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sein rauhes Wesen nur in dem Bewußtsein, daß er eine mangelhafte Erziehung genossen, und in dem Wunsche, sich vollständig hinter einer starren Maske zu verstecken.

      Lutschkoff hatte sich anfangs nur den Anschein geben wollen, als verachte er die Menschen. Aber gar bald merkte er, daß es nicht schwer hält, sie einzuschüchtern, und so begann er sie wirklich zu verachten. Es that ihm wohl, dass bei seinem bloßen Erscheinen jedes einigermaßen ernste Gespräch sofort abgebrochen wurde.

      »Ich weist nichts und habe nichts gelernt, auch besitze ich keinerlei Fähigkeiten, dachte er bei sich, »darum wißt auch ihr nichts und sollt mir gegenüber nicht mit euern Talenten prahlen . . . «

      Vielleicht war der Raufbold bei Kister nur darum endlich aus der Rolle gefallen, weil er bis dahin niemals einem wirklichen »Idealisten« begegnet war – d. h. einem Wesen, das ehrlich und uneigennützig nach Idealen strebte und darum frei war von Selbstsucht, und gegen seine Mitmenschen Nachsicht übte.

      Gar oft suchte Lutschkoff den Cornet des Morgens in seiner Wohnung auf. Dann steckte er sich eine Pfeife an und setzte sich still auf einen Stuhl. Kister gegenüber schämte er sich seiner Unwissenheit nicht, er verließ sich, und zwar nicht ohne Grund, auf dessen deutsche Bescheidenheit.

      »Nun,« begann er nach einer Weile, »was hast Du gestern gemacht? Natürlich wieder gelesen, wie?«

      »Ja . . . «

      »Und was hast Du eigentlich gelesen? Erzähl mir das doch mal Freundchen,« fuhr Lutschkoff mit einem leisen Anflug von Spott fort.

      »Ich habe das Idyll von Kleist gelesen. Ach, wie schön das ist! Wart’, ich will Dir ein paar Strophen übersetzen.«

      Und Kister begann mit Begeisterung zu übersetzen, während Lutschkoff die Stirn runzelte, die Lippen zusammenbiß und aufmerksam zuhörte . . .

      »Ja, ja.« sprach er hastig mit einem unangenehmen Lächeln, »hübsch . . . sehr hübsch . . . Sag mal,« fügte er dann langsam und gleichsam einem inneren Drange gehorchend hinzu, »sag’ mal, wie denkst Du über Ludwig XlV?«

      Und Kister theilte ihm seine Ansicht über Ludwig XIV. Mit. Lutschkoff hörte ihm zu: vieles verstand er gar nicht, manches faßte er falsch aus, und so entschloß er sich endlich, eine Bemerkung zu machen. Das brachte ihn jedoch in große Verlegenheit. Wenn ich eine Dummheit sagte! dachte er. Und in der That sagte er gar oft Dummheiten, aber Kister gab ihm niemals eine scharfe Antwort; der brave Jüngling freute sich von Herzen, das; er in diesem Manne das Verlangen nach Erkenntniß geweckt hatte. Leider fragte Lutschkoff den Cornet nicht aus Wissensdurst! Warum eigentlich – das mag Gott wissen. Vielleicht wollte Lutschkoff mit sich selbst darüber in’s Klare kommen ob er wirklich ein Dummkopf sei oder ob es ihm nur an Kenntnissen fehle.

      »Ja, ich bin wirklich ein dummer Mensch,« murmelte er manchmal mit bitterem Lächeln vor sich hin. lind dann richtete er sich plötzlich gerade auf und blickte mit einem unverschämten, boshaften Hohnlächeln um sich herum, wenn er bemerkte, daß irgend einer seiner Kameraden den Blick vor ihm senkte . . .

      Die Herren Offiziere unterhielten sich nicht allzu lange über die Freundschaft, welche plötzlich zwischen Kisters und Lutschkoff entstanden war; bei dem Raufbold waren sie an allerlei Seltsamkeiten längst gewöhnt. »Der Teufel hat mit einem Kinde Freundschaft geschlossen,« sagten sie . . . Kister rühmte seinen neuen Freund überall mit großer Wärme; Niemand widersprach ihm, da man sich vor Lutschkoff fürchtete. Dieser nannte in Anderer Gegenwart niemals den Namen des Cornets, aber er hatte den Verkehr mit dem parfümirten Adjutanten vollständig aufgegeben.

      II

      Die Gutsbesitzer in Südrußland lieben es, von Zeit zu Zeit große Bälle zu geben und zu denselben die Herren Offiziere einzuladen, damit ihre heirathsfähigen Töchter die nöthigen Bekanntschaften machen können.

      Etwa zehn Werst von dem Dorfe Kirilowo wohnte solch ein Gutsbesitzer, ein gewisser Perekatoff. Er besaß etwa vierhundert Seelen und ein recht hübsches Wohnhaus. Seine einzige achtzehnjährige Tochter hieß Marja, seine Frau Nenila Makarjewna. Herr Perekatoff hatte in seiner Jugend bei der Cavallerie gedient, aber aus Trägheit und aus Vorliebe für das Landleben seinen Abschied genommen, um für den Rest seines Lebens jenes ruhige Dasein zu führen, das dem nur mittelmäßig begüterten Landadel zur Gewohnheit geworden ist. Nenila stammte in nicht ganz legitimer Weise von einem hohen Würdenträger in Moskau ab.

