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FILM-KONZEPTE 64 - Andreas Dresen. Группа авторов
Читать онлайн.Название FILM-KONZEPTE 64 - Andreas Dresen
Год выпуска 0
isbn 9783967075823
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия FILM-KONZEPTE
Издательство Bookwire
WAS JEDER MUSS … Körper als Mechanismus
Der entsprechende Eindruck wird in der Sequenz weiter forciert mit Aufnahmen, die von den angetretenen jungen Männern nur noch ausgerichtete Reihen von Stiefeln oder Helmen zeigen, dazwischen lediglich eine Spur des Lebendigen: das vertraute Gesicht des Protagonisten seitlich von hinten in einer nahen Aufnahme, jedoch visuell eingezwängt zwischen Helm, Riemen und Uniformteilen; einmal auch eine kleine abweichende Fußbewegung in der ausgerichteten Reihe. Dazu ertönt eine dröhnende Kommandostimme. Sie spricht die befohlenen Gruß- und Eidesformeln vor; die Soldaten haben sie solange zu wiederholen, bis das Ergebnis befriedigt, immer wieder unterbrochen vom Kommando »einheitlicher und lauter!«. Nachdem die ungeheuerliche Abschlusszeile des Eids »… und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen« nach mehrfacher Probe hinreichend lautstark deklamiert wurde, kippt die Offiziersstimme in einen Klang fast schon ziviler Routine: »wir lassen es dabei bewenden«. Die Ironie der visuellen Perspektivierung und der Bild-Ton-Montage der Sequenz, die mit bitterer Komik das Groteske des gesamten Rituals hervortreibt, ist offensichtlich. Vom Pathos des Eides bleibt durch die offengelegte Mechanik der Wiederholung, die vor allem auf Lautstärke und Einheitlichkeit aus ist, nichts übrig. In der ironischen Akzentuierung von WAS JEDER MUSS … entsteht damit eine Metapher: »das politische Bekenntnis als Lippenbekenntnis, bei dem es nur noch um die Formel ging«. »Dieses stupide Training war plötzlich ein trauriges, entlarvendes Gleichnis auf die Entleerung der sozialistischen Idee. Überall nur öde geistlose Rituale und sinnlose Disziplin«,6 so hat es Dresen selbst formuliert.
JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN zeugt ebenfalls von Ironie, wenn auch einer etwas anders gearteten Form. Bereits der Titel ist dafür ein Indiz, denn natürlich spielt er – in Umkehrung der Jenseits-Richtung – auf den Kinohit JENSEITS VON AFRIKA (OUT OF AFRICA, 1985) an. Zwar stammt einer der Brigadeteilnehmer tatsächlich aus Klein Wanzleben, aber der sprechende Name des zu Filmbeginn sogar kurz besuchten, eher trist ins Bild gesetzten Börde-Ortes steht im Titel natürlich für die Enge der DDR.
Die Erzählung des Films geht dann von der Interview-Auskunft eines der parteischulvorgebildeten Protagonisten, von dem aus Klein Wanzleben, aus. Er erklärt wortreich, ihn und seine Frau habe es gereizt, einmal die Sicherheit, das Geregelte und Geborgene des DDR-Lebens auf Zeit hinter sich zu lassen und das Abenteuer, Ungewissheit und das nicht Vorprogrammierte zu suchen. Was Dresens Film dann aber gleichsam zum Haupterzählstrang macht, ist zu beobachten, wie die Gruppe dabei ist, in den aufgebauten Häusern des Camps die üblichen DDR-Wohnzimmer mit den vom FDJ-Zentralrat entsandten Schrankwänden, Polstergarnituren, individuell ergänzt durch Häkeldeckchen, einzurichten. Mitten im Busch suchen sie eine genaue Replik ihres DDR-Lebens herzustellen. Die mitgereisten Kinder werden von einer Teilnehmerin nach heimatlichem Schema unterrichtet, für die Kamera legen sie sogar die Pionierhalstücher an, und noch das gehortete Klopapier kommt aus dem Zentralrats-Container. Die Welten der DDR-Familien und der afrikanischen Bauarbeiter mit ihrem Umfeld bleiben außerhalb weniger Arbeitsszenen und selbst bei einer organisierten abendlichen Freiluftvorführung eines Films über die DDR-Hauptstadt eher getrennt. Man bleibt unter sich. Auf den filmisch akzentuierten Widerspruch des Ganzen zu der Idee, den Alltag und die engen Regeln der DDR zu verlassen, angesprochen, reagieren alle irritiert und verlegen um Antworten bemüht, die in den Augen des Zentralrats noch als politisch korrekt gelten könnten; eine der Frauen beharrt auf ihrem Recht auf Gemütlichkeit. Die Ironie liegt hier auch darin, dass das von den ›Abenteurern‹ duplizierte DDR-Leben in der Verfremdung durch die afrikanische Umgebung besonders bizarr wirkt. Irgendwie erscheint der hier und da teils in kontrastierenden Montagen ins Bild kommende Alltag derer, denen die Solidarität gelten soll, deutlich lebendiger als der Alltag jener, die Solidarität bringen wollen, aber vor allem mit ihrer eigenen Lage beschäftigt sind.
