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Stilleben. Иван Тургенев
Читать онлайн.Название Stilleben
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Иван Тургенев
Жанр Русская классика
Издательство Public Domain
– Wer ist Agei Fomitsch?
– Ach, entschuldigen Sie, ich vergesse immer, daß Sie kein hiesiger Einwohner sind! Auf unseren Ordnungsrichter hat er ein sehr ergötzliches Epigramm gemacht Iwan Iljitsch, Du kennst es ja auswendig.
Agei Fomitsch – hob Bodräkow mit gleichgültigem Tone an – der Ordnungsrichter,
Gefällt dem Adel ungemein; . . .
– Sie müssen wissen, unterbrach ihn Ipatow, – daß er bei der Wahl lauter weiße Kugeln bekommen hat, denn es ist ein sehr verdienstvoller Mann.
Bodräkow wiederholte:
Agei Fomitsch, der Ordnungsrichter
Gefällt dem Adel ungemein,
Er ist und trinkt ganz in der Ordnung,
Sollt’ er kein Ordnungsrichter sein?
Der Alte lachte auf.
–Hi, hi, hi! nicht übel, nicht wahr? Sie können sich denken, daß seit dieser Zeit, wenn Einer von uns Agei Fomitsch begrüßt, er gewiß die Worte hinzusetzt: Sollt er kein Ordnungsrichter sein? Und glauben Sie etwa, Agei Fomitsch nähme es übel? Durchaus nicht! Nein – bei uns kommt das nicht vor. Sie mögen hier Iwan Iljitsch fragen.
Iwan Iljitsch blinzelte nur mit den Augen.
– Einen Scherz übel nehmen – wie ist das möglich! Hier zum Beispiel Iwan Iljitsch, wir haben ihm den Namen »Klappseele« gegeben, weil er immer sogleich Jedermann beipflichtet. Nun, fühlt sich etwa Iwan Iljitsch dadurch beleidigt? Niemals!
Mit trägem Blinzeln blickte Iwan Iljitsch zuerst den Alten, dann Astachow an.
Der Spitznamen »Klappseele« paßte in der That sehr gut für Iwan Iljitsch. Es war in ihm auch nicht eine Spur von dem, was man Willenskraft oder Charakter nennt. Er stand dem Ersten Besten, dem daran gelegen war, zu Gebote, und folgte Jedem, wohin es auch sein Erstes mochte. Man brauchte blos zu ihm zu sagen: Iwan Iljitsch, kommen Sie, so nahm er seine Mütze und ging; und kam ihm ein Anderer in den Weg und sagte ihm: Iwan Iljitsch, bleiben Sie, so legte er die Mütze fort und blieb. Er war von friedfertigem und stillem Gemüthe, nie verheirathet gewesen, spielte nicht Karten, liebte jedoch neben Spielenden zu sitzen und der Reihe nach jedem derselben in’s Gesicht zu schauen. Er konnte nicht ohne Gesellschaft leben und ertrug die Einsamkeit nicht; er wurde dann melancholisch, was übrigens nicht oft vorkam. Noch eine Eigenheit hatte er an sich; wenn er am Morgen sein Bett verließ, so pflegte er die alte Romanze vor sich hinzusummen:
»Es lebte auf seinem Gute
Vor Zeiten ein Baron . . . «
Wegen dieser Eigenheit nannte man Iwan Iljitsch auch den «Kernbeißer« Bekanntlich läßt dieser Vogel im Käsige nur ein Mal des Tages sein Pfeifen hören. So war Iwan Iljitsch Bodräkow.
Die Unterhaltung zwischen Ipatow und Astachow blieb noch ziemlich lange im Gange, wenn auch nicht in der anfänglichen, so zu sagen speculativen Richtung. Der Alte forschte Astachow über dessen Landgüter aus, über den Zustand seiner Waldungen und anderer Grundstücke, über Neuerungen, die derselbe in seinen Wirthschaftsangelegenheiten, theils einzuführen beabsichtigte, theils bereits eingeführt hatte; er theilte ihm einige seiner eigenen Beobachtungen mit und gab ihm unter Anderem den Rath, um die kleinen Erdhügel auf den Wiesen fortzuschaffen, dieselben rund herum mit Hafer zu bestreuen; das, meinte er, würde die Schweine bewegen, die Hügel mit ihren Rüsseln aufzuwühlen u. Dergl. m. Endlich jedoch, als der Alte gewahr wurde, daß Astachow’s Augen zufallen wollten und im Flusse der Rede sich eine gewisse Flauheit und Zusammenhanglosigkeit kund that, erhob er sich und erklärte auf die liebenswürdigste Weise, er wolle durch seine Gegenwart nicht länger beschwerlich fallen, hoffe aber, das Vergnügen zu haben, den theuren Gast schon morgen zu Tische bei sich zu sehen.
– Und mein Gut, setzte er hinzu, – den Weg dahin kann Ihnen nicht blos jedes Kind, das erste beste Huhn oder Bauernweib kann Ihnen denselben zeigen. Sie brauchen blos nach Ipatowka zu fragen. Die Pferde werden den Weg dorthin allein finden.
