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Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Heinrich Seidel
Читать онлайн.Название Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Heinrich Seidel
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Einstweilen hatte ich aber keine Zeit, diesen wunderlichen Betrachtungen weiter nachzuhängen, denn wir hatten das Land erreicht und stiegen aus.
Herr Wohland, der bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte, sagte auch nun nichts, sondern forderte uns nur durch eine Handbewegung auf, ihm zu folgen. Ich wechselte einen Blick mit Adolf, dem ich anmerkte, dass es ihm gefiel, durch diese Wendung der Dinge in das geheimnisvolle Innere der Insel zu gelangen. Die unterdrückte Freude leuchtete ihm aus den Augen. »Fein!« sagte er nur ganz leise und nickte mir zu.
Der Fahrweg, sichtlich seit lange nicht benutzt, war mit Gras bewachsen und stieg langsam bergan, mit seinen Windungen den tiefsten Bodenstellen zwischen zwei benachbarten Hügeln folgend. Es war dort dunkel, obwohl die Sonne schon wieder schien, denn ein unglaublich dichter Baumwuchs schloss ihn ein und wölbte sich darüber hin. Einzelne alte Eichen und riesenhafte, knorrige wilde Obstbäume bildeten den Bestand, und dazwischen waren als Unterholz Dornbüsche aufgeschossen, die ein undurchdringliches Dickicht bildeten und sich mit starken, schwarzen, gewundenen Stämmen und dunklen Kronen zu uralten Bäumen ausgewachsen hatten. Nach dieser dumpfigen Urwaldsdunkelheit war es um so wirksamer, als wir plötzlich von einem schmalen Seitenpfade aus auf eine sonnenglänzende Lichtung traten und vor uns auf der Anhöhe ein Haus mit vielen Giebeln und einem Turm erblickten, das überall mit dem mannigfachsten Rankenwerk bis zur Galerie des Turmes überwachsen war, so dass man an keiner Stelle etwas vom Mauerwerk erblicken konnte. Selbst über die steilen schwarzen Schieferdächer spannen sich hier und dort die schnurgeraden Ranken des wilden Kletterweines dahin. Doch hatten wir jetzt keine Zeit, noch weitere Beobachtungen zu machen, denn Herr Wohland ging mit uns rasch auf das Haus zu und stellte an uns das energische Verlangen, uns auszuziehen und ins Bett zu gehen. Dies war nun allerdings ungeheuer gegen unsre Ehre, denn wenn wir einmal im Sommer ins Wasser fielen oder vom Regen durchnässt waren, wie es oft geschah, so hielten wir es für die einzige männerwürdige Methode, unsre leinenen Anzüge an Sonne und Luft wieder trocknen zu lassen, während wir darin blieben. Wir schlugen vor, zur Beschleunigung dieses Trockenverfahrens draussen im Sonnenschein allerlei Dauerläufe und akrobatische Kunststücke wie Radschlagen und dergleichen zu verrichten, und beschworen, dass wir die Erspriesslichkeit dieses Verfahrens in unzähligen Fällen schon erprobt hätten, allein das half uns alles nichts. Herr Wohland lächelte zwar ein wenig, aber er führte uns in ein Zimmer, in dem ein grosses breites Bett, wahrscheinlich sein eignes, stand, blitzte uns mit seinen dunkelgrauen Augen an und sagte nur, indem er auf das Bett deutete: »Rein! Halbe Stunde drin bleiben. In fünf Minuten komm‘ ich wieder.« Damit ging er hinaus.
»Was sollten wir machen? Dieser wortkarge Mann flösste uns einen mächtigen Respekt ein, und wir waren am Ende in seiner Gewalt. Auch meinte er es offenbar gut mit uns, obwohl er von unsrer Männlichkeit so harte Opfer forderte.
Widerwillig, aber ziemlich rasch entkleideten wir uns und krochen mit Protest unter die warme Decke. Dann kam Herr Wohland wieder herein und trug eine vierkantige Flasche und zwei kleine Gläser. Er schenkte einen dunkelroten, funkelnden Wein in diese, hielt jedem von uns ein Glas hin und sagte: »Austrinken! Warm werden!«
Diese Vorschrift, die unsrer Ehre nicht zu nahe trat und unsrer Männlichkeit schmeichelte, erfüllten wir mit Hingebung. Es war ein süsser, starker Wein, der mir, wie es schien, gleich bis in die Finger- und Fussspitzen rieselte. Die Bereitwilligkeit, mit der wir diese Medizin einnahmen, schien Herrn Wohland mit Befriedigung zu erfüllen, er nickte und ging hinaus, nicht ohne Flasche und Gläser wieder mit sich zu nehmen. Nachträglich ist es mir aufgefallen, welchen merkwürdigen Respekt uns dieser einsame Mann in so kurzer Zeit eingeflösst hatte. Denn wir wagten seiner, nach unsrer Ansicht ungerechtfertigten und ganz thörichten Anordnung nicht im geringsten zu widersprechen und lagen die ganze vorgeschriebene Zeit über unter unsrer Decke wie Gottfried Kellers gerechte Kammmacher gleich zwei Heringen unter einem Blatt Papier, während es doch unsern natürlichen Trieben entsprochen hätte, diese unnatürliche Situation durch eine solenne Balgerei zu einer Hauptfestlichkeit zu gestalten.
