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sie ab, sondern fordert gerade zur Vorsicht auf. Seien wir also vorsichtig!

      34. Auf welchen Standpunkt der Philosophie man sich heute auch stellen mag: von jeder Stelle aus gesehn ist die Irrthümlichkeit der Welt, in der wir zu leben glauben, das Sicherste und Festeste, dessen unser Auge noch habhaft werden kann: – wir finden Gründe über Gründe dafür, die uns zu Muthmaassungen über ein betrügerisches Princip im »Wesen der Dinge« verlocken möchten. Wer aber unser Denken selbst, also »den Geist« für die Falschheit der Welt verantwortlich macht – ein ehrenhafter Ausweg, den jeder bewusste oder unbewusste advocatus dei geht –: wer diese Welt, sammt Raum, Zeit, Gestalt, Bewegung, als falsch erschlossen nimmt: ein Solcher hätte mindestens guten Anlass, gegen alles Denken selbst endlich Misstrauen zu lernen: hätte es uns nicht bisher den allergrössten Schabernack gespielt? und welche Bürgschaft dafür gäbe es, dass es nicht fortführe, zu thun, was es immer gethan hat? In allem Ernste: die Unschuld der Denker hat etwas Rührendes und Ehrfurcht Einflössendes, welche ihnen erlaubt, sich auch heute noch vor das Bewusstsein hinzustellen, mit der Bitte, dass es ihnen ehrliche Antworten gebe: zum Beispiel ob es »real« sei, und warum es eigentlich die äussere Welt sich so entschlossen vom Halse halte, und was dergleichen Fragen mehr sind. Der Glaube an »unmittelbare Gewissheiten« ist eine moralische Naivetät, welche uns Philosophen Ehre macht: aber – wir sollen nun einmal nicht »nur moralische« Menschen sein! Von der Moral abgesehn, ist jener Glaube eine Dummheit, die uns wenig Ehre macht! Mag im bürgerlichen Leben das allzeit bereite Misstrauen als Zeichen des »schlechten Charakters« gelten und folglich unter die Unklugheiten gehören: hier unter uns, jenseits der bürgerlichen Welt und ihres Ja's und Nein's, – was sollte uns hindern, unklug zu sein und zu sagen: der Philosoph hat nachgerade ein Recht auf »schlechten Charakter«, als das Wesen, welches bisher auf Erden immer am besten genarrt worden ist, – er hat heute die Pflicht zum Misstrauen, zum boshaftesten Schielen aus jedem Abgrunde des Verdachts heraus. – Man vergebe mir den Scherz dieser düsteren Fratze und Wendung: denn ich selbst gerade habe längst über Betrügen und Betrogenwerden anders denken, anders schätzen gelernt und halte mindestens ein paar Rippenstösse für die blinde Wuth bereit, mit der die Philosophen sich dagegen sträuben, betrogen zu werden. Warum nicht? Es ist nicht mehr als ein moralisches Vorurtheil, dass Wahrheit mehr werth ist als Schein; es ist sogar die schlechtest bewiesene Annahme, die es in der Welt giebt. Man gestehe sich doch so viel ein: es bestünde gar kein Leben, wenn nicht auf dem Grunde perspektivischer Schätzungen und Scheinbarkeiten; und wollte man, mit der tugendhaften Begeisterung und Tölpelei mancher Philosophen, die »scheinbare Welt« ganz abschlaffen, nun, gesetzt, ihr könntet das, – so bliebe mindestens dabei auch von eurer »Wahrheit« nichts mehr übrig! Ja, was zwingt uns überhaupt zur Annahme, dass es einen wesenhaften Gegensatz von »wahr« und »falsch« giebt? Genügt es nicht, Stufen der Scheinbarkeit anzunehmen und gleichsam hellere und dunklere Schatten und Gesammttöne des Scheins, – verschiedene valeurs, um die Sprache der Maler zu reden? Warum dürfte die Welt, die uns etwas angeht –, nicht eine Fiktion sein? Und wer da fragt: »aber zur Fiktion gehört ein Urheber?« – dürfte dem nicht rund geantwortet werden: Warum? Gehört dieses »Gehört« nicht vielleicht mit zur Fiktion? Ist es denn nicht erlaubt, gegen Subjekt, wie gegen Prädikat und Objekt, nachgerade ein Wenig ironisch zu sein? Dürfte sich der Philosoph nicht über die Gläubigkeit an die Grammatik erheben? Alle Achtung vor den Gouvernanten: aber wäre es nicht an der Zeit, dass die Philosophie dem Gouvernanten-Glauben absagte?

      35. Oh Voltaire! Oh Humanität! Oh Blödsinn! Mit der »Wahrheit«, mit dem Suchen der Wahrheit hat es etwas auf sich; und wenn der Mensch es dabei gar zu menschlich treibt – »il ne cherche le vrai que pour faire le bien« – ich wette, er findet nichts!

