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Meditationsstube

      Die Klöster hatten Ihre in pace, Ihre Gefängnisse, ihre Carcer. Bei den Jesuiten, Leuten, welche zu sehr zivilisiert waren, um sich nur an das Physische zu wenden, gab es die Meditationsstube.

      Im ersten Stocke, gegen den hinteren Teil des Hauses, wo ein an seinen Enden ganz vergitterter, ganz verriegelter Gang angebracht war, öffnete oder schloss sich vielmehr eine große Stube von einer Gewölbehöhe, welche beträchtlich genug war, daß die Meditationen der Gefangenen nicht die der Spinnen störten, die ihr Domizil in den Ecken der schwarz angemalten Karnieße gewählt hatten, beträchtlich genug besonders, daß eben diese Gefangenen nie den Fensterrahmen erreichen konnten, der mit einer einzigen Scheibe versehen war, welche dieses Gewölbe wie ein Zyklopenauge durchhalte und hier ein mageres Licht ganz getrübt durch den äußeren Staub und Rauch einsickern ließ.

      Wenn aber das Licht traurig und schüchtern in das Innere dieses hässlichen Käfigs herabstieg, so muss man sagen, daß Apollo, der Gott des Tages und zu gleicher Zeit der Meditation, nicht das geringste Vergnügen beim Besuchen des Innern dieses Winkels gehabt hätte, dessen vier Wände mit schwarzen Tapeten ausgeschlagen waren, die man mit Todtenköpfen und Knochen im Grenze von einem weißen Stoffe, befestigt aus dem schwarzen mittelst eines soliden, an den beiden Farben Teilhabenden Fadens, besät hatte. Zwischen diesen düsteren Emblemen hoben sich überdies weiß auf die Tapeten gestickte Inschriften hervor, und auch hier fand sich wieder der eigentümliche Geschmack, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, diesen gezwungenen Meditationen, welche die Jesuiten den widerspenstigsten Novizen auferlegten, einen der französischen Heiterkeit ganz entgegengesetzten Charakter zu geben.

      Alles, was die alten Dichter Schwärzestes in der Hefe ihrer leeren Ampbora gefunden, Alles, was die Weisen wahnsinnigst Verzweiflungsvolles getroffen haben, von dem O bios esti parodos skias bis zum Serius ocyus von Horaz, von den kläglichen Versen des Dies irae bis zu den kommentierten Formeln des Perinde ac cadaver der Gesellschaft Jesu. Alles breitete sich aus, entrollte sich weiß aus dieser traurigen schwarzen, todes farbigen Tapete.

      Diese zahlreichen Sprüche von verschiedener Größe und Schrift zogen das Auge an wie Offenbarungen aus dieser Mauer vorspringend und sich im Relief hervorhebend, als ob aus den Tiefen der unbekannten Welt, welche sie bewohnen, alle diese düsteren Moralisten, alle diese kläglichen Versemacher gerade mit einem unsichtbaren. Finger dem meditierenden Novizen ihre Meditationen, durchgesehen, verbessert und vermehrt, je nach den Umständen, ausgezeichnet hätten.

      Banniére wurde also in diesen Kerker geworfen, der ihm völlig fremd war, denn er kannte ihn nur aus den Mitteilungen von denjenigen seiner Kameraden, welche man dahin geführt hatte.

      Banniére war ein guter Noviz, das heißt; er kam regelmäßig seinen Schulpflichten nach, er liebte die lateinischen Verse und sogar die französischen Verse des Pater de la Sante und trieb bis zum Enthusiasmus seine Bewunderung für Herrn Arouet, dergestalt, daß er sich, wie wir gesehen, zwei Broschüren von Marianna hatte konfiszieren lassen, und die dritte dem Superior erst übergab, als er alle Rollen auswendig wusste, von der von Herodes, König von Palästina, bis zu der von Rarbas, Offizier der amorräischen Könige, und von der von Marianna, der Frau von Herodes, bis zu der von Elisa, der Vertrauten dieser Fürstin.

      Man errät, daß von dem Augenblick an, wo Banniére diese Begeisterung für Herrn von Voltaire fühlte und diese Begeisterung in sprudelnden Kaskaden der Bewunderung aus die paar Trauerspiele zurückfiel, welche der junge Philosoph schon veröffentlicht hatte, man errät, daß Banniére den erschrecklichen Fall nicht begriff, den bei ihrer ersten Erscheinung aus, dem Theater am 5. Januar 1724, nämlich drei Jahre vor der Epoche, in welcher die Ereignisse vorgehen, die wir in diesem Augenblick zu erzählen beschäftigt sind, die Tragödie Marianna gemacht hatte. Dieser Fall war so schwer gewesen, daß man geglaubt hatte, die Tragödie sei durch den Schlag getödtet worden. Aber Arouet war zähe; er hatte die Stücke der armen Königin aufgehoben und sie, so gut es eben ging, zusammengeleimt; er hatte die Szene zwischen Barus und Herodes weggeschnitten, er hatte reine rührende Erzählung an die Stelle der tätigen Entwickelung gesetzt, bei der sich Marianna aus der Szene vergiftet, welche Entwickelung so traurig für den Verfasser durch den schlechten Spaß eines Zuschauers, dem es einfiel, zu rufen: »Die Königin trinkt!« erheitert worden war, und durch diese Verbesserung und viele andere, welche der Autor in seiner Vorrede auszählt, an die wir, wenn sie sich weiter unterrichten wollen, unsere Leser verweisen, durch diese Verbesserungen hatte das Stück im Jahre 1725 einen Succeß eben so riesenhaft gehabt, als 1724 sein Fall tief gewesen war.

