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Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
Читать онлайн.Название Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Balduin Mollhausen
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Nach all diesem glaube ich nicht, daß es schwerfallen wird, den früheren Charakter der jetzigen Wüste in nächster Zukunft vollkommen festzustellen und zu bestimmen, ob die Verdrängung des Wassers allein den Anschwemmungen oder auch einer Erhebung des Bodens durch Erderschütterungen zugeschrieben werden muß. Letzteres erscheint möglich, wenn man der häufigen, jetzt noch vorkommenden Erdbeben im südlichen Kalifornien gedenkt und das Vorhandensein von Schlammvulkanen in der Wüste in Betracht zieht. Leider weiß man bis jetzt nur wenig mehr als das wirkliche Vorhandensein dieser merkwürdigen Naturerscheinung in dortiger Gegend.
Wir erreichten also am Abend des 14. Dezember den Rand der Wüste nahe der Stelle, wo der Carizo Creek im Sand versinkt. Den größten Teil des folgenden Tages brachten wir an dieser Stelle zu, einesteils, um unserer Herde vor Beginn der langen Märsche einige Ruhe zu gönnen, dann aber auch, um die erste Nacht mit zu Hilfe nehmen zu können. Die Sonne verschwand hinter den westlichen nackten Felsmassen, als wir das trockene, sandige Bett des Carizo verließen. Wir befanden uns dort nur noch 431 Fuß über dem Meeresspiegel; etwas ansteigend wanden wir uns zwischen niedrigen Sandsteinhügeln hindurch, und als die Nacht vollständig hereingebrochen war, betraten wir die Wüste selbst, die in geringer Entfernung vor uns in der Dunkelheit verschwamm.
Die Nacht war empfindlich kalt, so daß wir häufig abstiegen, um uns durch die Bewegung des schnellen Gehens zu erwärmen, doch wurde dadurch der eilige Schritt der Tiere nicht gehemmt, die, umgeben von unseren lärmenden, wachsamen Mexikanern, keine Zeit gewannen, sich in der Dunkelheit von der Herde zu entfernen. Stunde um Stunde zogen wir auf der ebenen Straße dahin; Mitternacht war längst vorüber, und wir begannen schon nach unserem ersten Haltepunkt — der Big Lagoon, einer kleinen Wasserpfütze — zu spähen, als ein Feuer in weiter Ferne vor uns diese Stelle bezeichnete. Frisch trieben wir unsere Tiere zur Eile, doch je mehr wir uns dem Feuer näherten, desto stärker schlug ein summendes Geräusch an unser Ohr, das Peacock, der erfahrene Kalifornier, sogleich als tausendfältiges Geblöke einer Schafherde erkannte.
Wir hätten es nicht unglücklicher treffen können, denn die Hoffnung auf Wasser und Gras auf der ersten Station mußten wir vollständig aufgeben. Wir eilten daher voraus, um soviel wie möglich Unordnungen zu verhüten, die beim Zusammenstoßen von verschiedenen Herden in der Dunkelheit fast unvermeidlich sind. Bei dem Feuer trafen wir acht bis zehn wild aussehende Mexikaner, die teils beschäftigt waren, ihre ewigen Tortillas zu bereiten, teils ihre Zigarillos rauchten und dabei die Fragen, die wir an sie stellten, höflich beantworteten. Sie kamen mit einer Herde von 20 000 Schafen, die in Kalifornien verkauft werden sollten, von Neu-Mexiko. Eine zweite, ebenso starke Herde folgte ihnen in der Entfernung von einigen Tagereisen nach, und wir konnten also darauf rechnen, auch dieser zu begegnen. Die Wasserpfütze hatten sie schon trocken gefunden, doch rieten sie uns, noch einige Meilen weiterzureisen bis dahin, wo wir in einem trockenen Flußbett dicht an der Straße eine tief ausgescharrte Wasserhöhle, die sogenannten Indian Wells, bemerken würden. Auch erkundigten wir uns, ob sie in Fort Yuma, wo ihr Weg vorbeigeführt hatte, nicht von der Ankunft des Schoners des Lieutenant Ives an der Mündung des Colorado Nachricht erhalten hätten, worauf sie uns mitteilten, daß man in Fort Yuma die größte Besorgnis über den Verbleib des Schoners hege, der schon vor dem 1. Dezember erwartet worden sei.
Unser Train erreichte uns endlich, und ich muß gestehen, daß es eine schwierige Arbeit für uns alle war, einen Weg zwischen den vielen Tausenden von Schafen hindurchzubahnen, die sich ringsum gelagert hatten, fast unter den Hufen der Maultiere aufsprangen und sich seitwärts drängten. Die hellen Wachfeuer der Hirten blendeten unsere Augen so sehr, daß wir den Boden von den dichten Massen der Schafe nur dadurch zu unterscheiden vermochten, daß wir uns von dem näheren oder entfernteren betäubenden Geschrei der klagenden Tiere leiten ließen.
Nach vieler Mühe gelangten wir endlich aus dem Gewirr wieder auf die Straße und erreichten gegen drei Uhr in der Frühe die Indian Wells. Wir hatten dreißig Meilen zurückgelegt, Menschen und Tiere waren erschöpft nach dem nächtlichen Ritt, wir überließen daher letztere der Freiheit, wickelten uns in die Satteldecken und schliefen fest auf dem weichen Sand, der noch zum Überfluß von einem frischen Wind fortwährend in wirbelnder Bewegung um uns her gehalten wurde.