      36. Gesetzt, dass nichts Anderes als real »gegeben« ist als unsre Welt der Begierden und Leidenschaften, dass wir zu keiner anderen »Realität« hinab oder hinauf können als gerade zur Realität unsrer Triebe – denn Denken ist nur ein Verhalten dieser Triebe zu einander –: ist es nicht erlaubt, den Versuch zu machen und die Frage zu fragen, ob dies Gegeben nicht ausreicht, um aus Seines-Gleichen auch die sogenannte mechanistische (oder »materielle«) Welt zu verstehen? Ich meine nicht als eine Täuschung, einen »Schein«, eine »Vorstellung« (im Berkeley'schen und Schopenhauerischen Sinne), sondern als vom gleichen Realitäts-Range, welchen unser Affekt selbst hat, – als eine primitivere Form der Welt der Affekte, in der noch Alles in mächtiger Einheit beschlossen liegt, was sich dann im organischen Prozesse abzweigt und ausgestaltet (auch, wie billig, verzärtelt und abschwächt –), als eine Art von Triebleben, in dem noch sämmtliche organische Funktionen, mit Selbst-Regulirung, Assimilation, Ernährung, Ausscheidung, Stoffwechsel, synthetisch gebunden in einander sind, – als eine Vorform des Lebens? – Zuletzt ist es nicht nur erlaubt, diesen Versuch zu machen: es ist, vom Gewissen der Methode aus, geboten. Nicht mehrere Arten von Causalität annehmen, so lange nicht der Versuch, mit einer einzigen auszureichen, bis an seine äusserste Grenze getrieben ist (– bis zum Unsinn, mit Verlaub zu sagen): das ist eine Moral der Methode, der man sich heute nicht entziehen darf; – es folgt »aus ihrer Definition«, wie ein Mathematiker sagen würde. Die Frage ist zuletzt, ob wir den Willen wirklich als wirkend anerkennen, ob wir an die Causalität des Willens glauben: thun wir das – und im Grunde ist der Glaube daran eben unser Glaube an Causalität selbst –, so müssen wir den Versuch machen, die Willens-Causalität hypothetisch als die einzige zu setzen. »Wille« kann natürlich nur auf »Wille« wirken – und nicht auf »Stoffe« (nicht auf »Nerven« zum Beispiel –): genug, man muss die Hypothese wagen, ob nicht überall, wo »Wirkungen« anerkannt werden, Wille auf Wille wirkt – und ob nicht alles mechanische Geschehen, insofern eine Kraft darin thätig wird, eben Willenskraft, Willens-Wirkung ist. – Gesetzt endlich, dass es gelänge, unser gesammtes Triebleben als die Ausgestaltung und Verzweigung Einer Grundform des Willens zu erklären – nämlich des Willens zur Macht, wie es in ein Satz ist –; gesetzt, dass man alle organischen Funktionen auf diesen Willen zur Macht zurückführen könnte und in ihm auch die Lösung des Problems der Zeugung und Ernährung – es ist Ein Problem – fände, so hätte man damit sich das Recht verschafft, alle wirkende Kraft eindeutig zu bestimmen als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren »intelligiblen Charakter« hin bestimmt und bezeichnet – sie wäre eben »Wille zur Macht« und nichts ausserdem.

      37. »Wie? Heisst das nicht, populär geredet: Gott ist widerlegt, der Teufel aber nicht –?« Im Gegentheil! Im Gegentheil, meine Freunde! Und, zum Teufel auch, wer zwingt euch, populär zu reden!

      38. Wie es zuletzt noch, in aller Helligkeit der neueren Zeiten, mit der französischen Revolution gegangen ist, jener schauerlichen und, aus der Nähe beurtheilt, überflüssigen Posse, in welche aber die edlen und schwärmerischen Zuschauer von ganz Europa aus der Ferne her so lange und so leidenschaftlich ihre eignen Empörungen und Begeisterungen hinein interpretirt haben, bis der Text unter der Interpretation verschwand: so könnte eine edle Nachwelt noch einmal die ganze Vergangenheit missverstehen und dadurch vielleicht erst ihren Anblick erträglich machen. – Oder vielmehr: ist dies nicht bereits geschehen? waren wir nicht selbst – diese »edle Nachwelt«? Und ist es nicht gerade jetzt, insofern wir dies begreifen, – damit vorbei?

      39. Niemand wird so leicht eine Lehre, bloss weil sie glücklich macht, oder tugendhaft macht, deshalb für wahr halten: die lieblichen »Idealisten« etwa ausgenommen, welche für das Gute, Wahre, Schöne schwärmen und in ihrem Teiche alle Arten von bunten plumpen und gutmüthigen Wünschbarkeiten durcheinander schwimmen lassen. Glück und Tugend sind keine Argumente. Man vergisst aber gerne, auch auf Seiten besonnener Geister, dass Unglücklich-machen und Böse-machen ebensowenig Gegenargumente sind. Etwas dürfte wahr sein: ob es gleich im höchsten Grade schädlich und gefährlich wäre; ja es könnte selbst zur Grundbeschaffenheit des Daseins gehören, dass man an seiner völligen Erkenntniss zu Grunde gienge, – so dass sich die Stärke eines Geistes darnach bemässe, wie viel er von der »Wahrheit« gerade noch aushielte, deutlicher, bis zu welchem Grade er sie verdünnt, verhüllt, versüsst, verdumpft, verfälscht nöthig hätte. Aber keinem Zweifel unterliegt es, dass für die Entdeckung gewisser Theile der Wahrheit die Bösen und Unglücklichen begünstigter sind und eine grössere Wahrscheinlichkeit des Gelingens haben; nicht zu reden von den Bösen, die glücklich sind, – eine Species, welche von den Moralisten verschwiegen wird. Vielleicht, dass Härte und List günstigere Bedingungen zur Entstehung

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