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Raunen dunkler Seelen. Isabella Kubinger
Читать онлайн.Название Raunen dunkler Seelen
Год выпуска 0
isbn 9783991079767
Автор произведения Isabella Kubinger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Wenn alles gut geht, sehen wir uns alle bald wieder gesund und unverletzt.“ Halvar selbst schien in schönen Erinnerungen zu schwelgen. Weit entfernt von dieser kalten Hütte. Weit entfernt von den unendlichen Gefahren. Zu Hause. Ich vermisste diesen Ort. Obwohl, wenn ich ehrlich war, würde selbst nach meiner Rückkehr nach Katalynia nichts mehr so sein, wie zuvor. In meiner einstigen Heimat galt ich nun als gesuchter Verräter. Niemand würde mich mehr herzlich empfangen. Onayas. Die Hochkönigsburg. Nichts davon wäre mehr Zuhause. Sobald ich Reena wieder in meinen Armen halten könnte, würde ich einen neuen sicheren Ort für uns beide finden, den wir uns mit unseren Freunden teilen werden. Ein neuer Ort. Ein neuer Anfang.
***
Jedes Mal Ausatmen bildeten sich weiße Wölkchen vor meinem Gesicht. Die frische Nachtluft roch frostig und deutlich nach Schnee. Ich musste kein Genie sein, um zu wissen, dass es bald bis ins Tal herabschneien würde. Um mich herum erwachten langsam auch schüchterne Waldtiere und genossen die ersten orangen Sonnenstrahlen. Viel Wärme schenkten sie nicht mehr. Dafür war der Herbst bereits zu weit fortgeschritten. Kristallener Frost hatte verfärbte, herabgefallene Blätter und die weichen Grashalme mit seinem hellen Weiß überzogen und verriet nun jede Bewegung mit klarem Kacken. Bis zur Mittagszeit würde dieses verräterische Eis auch verschwunden sein. Für ausgebildete Spurenleser zwar kein Problem, aber dennoch fühlte ich mich wohler mit dem Wissen, dass unsere Fußspuren nicht für jede Menschenseele sichtbar waren.
„Ein Lichter Prinz hält die nächtliche Wachschicht und das bei diesen frostigen Temperaturen? Vielleicht habe ich dich doch etwas unterschätzt. Mir scheint, als wärst du ganz in Ordnung.“ Mit noch etwas steifen Bewegungen lehnte Corvin sich neben mir an die weiche Holzwand und sah den sich verfärbenden Himmel mit sehnsüchtigem Blick an. Ein Kompliment so früh am Morgen, aus dem Mund eines morodekischen Kriegers. Unerwartet.
„Ich bin immer für Überraschungen da.“ Was? Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Um Himmels Willen. Flirtete ich gerade mit Corvin. Es wäre eine strafbare Lüge, ihn nicht als attraktiv zu bezeichnen, aber dennoch fühlte ich mich nicht auf die notwendige Art und Weise zu ihm hingezogen, welche nötig wäre, um in den Flirtmodus zu schalten. Hoffentlich hatte er meine Aussage nicht genauso falsch gedeutet. Vorsichtig spähte ich zu ihm, doch Corvin schien nur mit einem Ohr bei mir zu sein. Der Rest seiner Seele schwebte weit weg zwischen winterlichem Sonnenaufgang und frostiger Nacht.
„Es ist schon lange an der Zeit, mich bei dir zu bedanken.“ Bedanken? Wofür? Ich war der Grund, warum einige seiner Leute am gestrigen Tag ihr Leben hatten lassen müssen. Wegen mir und meinen beiden besten Freunden hatten sie ihre sterblichen Seelen riskiert, um uns aus unserem luxuriösen Gefängnis zu befreien. Vielleicht hatten sie durch diese Aktion auch einen starken Verbündeten oder angenehmen Handelspartner verloren. Ich traute diesen Unterweltlern einen Handelsbund mit dem tödlichen Norden mehr als nur ein klitzekleines bisschen zu.
„Ich verstehe nicht ganz.“ Als hätte ich ihn geschlagen, drehte er sich mir unerwartet schnell zu. Nun hatte ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Irgendetwas an diesem Krieger war merkwürdig. Ich fühlte mich unter seinem undurchdringlichen Blick, als wäre ich ein offenes Buch. Unsicher wartete ich auf seine Antwort. Jedoch erwartete ich viel mehr, dass er mich einfach kopfschüttelnd hier draußen allein stehen lassen würde. Ja, das würde perfekt zu diesem schattenhaften Soldaten passen.
„Erstaunlich.“ Interessiert musterte er mich. Kein Fünkchen Arroganz oder triefender Hass. Nur pure Neugier. „Ich will mich dafür bedanken, dass du mich nicht einfach verblutend in der Gasse liegengelassen hast. Du hast mich, ohne zu überlegen, mitgeschleppt, obwohl das deine Chancen auf Freiheit derartig verschlechtert hatte. Es passiert nicht oft, dass einem ein Fremder, ohne mit der Wimper zu zucken, das Leben rettet, besonders nicht in einer derartigen Situation. Menschen sind egoistisch und denken meist an sich selbst. Ich wollte dich das nur wissen lassen.“ Ohne auf meine Reaktion zu warten, wandte er sich ab und marschierte um die Ecke in die warme Hütte zurück. Das war alles. Corvin erwartete nicht mal ein ‚Gern geschehen‘ von mir.
