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      Jakob Passinkow

      I

      Es war zu Petersburg im Winter, am ersten Tage des Carneval, als ich bei einem meiner alten Comilitonen zu Mittag speiste, welcher in seiner frühesten Jugend aussah wie ein schönes, schamhaftes Mädchen, später aber nichts weniger als blöde oder schüchtern war. Jetzt ist er todt, wie die Mehrzahl meiner Studiengenossen. Bei diesem Diner sollten außer mir nur Constantin Alexandrowitsch Assanow und ein Schriftsteller, der sich damals einer gewissen Berühmtheit erfreute, sein. Letzterer ließ sich erwarten; endlich zeigte er durch ein Billet an, daß er nicht kommen könne; seinen Platz nahm ein kleiner Herr mit blonden Haaren ein, eine jener unvermeidlichen Erscheinungen, wie es deren so viele in Petersburg gibt, welche man nirgends einladet und doch überall trifft.

      Das Diner währte lange; unser Wirth sparte seine Weine nicht, die uns ein wenig zu Kopfe stiegen, so daß nach und nach Jeder anfing, auszuplaudern, was er Geheimes aus dem Herzen hatte. Welcher Mann hätte nicht irgend ein Geheimniß auf dem Herzen?

      Das Gesicht meines Gastfreundes hatte plötzlich den gewöhnlich schüchternen und zurückhaltenden Ausdruck verloren; seine Augen funkelten übermüthig und ein schallendes Gelächter tönte von seinen Lippen. Der kleine Herr mit dem blonden Haar lachte ebenfalls, indem er Töne von sich gab, die wie ein thierisches, rohes Gewieher klangen. Aber am meisten überraschte mich Assanow; er hielt sonst in hohem Grad auf äußere Formen, und plötzlich sah ich ihn mit der Hand über die Stirne fahren, dann eine hochmüthige Miene annehmen, wonach er begann, sich seiner Verbindungen zu rühmen und überhaupt alle Minuten von einem einflußreichen Onkel zu sprechen. Ich erkannte diesen jungen Mann, welchen ich so verschieden in anderen Kreisen gesehen, nicht wieder; augenscheinlich machte er sich lustig über uns und schien eine große Geringschätzung unserer Gesellschaft zu empfinden. Seine Prahlereien empörten mich.

      »Hören Sie,« sagte ich zu ihm,,wenn wir in Ihren Augen so armselige Wesen sind, warum bleiben Sie denn nicht bei diesem außerordentlichen Onkel? Oder will er vielleicht nichts mit Ihnen zu schaffen haben?« Assanow erwiderte mir nichts; er fuhr wieder mit der Hand über die Stirn und rief dann:

      »Was für Menschen! Menschen, welche nicht Einen anständigen Salon besuchen, welche keine einzige vornehme Dame kennen, während ich,« fuhr er fort, indem er ein Portefeuille aus seiner Tasche zog und, darauf schlug, »während ich eine ganze Sammlung Briefe von einem jungen Fräulein besitze, das seines Gleichen in der Welt nicht findet.«

      Unser Wirth und der kleine Blonde, welche in diesem Augenblicke sehr lebhaft mit einander plauderten, schenkten diesen letzteren Worten Assanow’s keine Aufmerksamkeit, ich aber war davon gereizt.

      »Ich glaube« erwiderte ich ihm, »Sie Neffe eines glänzenden Onkels wollen uns etwas weiß machen und besitzen gar keine Briefe, wie die, von weichen Sie reden.«

      »Glauben Sie?« erwiderte er, mich mit hochmüthigem Blicke betrachtend. »Was sind denn dies anderes für Papiere?«

      Indem er dies sagte, öffnete er seine Brieftasche und zog daraus ein Dutzend an ihn gerichteter Briefe hervor.

      Ich kenne diese Schriftzüge, sagte ich zu mir . . .

      Hier fühl’ ich die Schamröthe mir in’s Gesicht steigen . . . meine Eigenliebe leidet entsetzlich. Es ist traurig, eine unedle Handlung beichten zu sollen . . . aber was ist zu thun? Beim Beginne dieser Erzählung wußte ich, daß ich bis an die Ohren erröthen würde. Indeß ich nehme all meinen Muth zusammen und gestehe, daß . . .

      Ich benutzte den trunkenen Zustand Assanow’s, um rasch einen der Briefe zu durchfliegen, welchen er auf das von Champagner durchnäßte Tischtuch gelegt hatte. Mir selbst war der Kopf wüst und das Herz schlug in lauten Schlägen.

      Ach, ich war verliebt in die, welche an Assanow geschrieben hatte und konnte jetzt nicht mehr zweifeln, daß sie ihm geneigt sei. Ihr Brief, französisch geschrieben, war voll von Ausdrücken der Zärtlichkeit und Ergebenheit; sie begann mit den Worten: »Mein lieber Freund Constantin,« und schloß mit dem Rath und Versprechen: »Sei vernünftig, wie du es bisher gewesen, und wenn ich mich nicht mit dir verbinde, so werde ich doch keinen Anderen heirathen.« Wie vom Donner gerührt, blieb ich eine Zeit lang unbeweglich; dann riß ich mich los aus diesem Zustand von Betäubung und stürzte hinaus. Eine Viertelstunde später war ich in meiner Wohnung.

