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sich selbst, auf die anderen (vermeintlichen Schuldigen), Hass auf die Umstände, die zum Scheitern führten, und Hass auf den Schmerz, den er verursacht. Leider ist es schwierig, diese Todeszone zu verlassen, und auch Gegenmaßnahmen wie „Aus Fehlern lernen“ helfen da zunächst wenig. Es gibt inzwischen sogar Scheiter-Spezialisten, Trainer, die Loser wieder aufrichten, indem sie ihnen beispielsweise Diskussionsrunden anbieten. Dort können alle Gescheiterten miteinander kommunizieren; dabei aber sollen sie ihren Blick nicht auf die Schuldfrage richten, sondern auf sich selbst. Damit erreichen die Spezialisten eine gesteigerte Selbstreflexion des Einzelnen und auch der Gruppe insgesamt. Das jedoch erfordert mehr Offenheit und vor allem Mut als üblicherweise bei den Verlierern vorhanden ist. Man muss eben genauer und nachdenklicher hinschauen – ohne daraus gleich klare Lektionen fürs Leben zu bilden. Erstaunliches haben dabei Krisenforscher festgestellt: Bei solchen Selbstreflexionen spielt schnell der auslösende Fehler kaum noch eine Rolle. Scheitern zu lernen bedeutet auch, negative Gefühle zu verarbeiten – selbst bei sonst coolen Managern. Oft ist es eine besondere – auch emotionale – Verbindung zum Projekt, zur Firma, was das Scheitern wie den Verlust eines geliebten Menschen erscheinen lässt. Und wie es dabei üblich ist, muss man erst mal diese harte Zeit der Trauer verarbeiten – ohne geht gar nicht. Denn sonst blockieren einfach die Emotionen alles. So gesehen lernt man sich zuallererst anhand von Fehlern selbst besser kennen (man lernt also nicht aus Fehlern!). Die Niederlage veranlasst einen, sich mit sich selbst mehr zu beschäftigen, seine Ziele künftig genauer zu fassen – auch auf Tuchfühlung mit anderen zu gehen. Insofern muss man seine Fehler schon genau analysieren, sich gründlicher mit den Verhältnissen und mit sich beschäftigen.

      Gegen alle Erwartungen gibt es zum Scheitern keine etablierte Wissenschaft, keine Philosophie, keine Soziologie, allenfalls Ergebnisse einzelner Studien und Gedanken dazu. Scheitern ist wissenschaftlich gesehen auch öde, weil es eben allgegenwärtig ist.

      Eine Randnotiz zum Thema Loser ist jedenfalls interessant: Moderne große Unternehmen testen fast alle Verbesserungsvorschläge für ihre Webseiten in so genannten A/B-Tests. Dabei zeigen diese Firmen zufällig ausgesuchten Usern Neuerungen und messen dann, ob diese häufiger geklickt oder intensiver genutzt werden als bisherige Seiten. Ein verblüffendes Ergebnis: Rund 90 Prozent aller neuen Ideen sind schlechter als das, was es vorher schon gab. Daraus leitet sich die schreckliche Erkenntnis ab, dass es verdammt schwierig ist, eine gute Idee zu haben – verdammt leicht, sich das Gegenteil einzureden. Leider ziehen die meisten Menschen daraus die (falsche) Konsequenz, keine Experimente zu wagen. Einfach das wiederholen, was sich bewährt hat – also beharrungsfreudig und konservativ (bewahrend). Man kann natürlich auch einen anderen Schluss daraus ziehen: Wenn wirklich so wenig klappt, müssen wir doch gerade um so mehr ausprobieren! Finden die Tests dann aber nicht unter den kontrollierten Bedingungen von A/B-Tests statt, sind es eben keine Experimente, sondern nur schwer zu durchdringendes Chaos, und das wiederum ist meist die Ursache für den Misserfolg.

      Man nennt ein solches Durcheinander auch einfach LEBEN. Und das steckt wiederum voller Scheitern – es ist wie gesagt allgegenwärtig. Scheitern lässt sich so schwer vom Erfolg unterscheiden, und das ist sehr gemein! So hat man beispielsweise bei der Analyse von Organisationen festgestellt, wie viele von ihnen erfolgreich scheitern – einen funktionalen Dilettantismus bescheinigt man ihnen. Der sorgt zumindest dafür, dass sie selbst gut florieren, während sie ihr Ziel verfehlen – Beispiel Entwicklungshilfe. Denn nur wenige Institutionen können belegen, dass sie das Elend in der Welt beseitigen oder auch nur lindern. Paradox: Genau deswegen werden sie weiter gebraucht und auch unterstützt. So erreichen sie ihr Ziel zu überleben, aber nicht ihr eigentliches, nämlich zu entwickeln. In der Finanzkrise sprach man von den systemrelevanten Banken, die nicht scheitern dürfen – „too big to fail“ – bis hin zum Beinahe-Bankrott des ganzen Systems. Der Kapitalismus funktioniert gerade deswegen, weil ständig Unternehmen scheitern.

