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      Neuntes Capitel

      Der einundzwanzigste Juni, der Geburtstag, brach trübe und bewölkt an, aber gegen Mittag klärte sich das Wetter auf.

      Wir Dienstboten begannen diesen glücklichen Jahrestag wie gewöhnlich damit, Fräulein Rachel unsere kleinen Geschenke mit der üblichen Anrede die ich jährlich als der erste Diener des Hauses hielt, darzubringen. Ich beobachtete dabei das von der Königin in ihren Thronreden befolgte System, indem ich regelmäßig jedes Jahr ungefähr dasselbe sagte. Bevor ich die Rede halte, wird sie wie die der Königin so genau erwogen, als ob noch nie etwas Aehnliches dagewesen wäre. Nachdem sie gehalten worden und es sich zeigt, daß sie der Erwartung des Publicums, etwas Neues zu hören, keineswegs entsprochen hat, wird ein bischen raisonnirt, aber gleich wieder dem nächsten Jahre mit neuen Hoffnungen entgegengesehen Die Menschen sind eben leicht zu lenken, in der Küche wie im Parlament, das ist die Moral von der Sache.

      Nach dem Frühstück hielten Herr Franklin und ich eine vertrauliche Berathung in Betreff des Mondsteins, da jetzt die Zeit gekommen war, wo derselbe wieder aus der Bank in Frizinghall genommen und Fräulein Rachel übergeben werden mußte. Ob er sein Glück bei seiner Cousine auf’s Neue versucht hatte und entschieden abgewiesen worden war, oder ob sein Nacht für Nacht gestörter Schlaf die sonderbaren Widersprüche und Unschlüssigkeiten seines Wesens gesteigert hatte, weiß ich nicht. Aber gewiß ist, daß Herr Franklin sich am Morgen des Geburtstags nicht von der besten Seite zeigte. Er äußerte ungefähr zwanzig verschiedene Meinungen in Betreff des Diamanten im Verlauf von ebenso vielen Minuten. Ich meinerseits hielt mich fest an die einfachen Thatsachen, wie sie uns bekannt waren. Es war nichts geschehen, was uns berechtigt hätte, Mylady in dieser Angelegenheit zu beunruhigen, und nichts konnte Herrn Franklin von der ihm jetzt obliegenden rechtlichen Verpflichtung den Edelstein in die Hände seiner Cousine zu legen, befreien.

      Das war meine Ansicht von der Sache, und mochte er sich drehen und wenden wie er wollte, er mußte sich schließlich nothgedrungen zu derselben Ansicht bekennen. Wir kamen überein, daß er nach dem zweiten Frühstück nach Frizinghall hinüberreiten und höchst wahrscheinlich in Begleitung von Herrn Godfrey und seiner Schwestern den Diamanten zurückbringen solle.

      Nachdem wir uns darüber geeinigt hatten, ging unser junger Herr wieder zu Fräulein Rachel.

      Sie brachten den ganzen Morgen und einen Theil des Nachmittags bei der nie endenden Arbeit der Thürdecoration zu; Penelope stand dabei und mischte die Farben nach Vorschrift, und Mylady ging, als die Stunde des zweiten Frühstücks herannahte, ihr Schnupftuch vor der Nase haltend (denn sie verbrauchten an jenem Tage eine gehörige Portion des Bindemittels) im Zimmer aus und ein und versuchte vergebens, die Künstler von ihrer Arbeit abzubringen. Es war drei Uhr geworden, bis sie ihre Schürzen abnahmen, Penelope, die sich in Folge des Verkehrs mit dem Bindemittel schlecht befand, entließen und sich vom Farbenschmutz reinigten. Aber sie hatten ihren Zweck erreicht, sie waren am Geburtstage mit der Thür fertig geworden und waren nicht wenig stolz darauf. Die Greifen, Amoretten u. s. w. waren, wie ich bekennen muß, wunderhübsch anzusehen, obgleich sie Einem in ihrer großen Menge, in ihrer Verschlingung mit Blumen und Sinnbildern, in ihren verrenkten Stellungen und Bewegungen noch stundenlang, nach dem man sie sich betrachtet, im Kopfe wehthaten. Wenn ich hinzufüge, daß Penelope ihre Rolle bei der Morgenarbeit damit beschloß, daß sie sich nach der Waschküche begab, so geschieht das keineswegs in unfreundlicher Gesinnung gegen das Bindemittel. Nein, nein! Es hörte auf übel zu riechen, sobald es getrocknet war, und wenn die Kunst solche Opfer fordert, so sage ich, und wenn es auch meine eigene Tochter ist, die darunter leidet, diese Opfer müssen der Kunst gebracht werden.

      Herr Franklin ließ sich kaum die Zeit, einen Bissen zu frühstücken und ritt nach Frizinghall, wie er Mylady erzählte, um seine Cousine herzubegleiten in der That aber, wie nur er und ich wußten, um den Diamanten zu holen.

