; der dritte Monat meines Aufenthaltes in Cumberland nahte heran. Die köstliche Einförmigkeit des Gebens in unserer stillen Zurückgezogenheit floß mir dahin leicht wie dem Schwimmer, der stromabwärts gleitet. Jede Erinnerung an die Vergangenheit, jeder Gedanke an die Zukunft, jedes Gefühl von der Hoffnungslosigkeit meiner Stellung schlummerte in betrügerischer Ruhe in meinem Herzen. Von dem Sirenengesange meines eigenen Herzens eingelullt, trieb ich mit Augen und Ohren, die jeder Gefahr verschlossen waren, dem vernichtenden Felsen näher und näher. Die Warnung, welche mich endlich aufschreckte und plötzlich zu dem selbstanklagenden Bewußtsein meiner Schwachheit erweckte, war die deutlichste, wahrste, liebreichste aller Warnungen, denn sie kam stillschweigend von ihr selbst.

      Wir waren eines Abends wie gewöhnlich auseinander gegangen. Es war meinen Lippen weder an jenem Abende, noch je zuvor ein Wort entfallen, das mich hätte verrathen und sie erschrecken können. Als wir am folgenden Morgen einander begegneten, war eine Veränderung über sie gekommen – eine Veränderung, die mir Alles sagte.

      Ich bebte damals – und noch jetzt – davor zurück, mich in das innerste Heiligthum ihres Herzens zu drängen und es vor den Blicken Anderer zu entblößen, wie ich das meinige vor ihnen entblößt habe. Genüge es zu sagen, daß der Augenblick, wo sie mein Geheimniß entdeckte – wie ich fest überzeugt bin, derselbe war, in welchem sie ihr eigenes entdeckte, und zwar als sie in dem kurzen Zeitraume einer einzigen Nacht sich gegen mich veränderte. Ihre Natur, zu aufrichtig, um Andere zu betrügen, war zu edel, um sich selbst zu täuschen. Als der Zweifel, den ich in Schlaf gelullt hatte, sich mit seiner schweren Last zuerst auf ihr Herz legte, bekannten die offenen Züge Alles und sagten in der ihnen eigenen einfachen Sprache: es betrübt mich um seinet- und um meinetwillen …

      Sie sagten dies und noch mehr, das ich aber damals mir nicht deuten konnte. Ich verstand nur zu wohl, warum ihr Benehmen gegen mich vor Anderen gütiger und zuvorkommender wurde und warum sie traurig und gezwungen mit nervöser Aengstlichkeit sich in die erste beste Beschäftigung vertiefte, wenn wir zufällig einmal allein gelassen wurden. Ich begriff, warum die lieben, gefühlvollen Lippen jetzt so selten und so zurückhaltend lächelten und warum die klaren blauen Augen mich zuweilen mit dem Mitleiden eines Engels und zuweilen mit der unschuldigen Verwirrung eines Kindes anblickten. Aber die Veränderung bedeutete noch mehr als dies. Es war eine Kälte in ihrer Hand, eine unnatürliche Ruhe in ihren Zügen, und in allen ihren Bewegungen der stumme Ausdruck von Angst und Selbstvorwurf. Aber dies waren nicht die Gefühle, deren Spur ich bei ihr und bei mir wahrgenommen, nicht die, welche wir, ohne sie zu bekennen, in Gemeinschaft empfanden. In der Veränderung ihres Wesens lagen gewisse Elemente, welche uns ganz heimlich noch immer zueinander hinzogen und wieder andere, die uns ebenso heimlich voneinander zu entfernen begannen.