Astachow erwiderte mit einem leichten, ihm übrigens eigenen Stocken, er werde sich bemühen . . . wenn sonst kein Hinderniß dazwischen komme . . .
– Nein, nichts davon! Wir rechnen bestimmt darauf, unterbrach ihn freundlich der Alte, drückte ihm kräftig die Hand und ging behend hinaus, indem er ihm noch in der Thür, halb zurückgewendet, zurief: – ganz ohne Umstände!
Die »Klappseele« Bodräkow verneigte sich schweigend und verschwand gleich nach seinem Gefährten, nicht, ohne jedoch vorher über die Schwelle gestolpert zu sein.
Sogleich, als Astachow die ungebetenen Gäste los war, kleidete er sich aus, ging zu Bette und schlief ein.
Wladimir Sergeïtsch Astachow gehörte zu jener Classe von Menschen, welche, nachdem sie in verschiedenen Wirkungskreisen ihre Kräfte mit Vorsicht versucht haben, von sich selbst zu sagen pflegen, sie seien endlich zu dem Entschlusse gelangt, dem Leben vom praktischen Standpunkte aus ihr Augenmerk zuzuwenden und ihre freie Zeit der Vermehrung ihrer Einkünfte zu widmen. Er war kein dummer Mensch, ziemlich sparsam und sehr bedächtig, liebte die Lectüre, die Geselligkeit, die Musik, aber Alles mit Maß . . . und hielt sich sehr anständig. Junge Männer seines Schlages hat die Neuzeit in Menge aufzuweisen. Er war erst 27 Jahre alt, von mittlerem Wuchse, gut gebaut und hatte angenehme, aber flache Gesichtszüge, ihr Ausdruck wechselte fast nie und seine Augen zeigten stets denselben trockenen, hellen Blick; selten nur wurde er durch einen leichten Anflug von Schwermuth oder auch von Langeweile gemildert; ein verbindliches Lächeln kam fast nie von seinen Lippen. Sein Haar war sehr schön, blond, seidenweich und langgelockt. Wladimir Sergeïtsch besaß ein stattliches Grundeigenthum mit nahe an sechshundert Seelen und dachte an’s Heirathen; nur sollte es eine Heirath aus Neigung, zugleich aber eine vortheilhafte sein. Er wünschte besonders eine Frau zu finden, die Verbindungen hätte, denn er fand, daß er selbst deren zu wenig habe. Mit einem Worte – er verdiente den Namen eines Gentleman.
Als unser Gentleman am folgenden Morgen, seiner Gewohnheit gemäß, sehr zeitig ausgestanden war, ging er an die Arbeit, und man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, er that es ziemlich gründlich, was man bei uns in Rußland nicht immer von praktischen jungen Männern sagen kann. Geduldig hörte er die verworrenen Anliegen und Klagen der Bauern an, verschaffte ihnen Genugthuung, soweit er dazu im Stande war, schlichtete entstandene Zwistigkeiten zwischen Verwandten, ermahnte den Einen, fuhr den Andern barsch an, sah den Bericht des Gemeindeschreibers durch, brachte ein paar Schelmereien des Dorfältesten an’s Licht – mit einem Worte – seine Anordnungen waren derartig, daß er mit sich selbst zufrieden war und auch die Bauern während der Rückkehr von der Zusammenkunft sich günstig über ihn äußerten. Ungeachtet seines am Vorabende Ipatow gegebenen Versprechens, beschloß Astachow dennoch zu Hause zu speisen und hatte auch schon bei seinem provisorischen Koche seine Lieblingssuppe aus Reis und Gekröse bestellt; plötzlich jedoch, vielleicht in Folge des Gefühls der Zufriedenheit, welche seit dem Morgen seine Seele erfüllte, blieb er mitten im Zimmer stehen, schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief in einem an Waghalsigkeit streifenden Tone laut: »Ich will doch zu dem alten Schwätzer fahren!« Gedacht, gethan. Eine halbe Stunde darauf saß er schon in seinem neuen, kleinen Tarantaß, welcher mit vier rüstigen Bauernpferden bespannt war und fuhr nach Ipatowka, das auf gutem Wege nicht über zwölf Werst entfernt war.
II
Michail Nikolaitsch Ipatows Wohnsitz bestand aus zwei einzelstehenden Häuschen, die einander gegenüber zu beiden Seiten eines großen Teiches erbaut waren. Ein langer, mit Silberpappeln besetzter Damm schloß diesen Teich ab, mit dem fast in gleicher Höhe auch das rothe Dach einer kleinen Mühle zu sehen war. Gleichförmig erbaut und mit violetter Farbe angestrichen, schienen die beiden Häuschen aus den hellen Scheiben ihrer kleinen sauberen Fenster über die breite Wasserfläche hinweg einander zuzunicken. In der Mitte jedes der Häuschen trat eine halbkreisförmige Terrasse vor und erhob