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– Die Lage in Deutschland: Wort & Wissen und das Bestreiten von Makroevolution

      In Deutschland ist unter studierten Biologen ebenso wie unter biologisch interessierten Laien der Band »Evolution – ein kritisches Lehrbuch« von Reinhard Junker und Siegfried Scherer (2001, 2006, 2013) berühmt-berüchtigt, vor allem da er wie ein Schulbuch aufgemacht ist (an Schulen aber aus nahe liegenden Gründen eher ungern gesehen wird). Besagtes Werk – im folgenden kurz als „das Lehrbuch“/ „das kritische Lehrbuch“ bezeichnet – erlebte 2013 seine 7. Auflage (bis zur 4. Auflage 1998 lautete sein Titel »Entstehung und Geschichte der Lebewesen«) und wird von der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort und Wissen (im folgenden: W&W) herausgegeben. Diese in Baiersbronn ansässige Vereinigung, der mehrere studierte Biologen angehören, verbreitet ihr evolutionskritisches Gedankengut außerdem auf einer eigenen Webseite sowie in der Zeitschrift Studium Integrale (abgesehen von weiteren, regelmäßigen Buchveröffentlichungen, deren Inhalte in die Neuauflagen des „Lehrbuches“ einfließen). Insgesamt betrachtet ist W&W deutlich bestrebt, sich von dem Klischee antimodernistischer, christlicher Fundamentalisten abzusetzen und stattdessen die Strategie der US-amerikanischen Creation Research Society zu übernehmen: ihr Anspruch besteht in einer „streng wissenschaftlichen“ sogenannten Schöpfungsforschung, bei der die Vorgabe des Bibeltextes den Stellenwert einer Minimalinvestition erhält (in Wirklichkeit handelt es sich aber um eine ganze Kette von Investitionen, siehe Kapitel 11), während alles übrige – also die Arbeit am biologischen Objekt – denselben Standards genügen soll, wie sie für die etablierte Evolutionsforschung gelten. Auf diese Weise wird die Behauptung zweier gleichberechtigter Forschungsansätze installiert: dem etablierten „Evolutionsparadigma“ soll ein im wesentlichen gleichwertiges „Schöpfungsparadigma“ gegenüberstehen (vgl. Junker 2005). Bereits seit den 1980er Jahren hat W&W diese Position eingenommen (z.B. Junker & Scherer 1989), wobei ein wichtiger Unterschied zu anderen kreationistischen Denkströmungen darin besteht, dass natürliche Evolution in einem gewissen Ausmaße akzeptiert (!) wird: Ausgehend von besonderen Ausgangsschöpfungen, deren Nachkommen sich angeblich noch heute in Form sogenannter „Grundtypen“ eingrenzen lassen, soll Mikroevolution stattgefunden haben, also jene spätestens seit Darwin postulierten allmählichen Artbildungsprozesse, welche zur heutigen Artenvielfalt führten (z.B. Junker 1989, Junker & Scherer 2006, S.34 ff.). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass innerhalb der göttlich geschaffenen Grundtypen eine evolutionäre Diversifizierung nach scheinbar (!) ähnlichen Gesetzen stattfand – und immer noch stattfindet –, wie man sie auch innerhalb etablierter Evolutionsvorstellungen annimmt.

      Eine solche Übereinstimmung mit dem Denkansatz von Darwins »Entstehung der Arten« wirkt überraschend, da es durchaus nicht zu dem passt, was für gewöhnlich unter Kreationismus verstanden wird. Noch größer ist die Überraschung, wenn man feststellt, dass sich diese Spielart des Kreationismus bis in die 1910er Jahre zurückführen lässt (Numbers 2004, S.87f.), und dies auch noch in US-amerikanischen Kreisen, die einem Kurzzeit-Kreationismus anhingen – also der Annahme, dass die Erde nur etwa 6000 Jahre alt sei (ein Zahlenwert, der je nach Bibelauslegung variieren kann). Wie wir bald zeigen werden (Kapitel 5), ist dieses inkonsequent wirkende Zugeständnis eines natürlichen Evolutionsverlaufes mit dem Anspruch auf biologisch fundierte „Schöpfungsforschung“ verknüpft. Zuvor ist es wichtiger festzuhalten, welchen Teil der Evolutionstheorie diese besondere Linie von Kreationisten ablehnt: Unmöglich (bzw. niemals abgelaufen) soll ihnen zufolge Makroevolution sein, also die Evolution neuer Baupläne (= bestimmter Konstruktionstypen, wie sie v.a. im Tier- und Pflanzenreich vom Fachmann unterschieden werden). Das bedeutet, dass alle bekannten organismischen Baupläne – sowohl die heute bestimmbaren, als auch die nur fossil überlieferten – bereits im Schöpfungsprozess angelegt gewesen sein sollen; die Variation innerhalb der von Gott geschaffenen „Grundtypen“ soll die Grenze evolutiv möglicher Umwandlungen markieren.8

