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ich noch fünf Minuten darin gelesen hatte, stieß ich auf folgende merkwürdige Stelle Seite 161:

      »Die Furcht vor Gefahren ist zehntausendmal so beängstigend als die Gefahr selbst, wenn sie uns vor die Augen tritt, und die Last der Angst ist viel drückender als das Uebel selbst, vor dem wir uns fürchten.«

      Um an einen solchen Ausspruch Robinson Crusoe’s nicht zu glauben, müßte Einer im Kopfe nicht recht richtig oder von Selbstüberhebung völlig verblendet sein.

      Ich war schon lange bei meiner zweiten Pfeife und saß noch immer in Bewunderung dieses merkwürdigen Buches verloren da, als Penelope, die den Thee herumgereicht hatte, zu mir kam, um mir über den Zustand der Dinge im Salon Bericht zu erstatten. Bei ihrem Fortgehen hatten eben die Dragoner angefangen, ein Duett zu singen, dessen Text mit einem großen »Oh!« anfing. Mylady hatte sich zum ersten Male, so lange Penelope denken konnte, verschiedene Versehen beim Whistspiel zu Schulden kommen lassen. Der große Reisende war in einer Ecke eingeschlafen.« Herr Franklin hatte seinen Witz auf Kosten der Damenwohlthätigkeit an Herrn Godfrey ausgelassen, und Herr Godfrey hatte die Hiebe schärfer parirt, als einem Manne von so wohlwollendem Wesen anstand. Fräulein Rachel war damit beschäftigt gewesen, anscheinend Mrs. Threadgall zu beschwichtigen, indem sie ihre Photographieen zeigte, in der That aber Herrn Franklin verstohlene Blicke zuzuwerfen, welche einem intelligenten Kammermädchen nicht einen Augenblick entgehen konnten. Den Doctor Herrn Candy hatte sie vermißt: er war aus geheimnißvolle Weise aus dem Salon verschwunden, war dann plötzlich wieder ebenso geheimnißvoll zurückgekommen und hatte sich in eine Unterhaltung mit Herrn Godfrey eingelassen. Im Ganzen ging es besser, als man nach dem Verlauf des Mittagessens hätte hoffen können. Wenn die Sache sich nur noch eine Stunde halten ließ, so führte die alte Mutter Zeit die Wagen der Gäste und erlöste uns von ihnen Allen.

      Alles in dieser Welt geht vorüber und selbst die tröstende Wirkung Robinson Crusoes ging vorüber, als Penelope mich wieder verließ. Ich wurde wieder unruhig und beschloß, noch einmal durch den Garten zu gehen, bevor der drohende Regen zu fallen anfing. Statt des Dieners, der doch nur eine menschliche Nase hatte und mir daher bei möglichen Ereignissen nutzlos gewesen wäre, nahm ich den Bluthund mit mir, auf dessen sichere Spürnase man sich verlassen konnte. Wir gingen durch den ganzen Garten bis aus die Landstraße und kamen ebenso klug, wie wir gegangen waren, wieder zurück, denn es war uns kein herumstreifendes menschliches Wesen begegnet Ich kettete also den Hund wieder an, nahm meinen Weg wieder längs der Gebüsche und begegnete Zweien unserer Herren, die eben den Salon verlassen hatten. Es waren Herr Candy und Herr Godfrey noch immer wie vorher nach Penelopes Bericht in lebhafter Unterhaltung begriffen und über ihre eigenen Witze lachend. Es kam mir sonderbar vor, daß diese beiden Männer sich befreundet haben sollten, ich ging aber natürlich, anscheinend ohne mich irgend um sie zu kümmern, an ihnen vorüber.

      Die Ankunft der Wagen schien das Signal für den Ausbruch des Regens zu sein. Es goß, als ob es die ganze Nacht nicht wieder aufhören wolle.

      Mit Ausnahme des Doktors, für den ein offener Einspänner bereit stand, fuhr die übrige Gesellschaft wohlverwahrt in geschlossenen Wagen nach Hause. Ich drückte Herrn Candy meine Besorgniß aus, er werde vom Regen durchnäßt werden, worauf er, mir erwiderte, es wundere ihn, daß ich so alt geworden sei, ohne zu wissen, daß die Haut eines Arztes wasserdicht sein müsse. So fuhr er über seinen kleinen Selbstwitz lachend im Regen fort und so wurden wir unsere Mittagsgesellschaft los.

      Was ich nun zunächst zu berichten habe, ist der Verlauf der Nacht.

      Elftes Capitel

      Als die letzten Gäste weggefahren waren, ging ich wieder in die Halle, wo Samuel an dem Seitentisch mit Cognac und Sodawasser stand. Mylady und Fräulein Rachel traten eben, von beiden Herren gefolgt, aus dem Salon. Herr Godfrey nahm etwas von jenen Getränken, Herr Franklin aber nahm nichts zu sich. Er sah sehr abgespannt aus und setzte sich nieder: die Unterhaltung an diesem Geburtstag war ihm, wie mir schien, zu viel geworden.

