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Gesicht. »Wie hieß doch bloß die Straße? Ich habe sie total vergessen. Aber es wird ja hier irgend so was wie ein Adressbuch geben. Der Name war bestimmt Hartenstein.«

      Aber trotz allem Nachforschen schien der Name Hartenstein in Tübingen unbekannt.

      »Hans hat mir gesagt, in der Universität ist stets ein Wohnungsverzeichnis für Studentenzimmer einzusehen«, schlug Annemarie vor, um die Scharte wieder auszuwetzen. »Vielleicht finde ich dort auch die Adresse von Fräulein Hartenstein.«

      »Das Wohnungsverzeichnis ist zuverlässiger als das unauffindbare Fräulein Hartenstein. Auf – zur Universität!« kommandierte Marlene.

      Durch enge, ziemlich steil aufwärts steigende Straßen und Gässchen, dem ältesten Teil der Stadt, ging es in den neueren Stadtteil, in dem die Universität und die Kliniken lagen.

      Mit ehrfurchtsvollem Schauer betrat Marlene das geistige Heiligtum, die Universität, in dem sie von morgen an zugelassen werden sollte. Ilse schaute sich halb beklommen, halb neugierig in dem großen Vestibül um. Doktors Nesthäkchen aber wußte nichts von ehrfurchtsvollen Schauern oder gar von Beklommenheit. Mit strahlenden Augen musterte es unternehmungslustig die Stätte künftiger Arbeit. Keck redete Annemarie mit dem Pedell und hätte den ein und aus gehenden Studenten und Studentinnen, welche die Fremden anstarrten, am liebsten gleich als gute Freunde zugewinkt. Es waren ja alle Kollegen und Kolleginnen.

      Die drei Freundinnen ließen sich sogleich als Musentöchter einschreiben. Annemarie für Medizin, Marlene für Naturwissenschaften und Ilse für neue Sprachen. Für Ilse Hermann bedeutete es einen heroischen Entschluss, ein anderes Fach zum Studium zu erwählen als ihre Intima. Aber da sie für Naturwissenschaften wenig Interesse hatte und für Sprachen begabt war, sah sie selbst es ein, daß es richtiger für sie sei, ihren Oberlehrer für Sprachen und nicht für Naturwissenschaften zu machen wie Marlene.

      Einen langen Zettel mit Adressen freier Zimmer erhielten sie im Wohnungsnachweis der Universität. Aber ehe man sich auf die Suche machte, mußte erst der Magen befriedigt werden. Es war Mittagszeit.

      »Wohin?« Unschlüssig blieben die drei funkelnagelneuen Studentinnen in den Anlagen, welche die Neustadt von der Altstadt trennte, stehen.

      »Wir hätten den Pedell fragen sollen, wo man gut und preiswert speist. Wollen wir noch mal zurückgehen?« schlug Marlene vor.

      »Ach, der schickt uns dann in irgendeine Kneipe vierten Ranges.« Annemarie dachte dabei an den »Elefant« zu Stuttgart. »Wir gehen einfach hinter Studenten und Studentinnen hinterdrein, die gehen doch alle jetzt zu Mittag. Da geht ja ein ganzer Trupp vor uns – auf, zur Verfolgung!« Übermütig folgten die Freundinnen vier lustig plaudernden jungen Mädeln und Burschen.

      Der Weg war weit. Kreuz und quer ging es, bergauf, bergab. Ilse hatte trotz allen Hungers noch Zeit, das malerische alte Stadtbild zu betrachten und sich daran zu begeistern. Die beiden andern aber hatten mehr Sinn für die Prosa des Lebens.

      »Annemarie, wir wollen lieber in irgendein beliebiges Lokal gehen. Die Studenten vor uns machen Einkäufe. Jetzt ist wieder einer in einem Zigarrengeschäft verschwunden. Einer läßt sich rasieren, es sind überhaupt nur noch zwei Mädel übrig.« Ganz bekümmert sah Marlene vor Abspannung und Hunger aus.

      Aber Doktors Nesthäkchen war hartnäckig.

      »Ach was, die beiden müssen auch essen. Da sind wir wenigstens sicher, daß wir in eine richtige Studentenkneipe kommen, wenn wir den beiden Studentinnen folgen.«

      Wirklich, die zwei betraten jetzt ein altertümliches Haus. Die drei Freundinnen hinterdrein.

      »Annemie, hier ist kein Restaurant.« Ilse schaute vergeblich in dem Halbdunkel des Hausflurs nach einem Schild aus.

      »In kleinen Städten sind Lokale oft eine Treppe hoch.« Woher Annemarie diese Weisheit kam, wußte sie wohl selber nicht. Jedenfalls begann sie die dunkle halsbrecherische Stiege emporzuklimmen. Die andern seufzend hinterdrein.