* * *

      Die Familie Slotnitzky war eine der ersten, deren Bekanntschaft ich machte, als ich von Petersburg nach Moskau übersiedelte; sie bestand aus Vater, Mutter, zwei Töchtern und einem Sohne. Der Vater mit seinem greifen Haar war ein noch gut aussehender Mann, welcher, nachdem er in der Armee gedient, eine einträgliche Stelle bei der Regierung bekleidete. Am frühen Morgen begab er sich aus sein Bureau, nach dem Essen schlief er und Abends besuchte er den Club, um seine Partie Karten zu spielen. Seiten sah man ihn in seinem Hause, er sprach ungern und sein Blick war bald finster, bald gleichgültig; außer geographischen und Reise-Werken las er nichts. War er unwohl, so unterhielt er sich damit Zeichnungen auszumalen, schloß sich in sein Zimmer ein, oder neckte Popka, einen alten Papagei. Seine Frau, von kränklicher, schwindsüchtiger Natur, mit großen, tiefliegenden schwarzen Augen und einer Adlernase, lag den ganzen Tag, mit einer Stickerei beschäftigt, auf dem Divan. Mir schien es, als fürchte sie ihren Mann, als habe sie ihm gegenüber kein ganz reines Gewissen. Die älteste Tochter, Barbara, eine starke, hochrothe Blondine von 18 Jahren, saß fortwährend am Fenster, um die Vorübergehenden zu beobachten. » Der Sohn, welcher seine Studien in einer Staatsanstalt machte, zeigte sich nur an Festtagen bei seinen Eltern und sprach sehr wenig. Die jüngste Tochter, Sophie, in welche ich verliebt war, hatte denselben verschlossenen Charakter.

      Stille herrschte in diesem Hause; eine Stille, welche nur unterbrochen wurde durch das Schreien des Papageis und welche sich drückend auf alle legte, die darin aus- oder eingingen. Selbst die Einrichtung des Salons, die dunkelrothen Gardinen mit großem, gelbem Geranke, die vielen von Stroh geflochtenen, Stühle, die verblaßten, gestickten Kissen, auf welchen junge Mädchen und Pudelgesichter abgebildet waren, die schnabelförmigen Lampen und die alten an den Wänden hängenden Bilder: Alles stimmte unwillkürlich traurig, Alles hauchte Einen gleichsam kalt und moderig an.

      Als ich von Petersburg kam; machte ich es mir zur Pflicht, mich den Slotnitzky‘s vorzustellen, da meine Mutter verwandt mit ihnen war. Mit Mühe brachte ich eine Stunde bei ihnen herum und es verging lange Zeit, ehe ich ihr Haus wieder besuchte. Nach und nach wurden meine Besuche häufiger; ich ward angezogen durch Sophie, welche mir Anfangs nicht gefallen hatte und in die ich mich am Ende verliebte.

      Sie war von mittlerem Wuchs, schlank und zierlich, fast mager, hatte ein bleiches Gesicht, schwarzes, sehr starkes Haar und große braune Augen, deren Lider stets halb geschlossen waren. Ihre regelmäßigen, feinen Züge und überdies ihre zusammengepreßten Lippen kündigten Festigkeit und Willenskraft an. Ihre Eltern sahen in ihr ein Mädchen von entschlossenem Charakter. »Sie gleicht Katharinen, ihrer ältesten Schwester,« sagte mir ihre Mutter, als ich mich eines Tages allein mit ihr befand, denn vor ihrem Manne wagte sie nicht den Namen Katharina auszusprechen. »Sie haben sie nicht gekannt,« setzte sie hinzu, »sie ist im Kaukasus verheirathet.«

      »Denken Sie nur, daß sie sich mit 13 Jahren in den Mann, welchen sie geheirathet, so toll verliebte, daß sie mir damals erklärte, keinen Andern heirathen zu wollen.«

      »Alle unsere Anstrengungen, sie davon zurückzubringen, waren fruchtlos. Sie wartete bis zum 23sten Jahre und trotz des Zornes ihres Vaters heirathete sie, wie gesagt. Wird Sophie dieselbe Widerspenstigkeit haben? Gott bewahre sie davor. Aber zuweilen befürchte ich es. Sehen Sie, sie ist kaum 16 Jahre alt und schon kann man sie nicht mehr bändigen.«

      In diesem Augenblick trat Herr Slotnitzky ein und seine Frau schwieg.

      Es war nicht Sophiens Willenskraft, wodurch sie mir gefallen hatte, nein; aber es lag trotz ihrer Trockenheit, trotz dem Mangel au Lebendigkeit und Einbildungskraft ein so eigenthümlicher Reiz in ihr, der Reiz der Geradheit und Seelenreinheit. Ich verehrte sie eben so sehr wie ich sie liebte. Es hatte mir geschienen, als wenn auch sie etwas für mich empfände, und der Gedanke, daß ich nicht mehr auf ihre Zuneigung rechnen dürfe, daß sie einen Anderen liebe, durchzuckte mir schmerzlich das Herz.

      Die Entdeckung, welche ich gemacht, war für mich um so auffallender, da Constantin Assanow nur sehr selten zu Slotnitzky’s kam, viel seltener als ich, und sich niemals viel um

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