      In meinem Zweifel und meiner Unruhe, in meinem unklaren Verdachte, daß man mir etwas verberge, das ich ohne Hilfe, durch eigene Anstrengung entdecken sollte, suchte ich in Miß Halcombe’s Blicken und Verhalten Aufklärung. In so vertraulichem Umgange, wie dem unsrigen, konnte keine ernstliche Veränderung in dem Einen oder Anderen stattfinden, ohne daß die Anderen gewissermaßen davon mit berührt wurden. Die Veränderung in Miß Fairlie spiegelte sich in ihrer Halbschwester ab. Obgleich letztere mit keiner Silbe auf irgendwie veränderte Gefühle in Bezug auf mich hindeutete, so hatten doch ihre scharfen Blicke die ganz neue Gewohnheit angenommen, mich stets zu beobachten. Zuweilen war der Ausdruck derselben wie verhaltener Zorn; zuweilen wie verhaltene Angst; zuweilen wie keins von Beiden – kurz wie etwas, das ich nicht recht begreifen konnte. Es verging eine Woche, während welcher wir alle drei in diesem heimlichen Zustande des Zwanges gegen einander lebten. Meine Lage, welche jetzt durch das zu spät erwachte Bewußtsein meiner Schwachheit und Selbstvergessenheit noch verschlimmert worden, wurde jetzt förmlich unerträglich. Ich fühlte, daß ich ein für allemal die Beklemmung abwerfen müsse, die mich drückte; doch was das Beste für mich zu thun sei und was ich zuerst thun müsse, war mir unmöglich, zu bestimmen.

      Aus dieser hilflosen, demüthigenden Lage erlöste mich Miß Halcombe. Ihre Lippen sagten mir die bittere, die nothwendige, die unerwartete Wahrheit. Ihre herzliche Güte hielt mich unter dem Schlage, den sie mir verursachte, aufrecht; ihr klares Urtheil und ihr Muth machten den rechten Gebrauch von einem Ereignisse, das mich und noch andere in Limmeridge House mit dem Schlimmsten, das uns widerfahren konnte, bedrohte.

      IX

      Es war an einem Donnerstage in der Woche zu Ende des dritten Monats meines Aufenthaltes in Limmeridge House.

      Als ich am Morgen zur gewöhnlichen Stunde in’s Frühstückzimmer trat, war Miß Halcombe zum ersten Male, seit ich sie kannte, nicht an ihrem Platze am Tische.

      Miß Fairlie war draußen auf dem Rasenplatze. Sie grüßte mich, kam aber nicht herein. Weder ihre Lippen noch die meinigen hatten ein einziges Wort fallen lassen, das uns hätte verlegen machen können – und doch ließ uns ein unausgesprochenes Gefühl der Verlegenheit gegenseitig die Gelegenheit vermeiden, miteinander allein zu sein. Sie wartete auf dem Rasenplatze und ich in der Frühstücksstube, bis Mrs. Vesey und Miß Halcombe eintraten. Wie schnell wäre ich noch vor vierzehn Tagen zu ihr hinaus gegangen! Wie herzlich würden wir damals uns die Hände gegeben haben und in unsere gewöhnliche Unterhaltung gefallen sein!

      Nach wenigen Minuten kam Miß Halcombe herein. Sie sah nachdenklich aus und machte zerstreute Entschuldigungen, daß sie so spät komme.

      »Ich wurde durch eine Berathung über häusliche Angelegenheiten, wegen welcher Mr. Fairlie mich zu sprechen wünschte, aufgehalten,« sagte sie. Miß Fairlie kam aus dem Garten herein, und wir boten einander den üblichen Morgengruß. Ihre Hand lag kälter denn je in der meinigen. Sie sah mich nicht an und war sehr bleich. Sogar Mrs. Vesey bemerkte dies, als sie einen Augenblick später in’s Zimmer trat.

      »Es wird wohl vom veränderten Winde kommen,« sagte die alte Dame. »Der Winter naht – ach ja, mein liebes Kind, bald wird er da sein!«

      In ihrem Herzen und dem meinigen war er schon eingekehrt.

      Unser Frühmahl – das sonst so voll fröhlicher Pläne für den Tag gewesen – ward kurz und still beendet. Miß Fairlie schien das Drückende der langen Pausen in der Unterhaltung zu fühlen und sah bittend ihre Schwester an, daß sie dieselben

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