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lange sollten die Menschen noch ihre Töchter lebendig begraben? Wie lange noch sollten Sklaven und Frauen auf der ganzen Welt, ob im Westen oder Osten, im Morgenland oder im Abendland, unwürdig behandelt werden? Wie lange noch sollten die Menschen Steine anbeten und sich in ihrem Aberglauben damit rechtfertigen, dass diese ihnen den Befehl gäben, einander zu schlagen und zu ermorden?

      Walid Bin Mughira, Sippenoberhaupt der Bani Machzum, trat vor die Menschen und erklärte mutig: „Ich beginne mit dem Abbruch der Kaaba!“

      Während Walid sich mit einer Spitzhacke in der Hand dem Haus Allahs näherte, betete er: „O Allah, wir wollen nur Gutes!“ Dann begann er, an den Steinen der Kaaba zu arbeiten.

      Als die anderen Männer am nächsten Tag sahen, dass Walid in der Nacht kein Unglück geschehen war, schlossen sie sich ihm an und rissen die alten Mauern bis zu den Fundamenten Abrahams nieder. Als ein Arbeiter eine Stange zwischen zwei grüne Steine des Fundaments steckte, um sie auseinander zu brechen, bebte ganz Mekka.50 Die Arbeiter hörten mit dem Abriss auf. Das Fundament sollte unberührt bleiben. Sie hatten die Botschaft verstanden.

      Nun begann der Wiederaufbau. Alle Sippen von Mekka nahmen daran teil, und die Arbeit ging zügig voran.

      Bald erreichten die Mauern die Stelle, wo der schwarze Stein51 an seinem angestammten Platz angebracht werden sollte. Plötzlich fingen die Männer an zu streiten, wer die Ehre haben sollte, den schwarzen Stein an seinen Platz zu setzen. Fünf Tage lang ruhte die Arbeit, und der Streit wogte hin und her, ohne dass sich die Männer einigen konnten. Jeder Stamm wollte den Ruhm für sich allein. Es drohte ein Kampf zu entbrennen – ausgerechnet vor dem Haus, das Abraham gebaut hatte, damit die Gläubigen sich dort vor Allah in Frieden und Sicherheit niederwerfen! Vor dem heiligen Haus des Friedens sollte es nun Krieg geben!

      Abu Umayya, ein weiser alter Mann, rief: „Ihr Männer der Quraisch, beauftragt denjenigen, der als nächster durch das Tor der Moschee tritt, darüber zu urteilen, wer die Ehre haben soll, den schwarzen Stein einzusetzen!“ Er meinte das Tor, das zum Platz vor der Kaaba führte.

      Der Vorschlag beruhigte die Streitenden. Alle waren einverstanden und warteten. Lange Zeit kam niemand. Endlich näherte sich eine Gestalt dem Tor.

      „Es ist Al-Amin, der Vertrauenswürdige, Muhammad! Mit seinem Urteil sind wir einverstanden!“

      Muhammad hörte sich an, worüber die Männer stritten. Dann breitete er ein Tuch auf dem Boden aus und legte den schwarzen Stein genau in die Mitte. Dann sagte er: „Ein Angehöriger jeder Sippe nimmt eine

      Ecke des Tuches, dann heben alle gleichzeitig den Stein hoch!“

      Der Stein wurde zu seinem Platz gebracht. Dann nahm Muhammad den Stein und schob ihn an seine Stelle.52

      Nun waren sie alle daran beteiligt, und ein Kampf war vermieden worden.

      Muhammad war zu dieser Zeit fünfunddreißig. Er wurde von allen gelobt. Die Quraisch setzten große Hoffnungen in Muhammad, denn sie wussten, dass er nicht wie jeder andere war.

      Hala hatte ihre Schwester Chadidscha und deren Familie sehr gern. Ihr Sohn Abul-As, ein edler Mann unter den Quraisch, bat Muhammad um die Hand seiner ältesten Tochter Zaynab. Muhammad sagte seiner Tochter, dass ihr Cousin sie heiraten wolle und wollte wissen, was sie dazu sagte. Durch ein Lächeln brachte Zaynab ihre Zusage zum Ausdruck. Chadidscha liebte ihren Neffen, daher freute sie sich über die Heirat.

      Abu Lahab erschien eines Tages bei ihm und bat Muhammad um die Ehre, seine Töchter Ruqayya und Umm Kulthum mit Abu Lahabs Söhnen Utba und Utayba zu verloben. Nach Beratungen mit seinen Töchtern und seiner Frau war Muhammad einverstanden. Bald fand die Verlobung statt - die Heirat sollte aber erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.