      Dies beweist nicht, daß das Publikum sehr logisch Ist, sondern es beweist, daß das Stück, nachdem es zuerst gefallen war, hernach reüssiert hatte. Banniére hatte nicht nur das Stück, sondern auch die Varianten gelernt, welche der Verfasser am Ende des Stückes angefügt hatte, ohne Zweifel, damit nicht ein Vers von dieser schönen Poesie, die noch zu dieser Stunde drei Viertel der Akademiker vor Vergnügen sich aufblähen macht, für die Nachwelt verloren gehe.

      Banniére kannte also bis dahin keine andere jesuitische Strenge, als die Konfiskation der Broschüren von Herrn Arouet.

      Sein Beruf, eine sanfte und leuchtende Fackel, hatte ihm bis jetzt dazu gedient, die Finsternis des Noviciats mit allen Arten von liebenswürdigen Schatten und anmutigen Gespenstern zu bevölkern. Er hatte sich Freunde unter seinen Mitschülern gemacht und seine Lehrer genötigt, seinen originellen Charakter zu bewundern. Mit einem Worte, er hatte jene unerklärliche Achtung genossen, die bei jedem Industriezweige den unabhängigen und neuernden Geistern zu Teil wird.

      Darum hatte er, Gefangen mit den andern schwarzen Vögeln in diesem Käfig des Noviciats, mehr als die Anderen befreundete Hände seinem Gitter sich nähern sehen, er hatte mehr als die Anderen sich der Lust und des Raumes erfreut, und, vertrauensvoll wie alle gute Naturen, fühlte er sich nun von so hoch, herab in diesen Kerker der Meditationen gefallen, daß ihm keine andere Zuflucht mehr blieb, als die Falschen zu verfluchen, die ihn zu einem so schweren Falle gebracht hatten.

      Die erste Bewegung von Banniére war das Erstaunen gewesen, die zweite war die Entrüstung.

      Banniére war jedoch ein Junge von Geist, er bedachte rasch, daß die Jesuiten mit den Schauspielern keinen Vertrag schließen konnten, und daß es, wenn die Jesuiten und die Schauspieler gemeinschaftliche Sache machten, unanständig und ungerecht erscheinen müsste, daß die Einen Beichtväter von Königen, Gouverneurs und Prinzen, Staatsinquisitoren unter so hässlichen und traurigen Kleidern seien, indes die Andern, nicht nur von allen Ehren ausgeschlossen, sondern auch exkommuniziert, mit Schmach belegt, elend, unter gestickten Kleidern, Sammetmänteln und Federbüschen; daß Gott, der die höchste Weisheit und die ewige Gerechtigkeit ist, Ausgleichungen gemacht habe, daß der Jesuit seinen Käfig liebe. weil er sich an denselben gewöhnt, weil er sein Gitter vergolde, während der Schauspieler im Gegenteil die Käfige nicht lieben könne, weil es ihm nicht gelungen, sie zu vergolden.

      Diese Logik führte Banniére zu einem so unmäßigen Verlangen nach Freiheit, daß er sich diese Freiheit durch alle mögliche Mittel zu verschaffen beschloss.

      Nachdem er alle die Texte, die ihm die Wände rezitierten, gelesen und ironisch erläutert hatte, empörte er sich gegen die Oberen, die ihn verfolgten, und da er die Gelegenheit günstig fand, sich ohne Zwang der Deklamation hinzugeben, so fing er an ganz allein Herodes und Marianna zu spielen.

      Gewohnt, von Klagen und Verwünschungen jedes Meditanten zu widerhallen, ertönte das Gewölbe ganz erstaunt von den Hemistichen eines Trauerspiels. In seine Soutane gehüllt, aus welche er in Form eines Mantels seine Bettdecke geworfen hatte, spielte, brüllte und stöhnte Banniére die verschiedenen Rollen des Stückes, machte die Trompete, welche die Herolde verkündigte, ahmte die verschiedenen Geräusche des Volks nach und führte endlich das Werk von Voltaire bis zum letzten Verse der Varianten und der Noten durch.

      Das dauerte wohl vier Stunden.

      Während dieser vier Stunden belustigte sich Banniére in seiner dreifachen Eigenschaft als Zuschauer, als Schauspieler und als eingesperrter Jesuit.

      Doch Alles hat ein Ziel hienieden: brachte die Meditationsstube ihre Wirkung hervor, trug die Müdigkeit den Sieg

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