Während nun also Adolf wie eine pädagogische Latte mit den Händen an seiner nicht vorhandenen Hosennaht auf dem Rücken lag, sagte er: »Hast du den Pfau gesehen, der auf dem Dache sass?«
»Ja,« antwortete ich, »und Goldfasanen waren da auch.«
»Hast du aber auch den Papagei gesehen?«
»Nein,« antwortete ich, »wo?«
»Sah grün und rot aus; sass in einer Eiche und schrie lauter als eine Krähe!«
Von draussen kam durch das geöffnete Fenster ein rauher schriller Ton, märchenhaft und unbekannt.
»Das war er wieder,« sagte Adolf.
Während wir nun auf eine Wiederholung dieses Schreies horchten, schlug die tiefe Stimme des Herrn Wohland an unser Ohr, wir verstanden aber nicht, was er sagte. Von dem aber, was eine helle weibliche Stimme ihm antwortete, drangen verschiedene Bruchstücke an unser Ohr: »Herr, du meines Lebens!« verstanden wir, »… ne aber, ich sag‘ man … in das kalte Wasser…, ja, was so richtige Jungs sünd, das sünd auch ümmer richtige Bambusen!« (Wir quittierten dankend für diesen Ehrentitel) … »Un in Herrn Wohland sein eigen Bett! … ne, aber so was, da will ich doch man gleich … die arm‘n Jungs … Na, Essent un Trinkent hält Leib un Seel‘ zusammen! … Stina! Stina!« – dann wurde es still, aber andre Geräusche drangen an unser Ohr, ein mannigfaltiges Klirren und Klappern von Küchengerät und nach einer Weile ein Bullern von starkem Holzfeuer und starkes Zirpen und Prätzeln wie von Butter in einer Bratpfanne.
»Das riecht nach Pfannkuchen!« sagte Adolf nach einer Weile.
»Können auch Bratkartoffeln sein!« meinte ich.
»Ich sage, Rührei mit Speck!« lautete Adolfs neueste Hypothese. »Gebratene Klösse sind auch etwas Feines!« rief ich, der, als der einfacher Gewöhnte von uns beiden, keine zu hohen Vorstellungen von den uns erwartenden Genüssen aufkommen lassen wollte.
Doch hatten wir keine Gelegenheit, uns in noch weiteren Hypothesen zu ergehen, denn Herr Wohland kam wieder herein, mit einem Arm voll von Kleidungsstücken, die er bei dem Bette niederlegte, mit der Aufforderung, uns derer zu bedienen, so gut es ginge. Dann entfernte er sich wieder. Unser Glück war, dass Herr Wohland schlank war und nur von Mittelgrösse, während wir für unser Alter ziemlich lang aufgeschossen waren, sonst hätten wir in seinen alten Kleidern, in denen wir mit vielem Lachen heimisch zu werden versuchten, wohl eine sehr komische Rolle gespielt. Sie waren uns zwar reichlich geräumig, aber mit aufgekrempten Ärmeln und Hosenbeinen machte es sich, und wir sahen darin noch immer weniger lächerlich aus als ein Gigerl von heutzutage. Die hingestellten Schuhe passten uns, da wir beide auf ziemlich grossem Fusse lebten, wie angegossen.
Als Herr Wohland uns wieder abholte, trug er einen grossen Korb mit vier Fächern in der Hand, der mit allerlei Sämereien und anderm Vogelfutter gefüllt war. Wir gingen auf den grossen Rasenplatz vor dem Hause, der, rings von Wald begrenzt, sich den Hügel hinab senkte und hier und dort mit mächtigen Steinblöcken bedeckt war. Um diese herum waren, gleichsam als hätte die Natur sie aus sich selbst hervorgebracht, Gebüsche und Blumengruppen angelegt. Nirgendwo, auch am Hause nicht, war etwas von künstlichen Steigen zu bemerken, nur einige schmale, nach Bedarf getretene Fusswege durchwanderten scheinbar launisch diese grüne Senkung. In der Mitte stand eine prachtvolle ausländische Tanne, wie ich jetzt weiss, eine Nordmannia. Herr Wohland ging bis an diesen Baum und läutete an einer Glocke, die dort auf einem Gestell angebracht war. Kaum waren die Töne verhallt, so kam eine Anzahl von Rosellapapageien mit reissendem Fluge über die Wipfel geschossen und fiel auf der schönen Tanne ein, wo sie seitwärts auf den Zweigen gingen und verlangend nach dem Korbe hinsahen. Und nun tönten die schrillen Schreie von allen Seiten. Rosenfarbige Kakadus und weisse mit gelben Hauben hoben sich schimmernd vom dunkeln Geäst ab, schwangen sich flügelblitzend durch die Luft oder rüttelten unentschlossen über dem verlockenden Korbe; Fasanen, die in allen