      Gabriel

      W

      ährend jener Zeit vollzogen sich bedeutsame Veränderungen in Muhammad. Ereignisse, die er im Traum sah, traten wirklich ein. Ihm wurde die Einsamkeit lieb, daher verbrachte er viele Nächte in einer einsamen Höhle auf dem Berg Hira.

      Chadidscha und ihre Töchter machten sich große Sorgen, als Muhammad wieder einmal lange dort blieb. Sie schickten schließlich Boten auf den Berg, um ihn zu suchen. Doch vergeblich.

      Während Chadidscha noch überlegte, wo er sein konnte, stand Muhammad plötzlich vor ihr - in einem verstörten, verängstigten Zustand. Was war mit ihm geschehen?

      „Bedecke mich! Bedecke mich!“, bat er seine Frau, die ihn sogleich mit einem Gewand zudeckte. „Ich fürchte um mein Leben!“ fügte er hinzu.

      Chadidscha beruhigte ihn. „Niemals wirst du in Gegenwart von Allah eine Schande erleben; denn du bist wahrlich jemand, der die Verwandtschaftsbande pflegt, den Schwachen hilft, den Mittellosen gibt, den Gast freundlich aufnimmt, nur Wahres spricht und dem Notleidenden unter die Arme greift!“53

      Muhammad erzählte seiner Frau, was in jener Nacht in der einsamen Höhle geschehen war: Ihm war ein Engel erschienen! „Der Engel erschien und befahl mir: ‚Lies!’ Ich sagte: ‚Ich kann nicht lesen!’ Aber der Engel packte und drückte mich; sodass ich dachte, ich müsste sterben. Er ließ von mir ab und befahl noch einmal: ‚Lies!’ Ich antwortete erneut: ‚Ich kann nicht lesen.’ Der Engel packte mich wieder, bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Erst dann ließ er mich los und befahl mir wieder: ‚Lies!’ Da rief ich: ‚Was soll ich denn lesen?’ Da begann der Engel mir vorzusprechen:

      Lies, im Namen deines Herrn, der erschuf.

      Er erschuf den Menschen aus einem Blutklumpen.

       Lies; denn dein Herr ist Allgütig, der mit der Schreibfeder lehrt, lehrt den Menschen, was er nicht wusste. 54

      „Es war, als ob die Worte in mein Herz geschrieben wurden“, erzählte Muhammad.55 Als er aufgeregt die Höhle verließ, erschien der Engel erneut und rief: „Muhammad, du bist der Gesandte Allahs, und ich bin

      Gabriel!“

      Muhammad sah den mächtigen Engel mit ausgebreiteten Flügeln am Horizont stehen; die gewaltige Gestalt füllte den ganzen Himmel aus. „In welche Richtung ich mich auch drehte, überall sah ich ihn! Im Norden, Süden, Osten und Westen!“

      Chadidscha, die nicht an seinen Worten zweifelte, rannte eilig zu ihrem Cousin Waraqa und erzählte ihm, was Muhammad erlebt hatte.

      „Heilig! Heilig!“, rief Waraqa. „Bei dem, der die Seele Waraqas in den Händen hält, es war der große Namus56, der Muhammad erschienen ist, derselbe Namus, der auch Moses erschien! Wahrlich, Muhammad ist der Prophet! Sage ihm, er möge beharrlich sein!“

      Chadidscha erzählte Muhammad, was Waraqa gesagt hatte. Schließlich wollte Waraqa aber aus Muhammads Mund hören, was geschehen war. Muhammad berichtete ihm von dem Zusammentreffen mit Gabriel. Der blinde Waraqa wiederholte seine Bestätigung und schwor: „Beim Schöpfer, in dessen Hand meine Seele liegt, du bist der Prophet Allahs! Die Botschaft ist zu dir gekommen, wie sie zu Moses kam. Wenn ich doch nur ein junger Mann wäre! Wenn ich doch nur noch am Leben wäre, wenn dein Volk dich vertreibt!“

      „Werden sie mich wirklich vertreiben?“, fragte Muhammad überrascht.

      Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein so beliebter und harmloser Mensch wie er von seinem Volk vertrieben werden sollte.

      „Ja, niemand ist bisher mit dieser Botschaft gekommen, ohne verfolgt zu werden!“, antwortete Waraqa. Er ermutigte ihn dennoch, sich zu freuen und standhaft zu bleiben.57

      Chadidscha bekannte sich als erste zum Islam. Sie war überzeugt davon, dass die Botschaften, die Muhammad erhielt, tatsächlich von Allah kamen. Von nun an besuchte Gabriel ihn häufig.

      Als er ihm eine Zeit lang nicht erschien und keine Offenbarungen mehr brachte, wurde Muhammad bekümmert und traurig. Chadidscha aber bestärkte ihn, weiter zu warten, bis Gabriel ihm schließlich

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