      Mylady warf, indem sie den Herren gute Nacht sagte, noch einen scharfen Blick aus das Vermächtniß des bösen Obersten, das an der Brust ihrer Tochter glänzte. »Rachel,« fragte sie, »wo willst Du Deinen Diamanten heute Nacht hinlegen?«

      Das Fräulein war in sehr ausgelassener Stimmung, so recht aufgelegt, dummes Zeug zu reden, wie es junge Mädchen am Ende eines aufregenden Tages wohl zu sein pflegen. Zuerst erklärte sie, sie wisse nicht, wohin sie den Diamanten legen solle. Dann sagte sie, natürlich auf ihren Toilette-Tisch mit ihren anderen Sachen. Dann erinnerte sie sich wieder, daß der Diamant sie mit seinem mondlichtartigen Scheine incommodiren und während des Dunkels der Nacht erschrecken konnte. Dann wieder fiel ihr ein indisches Schränkchen ein, das in ihrem Wohnzimmer stand, und sie beschloß sofort, den indischen Diamanten in das indische Schränkchen zu legen, damit die zwei schönen Producte desselben Landes sich einander Gesellschaft leisten könnten. Nachdem sie ihrem Gelüste, dummes Zeug zu schwatzen, soweit freien Lauf gelassen hatte, trat ihre Mutter dazwischen und machte der Sache ein Ende.

      »Liebes Kind, Dein indisches Schränkchen hat ja gar kein Schloß,« sagte die Mutter.

      »Guter Gott!« rief Fräulein Rachel »Sind wir hier in einem Hotel? Oder sind hier Diebe im Hause?«

      Ohne von diesen Worten Notiz zu nehmen, wünschte Mylady den Herren gute Nacht, wandte sich dann zu Fräulein Rachel, küßte sie und fragte: »Soll ich nicht lieber den Diamanten diese Nacht zu mir nehmen?«

      Fräulein Rachel war über diesen Vorschlag so entrüstet, wie sie vor zehn Jahren über die Zumuthung gewesen sein würde, sich von ihrer Lieblingspuppe zu trennen. Mylady sah, daß diesen Abend nicht vernünftig mit ihr zu reden sei.

      »Rachel, komme morgen früh, so bald Du aufgestanden bist, zu mir in mein Zimmer! Ich habe Dir etwas zu sagen.«

      Mit diesen Worten verließ sie uns langsam, ihren eigenen Gedanken nachhängend, die allem Anschein nach nicht sehr beruhigender Natur waren.

      Nach ihr sagte auch Fräulein Rachel den Herren gute Nacht.

      Sie gab zuerst Herrn Godfrey, der am anderen Ende der Halle stand und sich ein Bild ansah, die Hand, und wandte sich dann zu Herrn Franklin, der noch immer ermüdet und schweigsam in seiner Ecke saß.

      Was sie mit einander redeten kann ich nicht sagen. Da ich aber ganz in der Nähe des alten großen Spiegels mit seinem Rahmen von schwerem Eichenholz stand, sah ich in demselben, wie sie das Medaillon, das ihr Herr Franklin geschenkt hatte, verstohlen aus ihrem Busen zog und es ihm, bevor sie die Halle verließ, mit einem sehr ausdrucksvollen Lächeln zeigte.

      Dieser Vorfall machte mich in dem Vertrauen auf mein eigenes Urtheil etwas wankend. Ich fing an zu glauben, daß Penelope am Ende doch in Betreff der Neigung ihrer Herrin Recht haben könnte. Sobald Herr Franklin wieder für etwas Anderes in der Welt Augen hatte, wurde er meiner ansichtig. Sein wankelmüthiges Temperament, das ihn seine Ansichten über alle Dinge fortwährend wechseln ließ, hatte ihn auch in Betreff der Indier schon wieder zu einer neuen Ansicht gelangen lassen.

      »Betteredge,« sagte er, »ich glaube fast, daß ich es mit dem, was Herr Murthwaite bei unserer Unterhaltung unter den Büschen gesagt hat, zu ernst genommen habe; ich bin versucht zu glauben, daß er sich mit einer Jagdgeschichte über uns lustig gemacht hat. Wollen Sie wirklich die Hunde loslassen?«

      »Ich will ihnen ihr Halsband abnehmen, Herr Franklin,« antwortete ich, »und es ihnen möglich machen, sich während der Nacht frei zu bewegen, wenn sie in ihrer Nase eine Aufforderung dazu finden sollten.«

      »Gut,« sagte Herr,Franklin, »wir wollen morgen weiter sehen. Betteredge; ich habe durchaus keine Lust, meine Tante ohne sehr dringende Gründe zu beunruhigen. Schlafen Sie wohl!«

      Er sah so erschöpft und blaß aus, als er mir gute Nacht sagte und sein Licht ergriff, um in sein Zimmer zu gehen, daß ich ihm rieth, ein wenig Cognac und Wasser als Schlaftrunk zu nehmen.

      Herr Godfrey, der vom andern Ende der Halle her auf uns zutrat, unterstützte diesen Vorschlag und drang in der freundschaftlichsten Weise in Herrn Franklin, vor dem Schlafengehen noch Etwas zu sich zu nehmen.

      Ich thue dieser geringfügigen Umstände nur deshalb Erwähnung, weil es mir nach Allem, was ich an diesem

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