      Es gibt auch eine erschreckende Verzahnung von Scheitern und Erfolg, von Niederlage und Sieg, Scharlatanerie und Ruhm. Nimmt man nur einmal berühmte Personen der Geschichte, stößt man schon an seine Grenzen: War Jesus Sieger oder Verlierer? Der zu Lebzeiten unglückliche und erfolglose Maler van Gogh Sieger oder Verlierer? Und Kafka, ähnlich erfolglos und unglücklich, wird von manchen dagegen als Sieger eingestuft. Schaut man sich die Reihe der Berühmten weiter an, so haben Genies und Heilige, Scharlatane und Glücksritter, Säufer und Krüppel, Besessene, Phantasten und Verbrecher, Schizophrene und von Verfolgungswahn Gejagte dicken Ruhm eingesackt. Selbst Fachleuten wie Journalisten fällt es mitunter schwer, Sieger und Verlierer auseinanderzuhalten.

      Die Philosophie des Scheiterns gibt es leider nicht. Eigentlich müssten doch Leute, die immer wieder scheitern, irgendwann ermatten, weil die Kraft zu einem erneuten Versuch fehlt. Nichts davon wie van Gogh oder Kafka beweisen. Woher nahmen sie die Kraft für ein immerwährendes Scheitern? Es muss also irgendeine Form von Manie sein – wie die Spielsucht zum Beispiel bei Computerspielen. Millionen von Menschen spielen täglich und vier Fünftel von ihnen verlieren ständig oder erreichen nicht den nächsten Level. Besessenheit und Vision hatten auch gescheiterte Existenzen, und das machte sie ausdauernd. Keine Niederlage kann sie erschüttern – angestachelt von Idealen, die sie nicht verraten wollen. Und genau hier schließt sich der Kreis zum modernen Selbstbild: Ziele setzen, kämpfen und nie aufgeben. Aber nur für hartnäckige Loser, nicht für die meisten, über die wir hier reden (dazu später mehr). Es gibt wie gesagt auch visionäre Loser, allerdings ist das eher die Ausnahme.

      Sieg oder Niederlage

      Jeder definiert für sich den Schmerzgrad seiner persönlichen Niederlage und seines Sieges ganz anders. Was ist Glück und was Pech? Nehmen wir nur das Märchen vom „Hans im Glück“- von den Gebrüdern Grimm 1818 aufgeschrieben. In der Meinung vieler ist hier Hans der Pechvogel per exellance. Hans schuftet sieben Jahre lang in der Ferne weit weg von seiner Mutter und bekommt am Ende zur Belohnung einen schweren Goldklumpen von seinem Meister geschenkt, so groß wie sein Kopf. Hans muss also sehr erfolgreich gewesen sein. Doch Hans hat keine Freude daran, denn er spürt nur das schwere Gewicht, das er mit sich schleppt. Wir verkürzen das Märchen hier:

      Hans tauscht freudig den Goldklumpen bei einem Reiter gegen dessen Pferd ein. Bei jedem Tausch, der nun folgt, verliert Hans immer mehr. Denn das Pferd wirft Hans ab, tauscht es beim nächsten Bauern gegen eine Kuh, die ihn vor den Kopf tritt; er gibt die Kuh schließlich für ein Schwein her, bis ihm jemand einredet, das Schwein sei gestohlen. Hans ist froh, als er es gegen eine Gans tauschen kann, die er schließlich gegen einen schadhaften Schleifstein hergibt, der ihm am Ende auch noch in den Brunnen fällt. Nach jedem Tausch preist Hans sogar sein Glück gen Himmel: „Herz, was verlangst Du mehr – Ich bin in einer Glückshaut geboren!“ Er dankte am Ende mit Tränen in den Augen sogar Gott, dass er ihn von seiner Last befreit hat. Und so kehrt er heim zu seiner Mutter – im wahrsten Sinne des Wortes unbeschwert. Eigentlich erzählt Hans im Glück nur vom Scheitern, doch für ihn selbst ist es eine reine Erfolgsgeschichte. Er hat eine Mutter, die auf ihn wartet und ihn freudig wieder aufnimmt. Wie beschämt müssen wir alle sein, die nur in ökonomischen Kategorien denken, denn Hans lacht zuletzt am besten, uns dagegen bleibt das Lachen im Halse stecken. Warum ist das so?

      Hans hat ein anderes Erfolgsmodell sein Wertesystem ist nämlich verrückt,

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