JENSEITS VON KLEIN WANZLEBEN: Ein DDR-Wohnzimmer im Busch von Simbabwe
Obwohl noch studentische Arbeiten, die zudem mit ihrer Zeitzeugenschaft die Realität der sich bald darauf auflösenden DDR reflektieren, setzen die beiden frühen Dokumentarfilme bereits für einiges den Ton, das für Dresens Filmarbeit folgenreich werden sollte. Das betrifft schon die Teams. Mit Andreas Höfer, dem Kameramann beider Filme, arbeitete und arbeitet Dresen bis heute bei einer Vielzahl seiner Projekte immer wieder zusammen. Das gleiche gilt für Laila Stieler, die bereits zu WAS JEDER MUSS … und seither bis hin zu RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH (2022) mindestens acht Drehbücher für Dresen-Filme schrieb oder mitschrieb. Und – wie Andreas Dresen erzählte – habe er schließlich bei der JENSEITS-VON-KLEIN-WANZLEBEN-Premiere an der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche seinen Produzenten, Peter Rommel, kennengelernt, mit dem sich dann eine ebenfalls bis heute andauernde fruchtbare Zusammenarbeit anbahnte.7
HERR WICHMANN VON DER CDU: Visuelle Ironie – der Protagonist im Kreis der Werbeträger
Auch die Techniken des ironischen Erzählens treten in Dresens späteren Filmen immer wieder hervor, eher punktuell in Spielfilmen. Im Dokumentarfilm greift er sie aber wiederholt auf, vor allem in seinen beiden Filmen über den Brandenburgischen Lokalpolitiker Wichmann. Unter den neuen Bedingungen der demokratischen Gesellschaft ringt Dresen nicht mehr mit der versteinerten Realität, wie sie die Endzeitjahre der DDR prägte, dennoch provoziert ihn beim Blick auf Wichmanns Wahlkampf ebenfalls manches zur Entleerung tendierende Ritual und der Leerlauf konventioneller Formeln. Auch daran akzentuiert er dann gern mit ironischem Blick Bizarres.
Epiphanien, harte Konflikte und Figuren, die sich nicht unterkriegen lassen
WOLKE 9 erzählt die Geschichte von Inge (Ursula Werner), einer Frau um die 70, die mit ihrem etwas älteren Mann Werner (Horst Rehberg) ein ausgeglichenes Rentnerleben führt, bis Inge den noch etwas älteren, aber agileren Karl (Horst Westphal) kennenlernt, mit dem sie eine Affäre beginnt. Sie verlässt schließlich nach inneren Konflikten und einem Streit Werner, der sehr unter der Trennung leidet, und zieht zu Karl. Als sich Inge und Werner etwas später bei einem Familienfest im Garten der Tochter (Steffi Kühnert) wieder treffen, scheint Werner sich mit der Situation abgefunden zu haben. Beide gehen anschließend noch ein Stück des Heimwegs zusammen und kramen in Erinnerungen. Kurz darauf erhält Inge bei Karl einen Anruf. Sie erfährt mit großer Bestürzung, dass Werner sich umgebracht hat.
Bei einer Diskussion zu diesem Film, 2014 an der Universität Zürich, fragte eine engagierte Teilnehmerin Andreas Dresen, warum er die Geschichte nicht mit dem versöhnlich erscheinenden Auseinandergehen nach dem Gartenfest hat enden lassen. Sie hätte sich das so sehr gewünscht. Er antwortete sinngemäß, Lebensentscheidungen wie diese hätten Konsequenzen, er habe keinen Kitsch produzieren wollen.
WOLKE 9: Ein Melo-Element – die gleichgültig vorbeiziehende S-Bahn im Sturzregen intensiviert im Äußeren Inges inneres Dilemma
Diese Antwort erscheint charakteristisch für die Art und Weise, wie Dresen in seinen Filmen mit Konflikten umgeht und mit den Figuren, die diese Konflikte austragen. Das lässt sich an WOLKE 9 gut beobachten. Obwohl die Erzählung des Films überwiegend Inge begleitet und sukzessive Verständnis für sie weckt, für ihr Begehren, auch für das dann von