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der sinnlichen Gewissheit. Leo Singers ewiger Kampf mit Judith Katz führt ihn zu billigen Huren und zum Alkohol. Das große Werk existiert einfach nur in seinem ›G’schichtl-Erzählen‹. Er kann weder seine Theorie in die Praxis umsetzen, noch seinen Gedanken eine schriftlich fixierte Form geben. Singers Zerfall ist aber auch im Körper determiniert. Er kann nicht einmal sein eigenes Leben gestalten. Er ist überzeugt davon, dass ein Philosoph sich im Stadium des absoluten Geistes von den körperlichen Begierden befreien kann. Begierde und Lust bedeuten bei ihm erneut eine unklare geistige Vereinigung, und eben diese sture Idee wird zu seiner Lebenslüge. Er pendelt zwischen der seligen Zeit und der brüchigen Welt dialektisch hin und her: Als das totalitätszentrierte (nicht) selbst gemachte Werk in einer Sackgasse landet, verzichtet Leo Singer darauf und wendet sich den wesentlichen Dingen des Lebens zu. Als er jedoch am Leben scheitert, zieht er sich an seinen Schreibtisch zurück. Er ist in seine eigene Geschichte eingeschlossen und verwirklicht die Scheinwirklichkeit der Anfangssituation: Er erkennt sein Ich-Bild weder im selbst gemachten Spiegelbild noch im wirklichen Spiegel, den Judith Katz vor ihn stellt. Tatsächlich ist Menasses Roman »ein Abgesang auf Größenwahn und Allmachtsideen«. Leo Singer maßt sich »ein Werk von messianischer Bedeutung an. Judith dagegen, die musische Gottheit, ist in der brüchigen Welt zugrunde gegangen, ohne ihre Funktion erfüllt zu haben, denn das von ihr bewahrte Werk ist lediglich eine Kopie der selbstgefälligen Monologe Leos.«9 Leo Singer opfert Judith, das Symbol des Lebens, das Medium des großen Werkes. Seine große Tat wird durch den Mord legitimiert. Das Werk verliert aber an Bedeutung: Nach dem Erscheinen werden nicht mehr als fünf Exemplare verkauft, so der allwissende Erzähler, der Roman Gilanian nachahmen sollte.

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      Schauplatz des Romans ist das Waldviertel, die tiefste österreichische Provinz, deren kleine Gemeinde Komprechts touristisch entwickelt werden soll. Die Figur Roman fällt familiär, sozialpolitisch und mental in eine Welt zurück, die er einmal schon überwunden hatte. Er muss also wieder vor der totalen Zusammenhanglosigkeit der Welt fliehen. Mit einer Videokamera versucht er, sein Leben zu registrieren und ihm so einen Sinn zu geben. Er nimmt alles auf, aber in den Aufnahmen ist dennoch nichts Wesentliches zu sehen. Er ist trotz seiner Zielsetzung nie am richtigen Ort und nie zur richtigen Zeit. Die Geschichte kann nicht einmal technisch objektiviert werden. Informationen über die bereits thematisierten Videoaufnahmen in »Schubumkehr«bekommen wir von gestaltlosen Figuren in Form unbenannter Dialoge. Roman selbst erscheint nie in den Szenen des Films, er bildet sich nicht ab, er kann nicht evoziert werden. Deshalb gibt es nur leere Lichteffekte im selbst gemachten Film: Es gibt niemanden mehr, der zu sehen ist, aber auch niemanden, der sehen könnte. Es wird noch immer das Ganze beansprucht, die Welt erlebt aber die letzten wahnsinnigen Stadien einer negativen Entwicklungsgeschichte, die globale Züge trägt. Roman verschwindet am Ende des Romans, er ist wieder dort angelangt, von wo er sich aufgemacht hatte: Die Heimatlosigkeit am Anfang in Brasilien und am Ende in Österreich werden übereinander kopiert.

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      Der erste Erzählstrang thematisiert die spanische Inquisition des 17. Jahrhunderts und die Vertreibung der portugiesischen Juden aus ihrer von ihnen als paradiesisch empfundenen Heimat, während der zweite Erzählstrang Österreich aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt. Die Geschichte wiederholt sich nur scheinbar: Sowohl der Völkermord im Namen der katholischen Kirche als auch der Holocaust nach der arischen Rassenlehre beruhen auf böser menschlicher Berechnung. Menasse lässt eine historisch fundierte christlich-katholische Wahnsinnsideologie in einer biografisch untermauerten Schicksalsgeschichte und eine zeitgenössische linksliberale Karriere eines Historikers parallel laufen. Der ehemalige Samuel Manasseh ben Israel wird Schriftgelehrter, Politiker und Lehrer, hingegen ist der gegenwärtige Viktor Abravanel im Werk von Menasse eine bekannte, wiederholt vorkommende Figur, die die großen Ereignisse des Lebens aus Feigheit, Unverständnis oder aus Dummheit verpasst. Sie teilen ein epochenübergreifendes Schicksal: Unvorbereitet begegnen beide Hauptfiguren der Zugehörigkeitspflicht zum Judentum, die von anderen geregelt und dementsprechend vorgeschrieben wird.

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      Im darauf folgenden Roman widmete sich Menasse einem Amalgam von Archetypen der europäischen Neuzeit die weltliterarisch als wandernde und epochenübergreifende Figuren gelten. Don Juans und Don Quijotes ideologische Erbschaften werden von Menasse simuliert. Endergebnis und Kopie bilden eine Mischung namens »Don Juan de la Mancha«, dessen sexuell-intellektuelle Entwicklungsgeschichte vom letzten Stadium der Unlust her erzählt wird. Menasses Protagonist Nathan ist ein späterer Neffe des Don Quijote und besteht nicht mehr auf ritterlichen, sondern auf von den Medien beeinflussten Idealen. Er ist auch kein Don Juan im wahren Sinne des Wortes: Nathan ist ein sexsüchtiger Typ, der die Lust im Laufe seiner erotomanischen Heldentaten einfach verliert. Menasse stellt die Erziehung beziehungsweise Rückentwicklungsgeschichte der Lust eines intellektuellen Tollpatsches unserer Zeit in sexual- und psychoanalytisch simulierter Stilübung dar.

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