      Ihr Beschützer ließ sie in seinem eigenen Hause sehr sorgfältig erziehen. Aber bei der ersten Gelegenheit entledigte er sich ihrer mit einer gewissen Hast – wie einer Waare von zweifelhaftem Werthe. Denn Nenila war nicht schön und der hohe Würdenträger hatte ihr nur eine Mitgift von zehntausend Rubel ausgesetzt. Sie nahm Herrn Perekatoffs Antrag mit Freuden an, und Herr Perekatoff schätzte sich glücklich, dass er eine so gebildete und kluge und mit einem so hohen Würdenträger verwandte Dame zur Frau erhielt. Auch nach der Hochzeit ließ der hohe Herr dem jungen Paar noch gnädig seinen Schutz angedeihen, das heißt, er geruhte die Wachteln anzunehmen, welche Perekatoff ihm schickte und redete ihn mit »lieber Freund«, ja bisweilen sogar mit dein vertraulichem »Du« an.

      Nenila hatte ihren Mann vollständig unter dem Pantoffel und führte nicht bloß das Regiment im Hause, sondern leitete auch die Verwaltung des Gutes; aber sie verwaltete es in sehr verständiger Weise und jedenfalls weit besser, als es Herr Perekatoff gethan hätte. Sie ließ ihn sein Joch nicht zu schwer fühlen, hielt ihn jedoch sehr kurz. Sie bestimmte, welchen Anzug er zu tragen hatte, sie verordnete, das; er sich nach englischer Mode kleiden müsse; auf ihren Befehl ließ er sich ein spanisches Kinnbärtchen wachsen, um auf diese Weise eine große Warze verbergen zu können, welche einer reifen Himbeere glich. Allen Fremden, die ins Haus kamen, erzählte Nenila, ihr Mann spiele die Flöte und alle Flötenspieler ließen sich am Kinn die Haare wachsen, um bequemer das Instrument halten zu können.

      Herr Perekatoff erschien bereits am frühen Morgen mit hohem sauberem Halstuch und sorgfältig gekämmt und gewaschen. Uebrigens war er mit seinem Geschick vollkommen zufrieden, er speiste immer sehr gut, that was er wollte und schlief so lange er konnte. Wie die Nachbarn behaupteten, hatte Nenila eine »fremde Hausordnung« eingeführt; das heißt, sie hielt sich nur wenig Dienstboten und kleidete dieselben anständig. Unablässig nagte an ihr der Wurm des Ehrgeizes; sie wünschte, daß der Adel ihren Mann für irgend ein Amt ausersehen möchte; aber die Junker des Kreises ließen sich zwar Nenilas vortreffliche Speisen schmecken, gaben jedoch bei den Wahlen nicht ihrem Manne die Stimmen, sondern bald dem Generalmajor a. D. Burkholz, bald dem Major a. D. Burundukoff. Herr Perekatoff kam ihnen wie ein großstädtischer Stutzer vor.

      Die Tochter glich dem Vater. Nenila hatte sehr viel Mühe auf ihre Erziehung verwendet. Sie sprach vorzüglich französisch und spielte leidlich Clavier. Sie war von Mittelgröße, ziemlich gut entwickelt und ein wenig blass: ihr etwas volles Gesicht war beständig belebt von einem freundlichen fröhlichen Lächeln; ihr blondes, wenn auch nicht sehr dichtes Haar, die schwarzen Augen und die angenehme Stimme machten sie zu einer gefälligen Erscheinung. Dazu kam, daß sie weder affectirt war, noch Vorurtheile hegte, eine für ein Steppenfräulein ungewöhnliche Bildung besaß und in Rede und Benehmen sich einfach und ungezwungen zu geben wußte – das alles fiel Einem unwillkürlich auf. Sie hatte sich ganz frei entwickelt; Nenila legte ihr in keiner Weise irgend welchen Zwang auf . . .

      Eines Tages war die ganze Familie um die Mittagsstunde im Gastzimmer vereint. Perekatoff stand in grünem Rock, mit hohem carrirtem Halstuch und erbsenfarbenen Beinkleidern nebst Stiefeletten an einem Fenster und fing mit großer Aufmerksamkeit Fliegen. Die Tochter saß hinter ihrem Stickrahmen; langsam und graziös hob und senkte sich ihre kleine volle Hand hinter dem Canevas. Nenila saß auf dem Sopha und blickte schweigend vor sich hin.

      »Sag mal, Sergey Sergejitsch,« wandte sie sich an ihren Mann, »hast Du die Einladung an das Regiment geschickt?«

      »Die zu heut Abend? Jawohl, ma chère!« (Es war ihm verboten sie mit dem russischen »Mátuschka«, Mütterchen anzureden.) »Jawohl, versteht sich!«

      »Wir haben nicht Herren genug« fuhr Nenila fort. »Die jungen Damen wissen nicht, mit wem sie tanzen sollen.«

      Ihr Mann seufzte, als wäre er tief betrübt über diesen Mangel an Herren.

      »Mama,«

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