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und staunte es an – und doch konnte er, wie es schien, an diesen Anblick schon gewöhnt sein! Als sie ihr Duett mit der Tochter beendet, bemerkte Frau Lenora, daß Emilio eine prachtvolle Stimme, rein wie Silber, habe – doch jetzt sich in einem Alter befinde, in welchem die Stimme breche (er sprach wirklich mit einer beständig durch Fistellaute unterbrochenen Baßstimme) und daß ihm deshalb das Singen verboten sei; Pantaleone aber der könne, den Gast zu ehren, alte Zeiten erneuern. Pantaleone nahm sofort eine unzufriedene Miene an, wurde finster, brachte seine Haare nach mehr in Unordnung und erklärte, daß er dieses Alles schon längst an den Nagel gehängt habe, obgleich er wirklich in seiner Jugend für sich habe einstehen können – und überhaupt zu jener großen Epoche gehört habe, als es wirklich classische Sänger gab – nicht den heutigen Schreihälsen ähnlich! und als eine wirkliche Gesangschule vorhanden war; daß man ihm, Pantaleone Cippatola aus Varese, einst in Modena einen Lorbeerkranz dargebracht und ihm zur Ehre sogar im Theater weiße Tauben habe fliegen lassen; daß unter anderen hohen Gönnern ein russischer Fürst Tarbuski – il principe Turbuski – mit dem er sehr befreundet gewesen, ihn beim Abendessen stets nach Rußland geladen und ihm Berge von Gold versprochen habe . . . doch er habe Italien, das Land von Dante – il paese del Dante – nicht verlassen wollen. Nachher hätten sich allerdings unglückliche Zufälle ereignet, er selbst sei nicht vorsichtig gewesen . . . Hier unterbrach sich der Alte, seufzte tief, versank in Gedanken – und sprach wieder von der classischen Epoche des Gesanges, vom berühmten Tenor Garcia, für den er tiefe, grenzenlose Hochachtung gefühlt. »Das war ein Mann!« rief er. »Nie hätte der große Garcia – il gran Garcia – sich so weit erniedrigt, um, wie die jetzigen, widrigen – Tenörchen – tenoracci – mit Falsett zu singen: stets sang er mit der Brust, voce di petto, si!« – Und der Greis schlug mit der kleinen, vertrockneten Faust heftig auf seine Brust. »Und welcher Schauspieler war das! Ein Vulkan, signori miei, ein Vulkan, un Vesuvio! Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, mit ihm in der Oper – »del illustrissimo muëstro Rossini« – im Othello zu singen! Garcia war Othello – ich sang den Jago – und wenn er diesen Satz aussprach . . .

      Hier stellte sich Pantaleone in Positur und sang mit zitternder, heiseren doch noch immer pathetischer Stimme:

      Li . . . ra d‘aver . . . so d‘aver . . . so il fato

      Lo piu no . . . no . . . no . . . non temerò!

      »Das Theater zitterte, signori miei! doch ich blieb nicht zurück und sang ihm nach:

      Li . . . ra d‘aver . . . so d‘aver . . . so il fato.

      Temèr pici non dovrò!

      »Er aber – plötzlich wie der Blitz, wie der Tiger:

      Morrò! . . . ma vendicato . . .

      »Oder, wenn er sang: wenn er jene berühmte Arie aus dem Matrimonio segreto: Pria che Spunti . . . sang, da machte er, il gran Garcia, nach den Worten: I cavalli di galoppo – da machte er bei den Worten: Senza posa caccierà – hören Sie, wie bewundernswürdig, com’è stupendo! er es machte. . . Hier fing der Alte eine ganz ungewöhnliche – Fioritur an, doch bei der zehnten Note blieb er stecken, hustete, und nachdem er mit der Hand eine abwehrende Bewegung gemacht hatte, wandte er sich hinweg – und murmelte:

      »Warum quälen Sie mich?« Gemma sprang sofort vom Stuhle auf, lief, laut mit den Händen klatschend und »bravo! Bravo!« rufend, zum armen, verabschiedeten Jago und klopfte ihm freundlich mit beiden Händen auf die Schultern Emil allein lachte erbarmungslos. Cet age est sann pitié – dieses Alter kennt kein Mitleid, hat bereits Lafontaine gesagt.

