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und sahen essigsauer dabei aus, wie es nach meiner Beobachtung meistens den Leuten zu begegnen pflegt, wenn sie sich zu ungewohnten Tageszeiten frommen Uebungen hingeben. Ich selbst konnte mich nicht einmal dazu entschließen, meinen Robinson Crusoe aufzuschlagen. Ich ging in den Hof und setzte, da mich sehnlichst nach ein wenig heiterer Gesellschaft verlangte; meinen Stuhl an das Hundehaus und unterhielt mich mit den Hunden. Eine halbe Stunde vor Tischzeit kamen die beiden Herren von Frizinghall zurück, wo sie mit dem Oberbeamten Seegreaf verabredet hatten, daß er am nächsten Tage wieder zu uns kommen sollte. Sie hatten Herrn Murthwaite, dem indischen Reisenden, in seiner Wohnung in der Nähe der Stadt einen Besuch gemacht. Auf Herrn Franklin’s Ersuchen hatte er sich bereit finden lassen, ihnen mit seiner Kenntniß des Indischen behilflich zu sein, indem er als Dolmetscher bei den beiden Indiern, die kein Englisch verstanden, fungirte. Die sehr gründliche und langdauernde Untersuchung hatte zu nichts geführt, indem sie auch nicht den Schatten eines Anhaltspunktes für die Annahme ergab, daß die Jongleurs im Einverständniß mit unseren Domestiken ständen. Nach diesem negativen Resultat hatte Herr Franklin sein Telegramm nach London abgesandt, von wo wir erst morgen weitere Nachrichten erwarten konnten.

      So viel über die Geschichte des Tages, welcher dem Geburtstage folgte.

      Zwölftes Capitel

      Die Nacht vom Donnerstag auf Freitag ging vorüber, ohne daß sich irgend etwas Bemerkenswerthes ereignete. Der Freitag Morgen aber brachte zwei neue Momente: Erstens versicherte der Bäckerjunge, er sei Rosanna Spearman Tags zuvor am Nachmittage begegnet, wie sie, dicht verschleiert, auf dem Fußwege über das Moor nach Frizinghall zu gegangen sei. So auffallend es war, daß Jemand sich über die Person Rosanna’s, die durch ihre verwachsene Schulter nur zu kenntlich war, getäuscht haben sollte, so mußte sich unser Bäckerjunge doch geirrt haben, denn Rosanna war ja, wie der Leser weiß, den ganzen Donnerstag Nachmittag auf ihrem Zimmer gewesen.

      Das zweite Novum brachte der Postbote. Als unser würdiger Herr Candy am Abend des Geburtstags beim Wegfahren gegen mich äußerte, daß die Haut eines Arztes wasserdicht sein müsse. war dies wieder eine der Unglücklichen Bemerkungen gewesen, deren er an jedem Tage schon so viele gemacht hatte. Trotz seiner wasserdichten Haut war die Nässe doch nicht ohne üble Folgen für ihn geblieben. Er hatte sich erkältet und lag jetzt im Fieber. Die letzten Nachrichten, die der Postbote brachte, meldeten, daß er im Fieber phantasire und eben so geläufig im Delirium rede wie sonst in gesunden Tagen. Der kleine Doctor that uns Allen sehr leid, Herr Franklin aber schien seine Krankheit ganz besonders Fräulein Rachel’s wegen zu bedauern. Nach dem, was ich ihn zu Mylady beim Frühstück sagen gehört hatte, schien er zu fürchten, daß, wenn die Ungewißheit über den Mondstein noch länger dauere, Fräulein Rachel sehr bald und dringend ärztlichen Rathes bedürfen werde.

      Das Frühstück war noch nicht lange vorüber, als ein Telegramm von Herrn Blake sen. in Antwort auf das seines Sohnes erfolgte. Es benachrichtigte uns, daß er durch Vermittlung des ihm befreundeten Polizeichefs den rechten Mann für uns gefunden habe. Er hieß Polizeisergeant Cuff und wir durften ihn mit dem Morgenzuge erwarten.

      Als Herr Franklin den Namen dieses Polizeisergeanten las, fuhr er aus. Er hatte, glaube ich, während seines Aufenthalts in London von dem Advokaten seines Vaters einige sonderbare Anecdoten über den Cuff gehört. »Ich fange an zu hoffen« sagte er, »daß wir uns dem Ende unserer ängstlichen Unsicherheit nähern. Wenn nur die Hälfte der Geschichten wahr ist, die ich über die Geschicklichkeit Cuff’s in der Enthüllung von Geheimnissen gehört habe, so hat er seines Gleichen in England nicht.« Wir wurden Alle aufgeregt und ungeduldig, als die Zeit herankam, wo wir diesen durch seine Gewandtheit berühmten Mann erwarten konnten. Der Oberbeamte Seegreaf der sich zur festgesetzten Zeit einstellte, schloß sich, sobald er von der bevorstehenden Ankunft des Polizeisergeanten hörte, mit Papier, Feder und Tinte in ein Zimmer ein, um sich Notizen für den Bericht zu machen, den er unzweifelhaft zu erstatten haben würde.