Bei Tagesanbruch untersuchten wir zuerst die »Indianischen Brunnen« und fanden zu unserem Leidwesen nur eine tiefe Höhle in dem alten Flußbett, in der sich allerdings Wasser angesammelt hatte, doch bei weitem nicht genug, um jedem Maultier auch nur einen halben Eimer desselben verabreichen zu können. Ferner war es auch so schwierig, in den sandigen Schacht hinabzusteigen und die gefüllten Eimer an den einstürzenden Wänden hinaufzuschaffen, daß wir beschlossen, nur die beladenen Tiere zu tränken und sodann unsere Reise ohne weiteren Verzug wieder fortzusetzen. Es mochte daher kaum acht Uhr sein, als wir die Indian Wells verließen und über die Ebene dahineilten, die sich wie endlos nach allen Richtungen hin erstreckte. Wir waren seit dem vorigen Abend immer abwärts gezogen, und zwar so weit, daß wir uns nur noch 70 Fuß über dem Spiegel der Südsee befanden; hier nun umgab uns eine anscheinend horizontale Fläche, auch stellte es sich heraus, daß wir am nächsten Abend noch immer auf derselben Höhe waren. Solange der Wind schwieg, was nur während der ersten Morgenstunden der Fall war, hatten wir sehr angenehmes Reisen; dann aber begann die gelbe Fläche, die in dem hellen Sonnenschein für das Auge auf unangenehme Weise flimmerte, ihren Glanz zu verlieren; der wilde Sand, der anfangs nur in der Höhe von wenigen Zoll über dem Boden dahinstäubte, stieg allmählich vor dem wachsenden Nordwind und umgab uns schon zur Mittagsstunde wie eine dichte Wolke. Die auf dem festen Lehmboden eingedrückten Spuren leiteten uns auf dem Weg, dessen Richtung wir nur auf eine kurze Strecke vor uns zu erkennen vermochten, denn feine Sandteile erfüllten die Atmosphäre in dem Maße, daß wir nicht ohne Schwierigkeit atmeten und die Augen und den Mund fast fortwährend geschlossen halten mußten.
Gegen Abend legte sich der Wind allmählich, und die Sonne, die während des ganzen Tages ungetrübt von dem wolkenlosen Himmel auf den Sandsturm niedergeblickt hatte, tauchte endlich in die verdichtete Atmosphäre, die trotz der sich einstellenden Ruhe noch immer bis zu einer Höhe von sechzig Fuß die graue Farbe des feinen Wüstensandes trug. Nie sah ich eine merkwürdigere Beleuchtung als an diesem Abend; die eilenden Staubwolken, nicht dicht genug, um die Sonne ganz zu verbergen, raubten ihr dafür die Strahlen und ließen sie als eine rotbraune Scheibe erscheinen, deren Färbung sich in dem Maße verdunkelte, als sie dem Horizont näher trat. Wie eine matt erleuchtete, blutrote Glasglocke schimmerte die letzte Hälfte des untergehenden Gestirns durch den Sandnebel zu uns herüber, als wir in ein trockenes Flußbett hinabritten und bei dem Brunnen, der unter dem Namen Alamo Mucho bekannt ist, abstiegen.
Wir befanden uns nunmehr fast in der Mitte der Wüste und hatten seit dem vorhergehenden Abend zweiundfünfzig Meilen zurückgelegt. Der Mangel des Wassers war durch den Sandsturm doppelt fühlbar geworden; traurig standen unsere schmachtenden Tiere umher oder suchten auf dem dürren Sand vergeblich nach Grashalmen und Pflanzen. Auch an dieser Stelle sollten sie den brennenden Durst noch nicht stillen, denn bei unserer Ankunft trafen wir mit einem kleinen Kommando Soldaten zusammen, die von Fort Yuma aus dorthin gesandt worden waren, um den halb versandeten Brunnen zu reinigen. Diese Arbeit hatten sie freilich gerade beendet, doch fanden wir statt des ersehnten Wassers nur dicken Schlamm und schätzten uns glücklich, daß wir zu unserem eigenen Gebrauch etwas von dem Vorrat der Soldaten beziehen konnten.
Der Name »Alamo mucho«, was soviel bedeutet wie »Überfluß an Cottonwood-Bäumen«, paßt jetzt durchaus nicht mehr für jenen Punkt, indem die wenigen Bäume, nach denen die Benennung geschah, schon längst gefällt wurden und nur noch die morschen Stumpfe sichtbar sind. Diese sowie der Brunnen befinden sich also in einer Vertiefung, die von einem alten Wasserlauf herzurühren scheint und ungefähr dreißig Fuß niedriger liegt als die Oberfläche der Ebene. Der Brunnen hat eine Tiefe von achtzehn Fuß, die Wände desselben sind durch Bretter gegen das Einstürzen geschützt, so wie auch die Öffnung von einem rohen hölzernen Kasten umgeben ist; ein Beweis, welche Wichtigkeit der Erhaltung dieses kleinen Wasservorrats beigelegt wird. Wie wenig ausreichend derselbe aber ist, das erkennt man leicht an den zahlreichen Gerippen und, ich möchte sagen, ausgedörrten Mumien von Tieren, die nicht nur auf der ganzen Straße, sondern auch in der unmittelbaren Nähe des Brunnens