      Sanin versuchte, den greifen Sänger zu trösten und redete ihn italienisch an (während seiner Reise hatte er einige Brocken davon aufgeschnappt) er sprach vom paese del Dante, dovo il si suona. Diese Phrase, zusammen mit »Lasciate ogni speranza« bildete das ganze poetisch-italienische Gepäck des jungen Reisenden. – doch der Alte zeigte sich unempfindsam für sein Entgegenkommen. Noch tiefer als früher, steckte er das Kinn in das Halstuch, ließ finster das Auge hervortreten und glich noch mehr einem Vogel, einem bösen Vogel – etwa einem Raben oder einem Geier. Emil wandte sich dann sofort leicht erröthend, wie es Kindern gewöhnlich ist, zu seiner Schwester und sagte ihr, daß, wenn sie den Gast unterhalten wollte, sie doch eine von den kleinen Komödien von Malz, die sie so gut lese, vortragen möchte. Gemma lachte, schlug den Bruder auf die Hand, ging sofort in ihr Zimmer, kehrte mit einem kleinen Buche zurück, setzte sich an den Tisch zur Lampe, wandte sich um, hob den Finger in die Höhe: – »Jetzt bitte, zu schweigen!« – eine echt italienische Geste – und begann zu lesen.

      VII

      Malz war ein Frankfurter Schriftsteller der dreißiger Jahre, welcher in seinen kurzen, leicht hingeworfenen Komödien im Localdialect, mit drolligem und scharfem, wenn auch nicht tiefem Humor geschrieben, Frankfurter Typen vorführte. Es zeigte sich, daß Gemma prachtvoll – ganz wie eine Schauspielerin vortrug.

      Jeder Person gab sie einen derselben entsprechenden Charakter und führte diesen bis zu Ende durch; sie wandte alle Komik auf, die sie zusammen mit dem italienischen Blute geerbt hatte; ohne Mitleid für ihre zarte Stimme, für ihr schönes Gesicht, schnitt sie, wenn es galt, eine verrückt gewordene alte Frau oder einen dummen Bürgermeister darzustellen, die allerdrolligsten Gesichtchen, sie zwängte die Augen ein, rümpfte die Nase, schnarrte, kreischte sogar . . . Sie selbst lachte beim Lesen nicht, doch wenn die Zuhörer (allerdings mit Ausnahme von Pantaleone, der sich, als die Rede auf den forroflucto Tedesco kam, sofort mit Unwillen entfernt hatte) sie durch den einmüthigen Ausbruch des Gelächters unterbrochen – dann lachte sie auch hell auf, den Kopf zurückwerfend, das Buch auf die Knie fallen lassend, und ihre schwarzen Locken hüpften dann in zarten Ringen um den Hals und auf den erschütterten Schultern. Das Lachen hörte auf – sofort erhob sie das Buch, verlieh ihrem Gesichte den grade entsprechenden Ausdruck und las ernst weiter. Sanin konnte sie nicht genug bewundern; namentlich, staunte er darüber: durch welches Wunder ihr so ideal schönes Gesicht plötzlich einen so komischen, ja manchmal trivialen Ausdruck erlangen konnte. Weniger befriedigend trug Gemma die Rollen junger Damen, sogenannter jeunes premières vor; die Liebesscenen wollten ihr gar nicht gelingen; sie fühlte es selbst und verlieh ihnen daher einen leichten Anstrich des Lächerlichen – als ob sie allen diesen erhabenen Schwüren und entzückten Reden – deren sich übrigens der Autor selbst, soweit es ging, enthielt – keinen Glauben schenke.

      Sanin bemerkte nicht, wie der Abend vergangen war – und erinnerte sich der bevorstehenden Reise erst, als die Uhr Zehn schlug. Er sprang vom Stuhle auf wie von einer Biene gestochen.

      »Was fehlt Ihnen?« fragte Frau Leonore.

      »Ich sollte ja heute nach Berlin fahren – und habe bereits einen Platz im Postwagen genommen!«

      »Und wann geht die Post?«

      »Um halb elf!«

      »Nun, dann ist es schon zu spät, um hinzukommen, bemerkte Gemma, »bleiben Sie . . . ich werde weiter lesen.«

      »Haben Sie das ganze Geld für den Platz bezahlt oder nur einen Theil?« fragte Frau Lenora mit Antheil.

      »Das Ganze!« rief Sanin mit trauriger Miene.

      Gemma sah ihn scharf an – und lachte; die Mutter tadelte sie. – »Der junge Mensch hat unnütz Geld ausgegeben – und Du lachst!«

      »Das thut nichts,« antwortete Gemma, »es wird ihn nicht ruiniren, wir aber wollen ihn trösten. Wünschen Sie nicht Limonade?«

      Sanin trank die Limonade, Gemma nahm wieder Malz vor – und Alles kam wieder in den alten Gang.

      Die Uhr schlug zwölf und Sanin wollte sich verabschieden.

      »Sie müssen jetzt einige Tage in Frankfurt bleiben sagte Gemma zu ihm; »wo wollen Sie hineilen? Lustiger wird es in einer anderen Stadt auch nicht sein.« Sie schwieg. »Wirklich nicht,« fügte sie hinzu und lächelte.

      Sanin antwortete Nichts

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