      Da an diesem Tage eine der festlichen Gelegenheiten war, bei welchen ich meinen Platz als Chef der bei Tisch aufwartenden Diener vor dem sideboard einnahm, fehlte es mir während Herrn Franklins Abwesenheit nicht an Beschäftigung, die mich vollauf in Anspruch nahm. Nachdem ich für den Wein gesorgt und über die männliche und weibliche Dienerschaft, die bei Tische aufwarten sollte, Musterung gehalten hatte, zog ich mich zurück, um mich bis zur Zeit des Diners zu sammeln. Ein Zug aus meiner Pfeife und ein Blick in ein gewisses Buch, das ich bereits zu erwähnen Gelegenheit gehabt habe, brachten Körper und Seele wieder in das gehörige Gleichgewicht. Ich wurde aus einem Zustand, der, glaube ich, nicht sowohl Schlummer als Träumerei war, durch draußen erschallendes Pferdegetrappel erweckt, ging vor die Thür und nahm eine Cavalcade in Empfang, die aus Herrn Franklin, seinem Vetter und seinen beiden Cousinen in Begleitung eines der Stallknechte des alten Herrn Ablewhite bestand.

      Sonderbarer Weise frappirte es mich auf der Stelle, daß Herr Godfrey grade wie Herr Franklin heute nicht in seiner gewöhnlichen Stimmung zu sein schien. Er gab mir wie immer freundlich die Hand und sprach sehr höflich seine Freude darüber aus, seinen alten Freund Betteredge so wohl zu sehen. Aber seine Stirn war umwölkt, was ich mir auf keine Weise zu erklären wußte, und als ich ihn fragte, wie es mit der Gesundheit seines Vaters gehe, antwortete er etwas kurz: »Ganz wie gewöhnlich!« Die beiden Fräulein Ablewhite aber waren von einer ungeheuren Munterkeit, die das Gleichgewicht mehr als herstellte Sie waren beinahe eben so groß wie ihr Bruder, stattliche Gestalten mit blondem Haar, rosige, von blühender Gesundheit und Lebenslust strotzende Mädchen. Die armen Pferde zitterten unter ihrer Last, und die kühnen Reiterinnen sprangen, ohne einer helfenden Hand zu bedürfen, aus dem Sattel aus den Boden, als ob ihre Glieder aus Kautschuk gemacht wären. Alles, was die Fräulein Ablewhite sagten, fing mit einem großen O!, Alles, was sie thaten, mit ungestümem Gepolter an, und sie kicherten und schrien zu passender und unpassender Zeit bei der geringsten Veranlassung. Ich nannte sie nur die Dragoner.

      Der Lärm den die jungen Mädchen machten, gestattete mir, Herrn Franklin unbemerkt ein Wort in der Vorhalle zu sagen.

      »Haben Sie den Diamanten unversehrt bei sich, Herr Franklin?«

      Er nickte und klopfte dabei auf die Brusttasche seines Rockes.

      »Haben Sie irgend etwas von den Indiern gesehen?«

      »Nicht die Spur« Nach dieser Antwort fragte er nach Mylady und ging, als er hörte daß sie in dem kleinen Wohnzimmer sei, geradeswegs dahin. Er konnte noch keine Minute im Zimmer gewesen sein, als es klingelte, und Penelope beordert wurde, Herrn Franklin zu sagen, daß Fräulein Rachel ihn zu sprechen wünsche.

      Als ich ungefähr eine halbe Stunde später durch die Halle ging, ward ich plötzlich durch lautes, aus dem kleinen Wohnzimmer hervor dringendes Geschrei zum Stehen gebracht. Das Geschrei konnte mich durchaus nicht beunruhigen, denn ich erkannte in demselben alsbald das beliebte große Oh des Fräulein Ablewhite. Gleichwohl ging ich unter dem Vorwande, mir eine Ordre in Betreff des Mittagessens zu erbitten, in’s Zimmer, um herauszufinden, ob wirklich irgend etwas Ernstes vorgefallen sei.

      Da stand Fräulein Rachel am Tisch, wie von einem Zauber gebannt, den unseligen Diamanten des Obersten in der Hand. Und zu ihren beiden Seiten knieten die beiden »Dragoner,« die den Edelstein mit den Augen verschlangen und in Exstase ausbrachen, so oft der Stein in einer neuen Farbe spielte. An der andern Seite des Tisches stand Herr Godfrey, klaschte in die Hände wie ein großes Kind und lispelte einmal über das andere: »Köstlich, köstlich!« Auf einem Stuhl neben dem Bücherschrank saß Herr Franklin, zupfte sich am Bart und blickte ängstlich nach dem Fenster hin. Der Gegenstand seiner Aufmerksamkeit aber war Mylady, die, den Auszug aus dem Testament des Obersten in der Hand, am Fenster stand und der ganzen Gesellschaft den Rücken zukehrte. Sie maß mich, mit den Augen, als ich um meine Ordres bat, und ich sah das der Familie eigenthümliche Zusammenziehen der Brauen über ihren Augen und die Familienlaune in ihren Mundwinkeln zucken. »Kommen Sie in einer halben Stunde zu mir in in mein Wohnzimmer,« antwortete sie, »ich habe Ihnen dann etwas zu sagen.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Es war klar, daß sie durch dieselbe Schwierigkeit betroffen gemacht wurde, welche Herrn Franklin und mir bei unserer Beratung am Zitterstrand bereits so viel Kopfbrechen verursacht hatte. Mußte sie in dem Vermächtnisse des Mondsteins einen deutlichen Beweis dafür erkennen, daß sie ihren Bruder mit grausamer Ungerechtigkeit behandelt habe? Oder war dies Vermächtniß ein Beweis, daß die Schlechtigkeit seines

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