      Ich wäre gern an die Station gegangen, um Cuff abzuholen, aber an Mylady’s Wagen und Pferde war selbst für den berühmten Cuff nicht zu denken; und der Ponywagen war bereits für eine spätere Stunde von Herrn Godfrey bestellt. Dieser Letztere bedauerte es auf’s Lebhafteste, daß er genöthigt sei, seine Tante in einem so peinlichen Augenblick zu verlassen, und war freundlich genug, die Stunde seiner Abreise bis zu dem letzten Zuge zu verschieben, damit er noch zuvor hören könne, was der gewandte Londoner Polizeibeamte über den Fall denke. Aber am Freitag Abend müsse er nothwendig wieder in London sein, da er am Sonnabend Morgen der Sitzung eines mildthätigen Damen – Comités, das seines Rathes bedürfe, beizuwohnen habe.

      Als die Zeit der Ankunft des Sergeanten herankam, ging ich an die Pforte des Parks, um nach ihm auszusehen. Gerade als ich bei dem Pförtnerhause anlangte, kam ein Wagen von der Eisenbahn angefahren, und heraus stieg ein graues, ältliches Männchen von so hagerem Körper, daß er aussah, als ob er Alles in Allem nicht ein Loth Fleisch auf den Knochen habe. Er war ganz schwarz gekleidet und trug eine weiße Cravatte. Sein Gesicht war so scharf wie ein Rasirmesser und seine Haut so welk, so trocken und so gelb wie Herbstlaub. Seine hellen, stahlgrauen Augen hatten etwas, was Einen aus der Fassung bringen konnte, als ob er mehr aus Einem herausbringen wolle, als dessen man sich selbst bewußt war. Sein Schritt war leise, seine Stimme hatte etwas Melancholisches, seine langen, hageren Finger waren wie Klauen gekrümmt, man hätte ihn für einen Pfarrer oder einen Leichenbestatter oder sonst irgend etwas nehmen können, nur nicht für das, was er war. Einen schärferen Gegensatz zu dem Oberbeamten Seegreaf als den Sergeanten Cuff und eine weniger angenehme und Vertrauen erweckende Persönlichkeit für eine Familie, die sich in einer peinlichen Lage, wie die unsrige, befand, hätte man sich in aller Welt nicht denken können.

      »Ist dies Lady Verinder’s Landsitz?« fragte er.

      »Ja, mein Herr.«

      »Ich bin der Polizei-Sergeant Cuff.«

      »Wollen Sie gefälligst mit mir kommen?«

      Auf unserem Wege nach dem Hause machte ich ihn mit meinem Namen und meiner Stellung bekannt, um ihn zu überzeugen, daß er mit mir über die Angelegenheit, wegen derer Mylady ihn hatte kommen lassen, reden könne. Aber vergebens – er sprach kein Wort darüber. Er bewunderte den Park und bemerkte, daß er die Seeluft sehr erfrischend finde. Ich wunderte mich im Stillen, wie der berühmte Cuff zu seinem Rufe gekommen sei. Wir erreichten das Haus in der Stimmung zweier Hunde, die zum ersten Mal in ihrem Leben an ein und dieselbe Kette gelegt worden sind. Da wir hörten, daß Mylady sich in einem der Treibhäuser befinde, gingen wir nach dem hinter dem Hause liegenden Garten und schickten einen Diener ab, sie von unserer Ankunft zu benachrichtigen. Als wir so warteten, blickte Polizei-Sergeant Cuff durch den Bogen von immergrünem Laube zur Linken aus den Rosengarten und ging, zum ersten Male mit dem Anschein eines Interesses für irgend Etwas, ohne Weiteres hinein. Zum Erstaunen des Gärtners und zu meinem Verdruß erwies sich der berühmte Cuff als eine wahre Fundgrube des Wissens über einen so nichtigen Gegenstand wie die Rosenzucht.

      »Ah, Sie haben hier die richtige Lage nach Süden und Südwesten,« sagte der Sergeant, indem er mit seinem grauen Kopf nickte und in dem Ton seiner melancholischen Stimme etwas von selbstgefälligem Behagen äußerte; »dies ist die wahre Form eines Rosengartens – ein Kreis innerhalb eines Vierecks – ja, ja, mit Wegen zwischen allen Beeten – aber die Wege müßten nicht mit Kies bestreut sein – Graswege, Herr Gärtner, Graswege müßten Sie zwischen Ihren Beeten haben. Da haben Sie ein allerliebstes Beet von weißen und blaßrothen Rosen, die nehmen sich immer sehr gut zusammen aus, nicht wahr? Hier ist ja die weiße Monatsrose, Herr Betteredge, unsere alte, englische Rose, die es noch mit den schönsten und neuesten Sorten aufnimmt. Du liebes Ding!« sagte der Sergeant, indem er die Monatsrose mit seinen mageren Fingern liebkoste und mit ihr sprach, wie mit einem Kinde. Das war mir der rechte Mann, Fräulein Rachels Diamanten und den Dieb, der ihn gestohlen, zu entdecken.

      »Sie scheinen ein Liebhaber von Rosen zu sein, Herr Sergeant,« bemerkte ich.

      »Ich habe nicht viel Zeit zu Liebhabereien,« erwiderte Herr Cuff, »aber wenn ich einen freien Augenblick habe, Herr Betteredge, so widme ich ihn meistens den Rosen. Ich habe mein Leben in dem Kunstgarten meines Vaters unter Rosen begonnen und ich will wo möglich mein Leben unter ihnen beendigen. Ja, das will ich! Binnen Kurzem werde ich es mit Gottes Hilfe aufgeben, Diebe einzufangen und

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