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      or der Nikolaikirche steht ein hässlicher, dicker Dominikaner-mönch. Sein Atem ist durchzogen von Maßlosigkeit, doch das riechen die verirrten Schafe nicht, die erfüllt von Furcht seinen Lügen lauschen. Im Hintergrund lehnen zwei Männer an einer Hauswand, sie sind von Tetzels Theater genauso wenig beeindruckt wie das Mauerwerk. Der eine wünscht ihm die ewige Hölle, der andere wird diesen Wunsch, in nicht allzu ferner Zukunft erfüllen. Der dicke Mönch krakeelt noch lauter über den Platz.

      Sie werden gegeißelt, schlimmer als euer Erlöser selbst und ihr verprasst die Münzen für Wein und Weib. Die Flammen lodern, doch das Feuer verzehrt sie nicht, sie brennen bis zum jüngsten Gericht. Nicht nur ihre Seelen, nein, auch eure Seelen könnt ihr von dieser Pein erretten. Gott kennt all eure Sünden, vor ihm bleibt nichts verborgen. Wie viel Sünde trägt jeder von euch mit sich?! Wahrlich, ich sage euch, der Teufel wandelt unter uns.

      Tetzels Blick schweift theatralisch durch die verängstigte Menge, unwissend das er recht hat.

      Könnt ihr sie riechen, die brennenden kreischenden Leiber eurer Mütter und Väter? Es ist nicht mehr als ein Almosen und es wirkt sofort. Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele…

      Johannes verzieht angewidert das Gesicht. Seine Stimme reicht gerade bis zu seinem Mauernachbarn.

      Ich habe mein ganzes Leben lang, noch nie so einen Mist gehört. Stört dich das nicht, wenn er so spricht? Als ob Gott Sünden vergeben würde gegen Bezahlung. Narren. Ich bin nur froh, dass der Täufer sich dieses Schauspiel nicht ansehen muss.

      Judas hätte diesen Hurenknecht von seinem Sockel geprügelt.

      Ein Lächeln stiehlt sich in Johannes Gesicht.

      Ja und Jesus hätte ihn von ihm runter gezerrt. Obwohl bei diesem Mönch bin ich mir nicht sicher.

      Johannes drückt sich mit dem Rücken von der Wand und zeigt mit der offenen Hand auf die Menge.

      Wie konnte Gott es nur soweit kommen lassen?

      Das frage ich mich seit der Idee mit der verdammten Frucht. Wo wir davon sprechen.

      Nun tritt auch die zweite Gestalt enthusiastisch hervor, einen Augenaufschlag später fällt Emilias Blick auf dessen elegante Erscheinung. Für die Tochter eines Bauers ist ihre Haut auffallend hell und das strahlende Rot ihrer Haare, die sich sanft auf ihre Schulter betten, wird nur noch von dem sündigen Rot der Äpfel in ihrem Weidenkorb übertroffen. Emilia und die Gestalt bleiben nebeneinander stehen. Als seine Hand sachte nach einem der glänzenden Äpfel greift, folgen die Augen der jungen Frau dem silbernen Ring. Indem sich Haar und Frucht vereinen. Emilias Herz rast.

      Schönes Kind, was begehrt ihr für diesen Apfel und euer schönstes Lächeln.

      Ein verlegenes Lächeln schießt aus ihrem Gesicht. Ihre Augen wenden sich verschämt ab. Johannes verdreht die Augen und geht auf die Szenerie zu.

      Wir sind nicht zum Vergnügen hier!

      _KAPITEL 11

      _Wohnküche // Heute Nacht

      E

      in silberner Ring, in Form einer sich selbst verschlingenden Schlange, ziert den Finger des übermütigen Klingelmännchens. Auf leisen Pfoten schreitet eine schwarze Katze, die Wand entlang, auf ihn zu. Kurze Abscheu zuckt durch den verspäteten Gast, er weicht ein kleines Stück zurück, doch lässt die Klingel nicht los.

      Verpiss dich! Ich schwör 's dir verpiss dich oder …

      Erst als er das einladende Summen im Türschloss vernimmt, lässt er Gnade walten und erlöst die Schelle. Schnell drückt er die Türe auf und ein paar gut gelaunte Schritte später, schließen sich die Fahrstuhltüren hinter ihm als würden sie sich bewusstlos schlagen wollen.

      Hoch!