      Tatsächlich berufen sich die W&W-Kreationisten aus Baiersbronn hinsichtlich ihrer Grundtypenlehre auf die gerade erwähnte US-amerikanische Linie von Kreationisten, welche Mikroevolution anerkannten (namentlich zitiert wird jedenfalls Frank L. Marsh, der in den 1940er Jahren jene Definition von „Grundtyp“ einführte, wie sie sich heute im W&W-„Lehrbuch“ findet). Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass diese Sicht der Dinge eine besondere ist und sich von anderen bekannten Spielarten des Kreationismus abgrenzt.9 Während viele fundamentalistische Evolutionsgegner im Gegensatz zu W&W auch Mikroevolution niemals anerkennen bzw. als mit dem Bibelwort unvereinbar darstellen würden, lesen die W&W-Kreationisten die Bibel hier offenbar in einer Weise, die der speziellen Lesart von Frank L. Marsh entspricht. Wir werden auf Marsh in Kapitel 7 eingehen; zunächst soll aber festgehalten werden, dass die große Verschiedenheit „bibeltreuer“ Sichten auf das Naturgeschehen nur die Absurdität der Forderung unterstreicht, Naturwissenschaftler hätten in ihrem erkenntnisgeleiteten Handeln einen Widerspruch mit „göttlicher Wahrheit“ zu meiden: Bevor sie in irgendeiner Form in dieser Weise arbeiten könnten, müsste erst einmal die einzig wahre Interpretation der Bibel geklärt werden. Um die lächerliche Position zu verschleiern, in die sich Vertreter einer angeblich textgetreuen Schriftauslegung begeben, wird dieser Punkt nach Möglichkeit natürlich nicht erwähnt und stattdessen von einer „Schöpfungsforschung“ oder von einem „Schöpfungsparadigma“ bevorzugt so gesprochen, als läge eine recht einheitliche Sicht der Schöpfung zugrunde. Zwar werden z.B. Unterschiede zwischen „Kurzzeit-“ und „Langzeitkreationismus“ en passant angemerkt (wie etwa in Junker & Scherer 2006, S.291), aber die sehr spezielle Sicht von W&W, die sich in geistiger Nachfolge von Frank L. Marsh befindet, kann nur über arg vereinfachende bzw. bewusst manipulative Behauptungen als „korrekte“ Schriftauslegung ausgegeben werden.

      Der Punkt Schriftauslegung = Bibelexegese soll daher als erstes aufgegriffen werden, zumal hierbei auch der eigentümliche „Grundtyp“-Begriff schrittweise eingeführt werden kann: wir werden diesen zunächst nur aspektuell beleuchten, um ihn in Kapitel 9 dann genauer zu untersuchen. Zur allgemeinen Orientierung ist voranzuschicken, dass die angeblich natürliche Einheit „Grundtyp“ von W&W in Abgrenzung zu den in der Evolutionsbiologie relevanten Einheiten wie Populationen und Arten benutzt wird (und in gewisser Hinsicht auch in Abgrenzung zum Begriff des Bauplanes, der bei der Diskussion um die angeblich niemals abgelaufene Makroevolution = Bauplanevolution eine entscheidende Rolle spielt). W&W stellen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Inhalt des biblischen Schöpfungsberichtes und ihrem Grundtypbegriff her; die inhaltliche Logik genau dieser Verbindung ist aber kritisch zu überprüfen. Dass man zum Punkt Bibelexegese sehr viel mehr sagen könnte, als es W&W in ihrem Lehrbuch, aber z.B. auch auf ihren Internetseiten tun, ist ein Kritikansatz, um den sich naturgemäß eher historisch-kritische Theologen verdient machen. Die beiden folgenden Kapitel zur Bibelexegese entsprechen sicherlich nicht dem verschärften wissenschaftlichen Vorgehen, das solche Theologen (etwa dank fundierter Hebräisch- und Griechischkenntnisse und einem dem Forschungsstand entsprechenden Geschichtswissen) zeigen würden; sie versuchen aber, einige der relevanten, von W&W üblicherweise ausgeblendeten Punkte in verständlicher Form zu benennen.

      5 – Bibelexegese: Wo anfangen, wo aufhören?

      In seinem autobiographischen Werk Un Uomo Finito („Ein erledigter Mensch“, 1912) schildert Giovanni Papini, wie er als sechzehnjähriger Schüler aus eigenem Antrieb Hebräisch lernt, weil er – aus der Sicht eines Ungläubigen und Freigeistes – die Niederschrift eines Bibelkommentares plant,

      »der Vers für Vers alle Bücher des Alten und Neuen Testaments verfolgte und ohne Schönfärberei all die Irrtümer, Widersprüche, Lügen, Lächerlichkeiten, Zeugnisse von Grausamkeit, Schurkerei und Dummheit«

      aufdecken soll,

      »von denen diese angeblich von Gott inspirierten Zeilen voll sind« (Papini 1980, S.31).

      Der junge Papini hofft, mit dieser Aufgabe »in ein paar Jahren bequem fertig werden zu können« (ebd. S.32) – und kommt natürlich über die Anfänge seines Unternehmens nie hinaus. Indes, verfolgt man die Anstrengungen des wissbegierigen Schülers, welcher von Armut und Außenseitertum angespornt ist, so muss man feststellen, dass er – auch nach heutigen Maßstäben – auf Anhieb weitaus mehr

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