      Kein Schild, kein Plakat, nur eine weiße Klingel ohne Namen.

      »Hier ist bestimmt nichts, Annemarie, ich gehe wieder hinunter.« Marlene wandte sich energisch.

      »Die beiden Studentinnen sind hier verschwunden, folglich ist hier irgendein Privatmittagstisch. Da ißt man sicher noch besser als im Restaurant.« Keck zog Annemarie bereits die Klingel.

      Eine der beiden Studentinnen, die den Freundinnen als Leithammel gedient hatten, öffnete.

      »Sie wünschen?«

      »Ach, wir würden hier gern Mittagbrot essen, können wir etwas bekommen?« fragte Annemarie als Sprecherin für alle drei.

      »Bei uns?« Hellauf lachte die junge Dame. Ihr Lachen lockte ihre Gefährtin aus dem Zimmer herbei.

      »Reserl, schau, die Damen wünschen bei uns zu speisen. Da kommen's heut' grad' recht, gelt?« Beide lachten herzerfrischend, daß Marlene, die jetzt das Wort ergriff, sich kaum verständlich machen konnte.

      »Verzeihung, meine Freundin glaubte, daß hier im Hause ein privater Mittagstisch wäre. Entschuldigen Sie bitte den Irrtum.« Es war Marlene ungemein peinlich, sich auslachen zu lassen.

      Annemarie sah darin durchaus nichts Peinliches. Im Gegenteil, sie stimmte herzlich in das Lachen ein und steckte auch Ilse damit an.

      »Dazu sind wir eine Stunde lang hinter Ihnen hergelaufen. Wir glaubten, da Sie auch Studentinnen sind, würden Sie ebenfalls wie wir in einem Lokal mittags speisen. Und da Sie hier schon eingebürgert sind, liefen wir immer hinter Ihnen her, in der Annahme, dann sicher was Gutes zu bekommen«, plauderte Annemarie unbefangen.

      »O jegerl, und nun können wir Sie nit mal bitten, uns die Ehre zu geben, denn wir haben heut mittag, weil das Kolleg so spät lag, nur noch ein paar Quarkknödel von gestern. Wir kochen nämlich selbst«, ging das andere junge Mädchen lustig auf Annemaries Auseinandersetzungen ein.

      »Aber ein Lokal, in dem man was zu essen bekommt, könnten Sie uns vielleicht empfehlen?« Marlene ging gleich auf das Ziel los.

      »Aber freilich – freilich! Da wär' der ›Schwammerl‹, der ›Weinhansi‹ und der ›Rathauskeller‹. Aber wenn's Studentinnen sind, da werden's wohl nit soviel ausgeben wollen. Da gehen's nur nach dem Vereinshaus. Da ist's gut und billig. Gleich am Markt das Gässle, zu dem die Stieg' 'nauf führt.«

      »Vielen Dank!« Mit freundlichem Gruß und knurrendem Magen setzte sich das Kleeblatt wieder in Bewegung.

      Wenn er Hunger hat, wird der sanftmütigste Mensch aufsässig. Und gar so sanft war Marlene Ulrich gar nicht.

      »Das hast du fein gemacht«, sagte Marlene ärgerlich.

      »Mach's besser!« Annemarie war nun schon ganz gewiß kein Lamm.

      »Wenigstens haben wir doch ein gutes Lokal in Erfahrung gebracht«, kam Ilse als Friedensengel dazwischen.

      »Dazu mußten wir eine Stunde herumirren und uns noch außerdem lächerlich machen.«

      Jetzt zog die hungrige Marlene sogar gegen die unschuldige Cousine los.

      »Lächerlich machst du dich jetzt – und wenn ihr weiter miteinander rumboxen wollt, – viel Vergnügen! Ich ziehe es vor, in das Vereinshaus zu gehen.« Doktors Nesthäkchen machte energisch kehrt.

      Die Cousinen hielten es auch für geratener, zu folgen. Eine jede ärgerlich auf die andere.

      Aber als man im Vereinshaus, einem alten, höchst einfachen Lokal, vor einem guten Teller Suppe saß, hob sich die Stimmung. Und auch die Freundschaftsgefühle erwärmten sich allmählich wieder.

      Wirklich, sie hatten es gut getroffen. Trotz der fehlenden Tischtücher und der einfachen Blechbestecke war das Essen vorzüglich und selbst für den jugendlichen Hunger der drei ausreichend. Annemarie wurde zwar lebhaft an den »Elefant« erinnert, denn nicht nur Studenten, männliche und weibliche, speisten hier, sondern auch Arbeiter und schlichte Bürger. Dafür war es aber so preiswert, daß Annemarie meinte: »Ich glaube, wir kriegen hier noch

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