Nach einigen tiefen Atemzügen zwang auch ich mich, Corvin nach innen zu folgen. Dorthin, wo Verantwortung und Realität lauerten. Das magische Bild von heute Morgen mit den glitzernden Frostkristallen und dem blutrot verfärbten Himmel würde damit vollends zunichte gemacht werden. Was soll‘s? Ohne mir ein klitzekleines Zögern zu erlauben, trat ich durch die morsche Holztür und stand dem ausgerüsteten Trupp gegenüber. Sowohl meine Leute als auch die morodekischen Krieger waren mit den wenigen Waffen, die wir besaßen, ausgerüstet und in dicke Schichten von zerfetzten Vorhängen und stinkenden Bettlaken gewickelt. Unauffällig würde ich unsere Aufmachung zwar nicht bezeichnen, aber besser als zu erfrieren war es alle Mal. Schließlich würden wir bis in die von unerbittlichen Schneestürmen eroberte Gipfelebene vordringen müssen, um an den versteckten Eingang zu gelangen.
„So, da wir nun alle bereit sind, können wir ja los.“ Wenig begeistert klatschte Corvin mit seinen in dicken Handschuhen steckenden Händen zusammen und nahm somit die ungeteilte Führung an sich. Nun hieß es wieder nach seiner Pfeife zu tanzen, was einerseits einen bitteren Geschmack hinterließ, andererseits auch logisch erklärbar war. Schließlich hatte ich keinen Dunst, wie wir uns von diesem heruntergekommenen Ort zum richtigen Teil der Gipfelebene bewegen sollten.
Schweigend wanderten wir nun durch die kahlen Wälder. Alles wirkte so anders als noch vor ein paar Tagen. Bei unserer Ankunft hatte die gesamte Glasscherben Ebene gewirkt als würde hier warmer Hochsommer vorherrschen. Hingegen schien nun der Winter mit seinen eisigen Zähnen verbissen angenehme Temperaturen fernzuhalten. Frostiger Wind blies uns um die bereits eingefrorenen Ohren und es roch mehr als deutlich nach frischem Schnee. Frustriert seufzend wandte ich mich um und sah meinem besten Freund in die Augen.
Aaron stapft lustlos, wie ein störrisches Kind hinter mir her und fluchte unüberhörbar über jede erdenkliche Sache. Von kratziger Kleidung bis hin zu seinem mageren Frühstück und dass er bis zu unserer Ankunft bereits an Hunger verstorben sein würde. Gut zu wissen, dass selbst eine solch ausweglose Situation seinem unbändigen Drang zu reden keinen Einhalt gebieten konnte. Zumindest etwas, das diesem eintönigen Marsch mehr Abwechslung einbrachte.
Hinter ihm hingegen, schien Halvar unser teilweise nerviges Plappermaul bereits zu den Göttern schicken zu wollen. Mit finsterer Miene hielt er gerade so weit wie möglich Abstand, um nicht jedes einzelne Wort zu verstehen, aber dennoch nicht zu weit, um den Anschluss zu verlieren.
Es war beinahe schon wie in alten Zeiten. Außer, dass wir uns in einer weitaus schlechteren Ausgangslage befanden und der raffinierte, schweigsame Ragnar fehlte. Seit meinem zwölften Geburtstag und der lebensverändernden Einführung in die grausame Kriegskunst waren wir vier, Aaron, Halvar, Ragnar und ich, unzertrennbar gewesen. Kommunikation war überbewertet. Unser Team war derartig zusammengeschweißt, dass wir uns prachtvoll ergänzten und zu einer beinahe unschlagbaren Größe entwickelt hatten. Auch wenn mich Ragnar jahrelang belogen hatte, war er mir nie in den Rücken gefallen oder dergleichen. Allein deshalb war ich schon froh, ihn an der Seite meiner Schwester zu wissen.
Bald. Schon sehr bald werde ich sie wiedersehen. Alle beide.
***
Gefühlt waren wir der schneebedeckten Gipfelebene kein Stückchen näher gekommen. Schritt für Schritt fielen mir meine schweren Augenlider immer öfter zu und ließen sich kaum mehr öffnen, geschweige denn offen halten. Zu blöd, dass uns Kiral Theron vermutlich bereits dicht auf den Fersen war und wir uns kein Verschnaufpäuschen erlauben konnten. Warum konnten wir nicht einfach einem armen Bauern über den Weg laufen, dem wir ein paar gesunde Pferde abkaufen könnten? Dieses verdammte Herumstreifen in der zugefrorenen Einöde war nicht nur äußerst kräftezehrend,