      Wenn das Dach über dem Aufzug Angst bekommen könnte, würde es nun Panik bekommen. Die Kabine rast, wie besessen, in die neunte Etage, um dort stehen zu bleiben als hätte sie sich gegen einen Bremsweg entschieden. Ihr Fahrgast bleibt wie angeklebt stehen. Nun fahren die Fahrstuhltüren ein als würden sie vor dem adrett gekleideten Mann zu Tode fürchten. Zwei Schritte vor der Kabine steht die Gewinnerin eines historischen Wettstreits, der siebzehn Minuten zuvor in Johannes, sieben Quadratmeter großen, Badezimmer ausgetragen wurde. Auf ihrem Nacken steht das Wort Hosianna, in geschwungen Lettern, tätowiert. Sie atmet tief und schwer. Schwarze Runen, durchströmt von glutroten Adern, strömen aus der Kabine, gefolgt von schwarzen Skater-Schuhen mit goldenen Nähten. Der Ehrengast greift, wie ein heimkehrender Wikinger mit beiden Händen nach dem Gesicht der dunkelhaarigen Frau im Black Sabbath-Shirt. Er zieht sie energisch zu sich heran und drückt ihr einen langen sinnlichen Kuss auf. Als seine Finger ihre Haut verlassen, fällt die überglückliche Gewinnerin ohnmächtig auf den Boden.

      Menschen, war echt ne super Idee!

      Mit einem Hopser über sie, nimmt er seinen Weg wieder auf. Er richtet sein schwarzes Jackett zurecht und tänzelt fröhlich summend durch den Flur. Er könnte die Türe mit seinem Willen öffnen, jedoch beschließt diese ihm respektvoll zuvor zu kommen.

      Danke.

      Sein Blick fällt auf Adam, dessen Leichnam zwar noch an der Wand lehnt, dieses jedoch eher in einer instabilen Seitenlage vollführt. Er bleibt neben ihm stehen und geht in die Hocke.

      Grüß Gott.

      Er richtet sich wieder auf und schreitet weiter in Richtung Wohnungstüre, die sich ebenfalls mitdenkend vor ihm öffnet.

      Zu freundlich.

      Als sich die Küchentüre öffnet, formt die Gruppe aus gefallenen Engeln eine Gasse vor ihm. Die menschlichen Gäste bleiben neugierig stehen und starren gebannt auf den letzten Gast, während die Dämonen ihren Blick senken und sich auf den unwürdigen Vinylboden knien. Merga und Samson treten langsam von den Priestern zurück. Die schreitenden Augen formen ein scharfkantiges Grinsen, als sie Nepomuks abgenutzte böswillige Stimme hören.

      Der Satan wird dich strafen Luzifer.

      Der, gerade recht kommende, Ehrengast tritt an den alten Priester heran, der sich steif zu ihm umdreht. Der Silberring zieht eine vergoldete Desert Eagle aus dem schwarzen Hosenbund. Im über proportionierten Lauf wartet eine Patrone, die ihr texanischer Erfinder liebevoll die »Baby-Atombombe« nennt. Nepomuk weicht reflexartig einen Schritt zurück.

      Hey Pfaffe…

      Er richtet die Waffe auf Nepomuks Kniescheibe und drückt ohne zu zögern ab. Beim Einschlag zersplittert das Geschoss und nimmt alles mit was sich ihm in den Weg stellt. Der ohrenbetäubende Knall mischt sich mit Nepomuks weißglühenden Schrei und den dumpfen Hall der Wohnung. Blut spritzt in Vinzenz bleiches Gesicht. Das zweite Projektil trifft nur wenige Zentimeter neben seinem Vorgänger ein und reißt noch mehr Fleisch aus dem Bein des alten Mannes. Ober- und Unterschenkel sind nur noch durch ein paar Sehnen und Fleischfetzen verbunden. Nepomuk sackt schmerzverzerrt zusammen und knallt mit dem blutenden Stumpf auf den Boden, wobei sich mit einem matschigen Geräusch weitere Sehnen vom Bein lösen. Der Schmerz setzt ihn außer Gefecht, schon bevor er mit dem Kopf auf den Boden schlägt. Luzifer dreht sich zu dem knienden Exorzisten und richtet die Waffe auf ihn.

      Klopf, Klopf.

      Vinzenz schweigt, um sein Gesicht der Panik preis zu geben. Nepomuks Blut fließt in seine Richtung. Der Schütze wiederholt sich mit Nachdruck.

      Klopf, Klopf!

      Er sieht Vinzenz auffordernd an und reckt seine Arme, inklusiver noch rauchender Pistole, zur Seite. Einen stillen Seufzer später lässt er die Arme wieder sinken, sieht an die Wand und schüttelt leicht den Kopf. Einen tiefen Atemzug später, blickt er Vinzenz streng in die Augen. Ein letztes Mal wiederholt er die zwei Worte, nur dieses Mal, hallen tausende zerfallene Seelen in seiner Kehle, die alle menschlichen Körper im Raum kalt durchfahren.

      Klopf, Klopf!

      Vinzenz

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