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in der Weitergabe des Erbgutes und Umweltbedingungen, die dem so veränderten Lebewesen einen Vorteil verschafften. Es leuchtete mir einfach nicht ein, dass durch einen Fehler, der noch dazu meistens tödliche Folgen für das Individuum hatte, eine neue Art entstehen sollte. Es wollte nicht in meinen Kopf, dass durch einen einzigen Fehler eine solche Veränderung bewirkt würde. Meiner Meinung nach mussten zur gleichen Zeit bei einem Individuum eine ganze Menge von Mutationen, also Fehlern stattfinden, wenn es zu einem neuen Organ, wie zum Beispiel einem Auge, kommen sollte, und gleichzeitig müsste es an veränderte Umweltbedingungen besser angepasst sein. Und das rein zufällig. Das konnte ich einfach nicht glauben, es wäre ja, wie wenn eine Katze auf einer Schreibmaschinentastatur herumhüpfte und am Schluss Goethes Faust als Ergebnis herauskäme. Und das konnte doch wohl niemand annehmen. Dass durch Mutation und Selektion kleinere Veränderungen stattfanden, dass sich zum Beispiel bei einem Leguan Schwimmhäute zwischen den Fingern bilden, wenn er im Wasser lebt und einem anderen Krallen, der in felsigem Gelände zurechtkommen muss, das glaubte ich schon. Aber eine neue Art?

      Auch dass nur der Stärkste überleben sollte, konnte ich nicht nachvollziehen. Nach so vielen Millionen Jahren dürfte es dann doch längst keine Schwachen mehr geben, und ein Löwe ist doch dankbar dafür, dass es Schwache gibt, die er als Beute für sich und seine Jungen brauchen kann. Ich sah darin einen unglaublich weisen Plan, jede Art wurde durch andere Arten genau in dem Maß in Grenzen gehalten, dass sie überleben konnte, auf der anderen Seite aber auch nicht überhand nahm. Und die kleinste Mücke, die vom Wind erfasst und irgendwohin geweht wird, der Mull, der keine Augen hat und bestens zurecht kommt, die Fledermaus mit ihrem Sonarsystem, die Fangtechnik von Orkas, die einen Heringsschwarm umkreisen und so viele Luftblasen erzeugen, dass die Heringe völlig orientierungslos und damit leichte Beute werden – das alles sollte rein zufällig entstanden sein, ohne intelligente Absicht, ohne Plan?

      Ich konnte einfach nicht glauben, dass in dem ganzen Entwicklungsprozess nicht eine zielgerichtete Absicht steckt, die letztlich den Menschen hervorbrachte, wobei ich nicht in erster Linie die körperliche Gestalt meine. Ich könnte mir genauso gut vorstellen, dass ein Delphin oder ein Lebewesen in einer völlig anderen Körperform bewusstseinsmäßig schon so weit oder vielleicht sogar noch weiter ist als der Mensch. Den Menschen mit Seele und Geist als reines Zufallsprodukt anzusehen, war mir unmöglich. Ich glaubte an eine vorwärtstreibende intelligente Kraft in dem ganzen Unternehmen „Welt“, deren Ziel ein Mensch ist, den es heute noch kaum gibt, jedenfalls nur in ganz wenigen Vertretern; einer davon ist für mich Jesus von Nazareth. Aber es gibt auch andere, an denen sichtbar wird, was ich als Ziel der Evolution ansehe, und es gibt sie in allen Religionen und Kulturkreisen, zum Beispiel bei den Indianern, die darum bemüht sind, im Einklang mit der Natur zu leben und sie nicht zu zerstören, so wie wir es in großem Stile tun.

      Da half mir bei meinem Denken ein Mann, den ich durch unseren Religionslehrer kennengelernt habe. Religion war ein weiteres Fach, das zu meinen Lieblingsfächern zählte. Da hatte ich immer eine Eins, wobei es aber nicht schwer war, in Religion eine Eins zu bekommen, denn eine schlechtere Note als Zwei gab es gar nicht. Der Religionslehrer ließ klar erkennen, wie unwichtig für ihn die Noten waren. Durch ihn habe ich von Teilhard de Chardin erfahren. Dieser Mann war ein jesuitischer Wissenschaftler, Biologe, Anthropologe und Paläontologe. Er hatte unter anderem den Peking-Menschen entdeckt. Und er hat eine Sicht der Dinge entwickelt, wie sie ganz meinen Vorstellungen entgegenkam. Für ihn hatte die Materie eine Innen- und eine Außenseite. Die Außenseite war die sichtbare Welt und die evolutiven Vorgänge in ihr waren die Innenseite. Angefangen von der Existenz der Materie über die Entstehung des Lebens, der Pflanzen, der Tiere bis hin zum Menschen, der aber noch nicht den Schlusspunkt darstellt, sondern in einem nächsten großen Schritt zu dem führen sollte, was Teilhard als Christogenese bezeichnete, also einen Menschen, wie er in Jesus sichtbar geworden ist, wäre Wirkung der Innenseite, des göttlichen Geistes, der diesen materiellen Prozess vorantrieb. Das war für mich wie eine Offenbarung, das leuchtete mir ein, so könnte man sich das Weltgeschehen vorstellen.

      5

      Ich muss wohl interessierte Fragen gestellt haben, auch schon bei der Besprechung von „Verlust der Mitte“, denn eines Tages sprach mich der Religionslehrer nach der Unterrichtsstunde an und fragte mich, ob ich nicht am Sonntag zum Gottesdienst kommen wollte. Eigentlich war ich kein begeisterter Kirchgänger, Religion und Kirche waren für mich zwei verschiedene Dinge. Nur meinem Vater zuliebe ging ich öfters, obwohl er selber auch nicht in die Kirche ging, aber von seinen Kindern verlangte er es. Das religiöse Zeremoniell sprach mich wenig an und die Predigten langweilten mich. Aber das Singen gefiel mir sehr, wenn es nur lebendigere Lieder gewesen wären und mehr Gottesdienstbesucher mitgesungen hätten. Ich litt sehr darunter, dass kaum jemand beim Singen den Mund aufmachte und mit „O Haupt voll Blut und Wunden“ konnte man mich regelrecht zur Kirche hinausjagen.

      „Überleg es dir“, sagte er, nachdem er mir beschrieben hatte, wie ich das Haus finden konnte, in dem der Gottesdienst stattfinden würde, und ging die Treppe hinunter.

      „Ich weiß nicht“, ging es mir durch den Kopf, meine Gefühle waren gespalten. In einem Haus sollte der Gottesdienst stattfinden und nicht in einer Kirche? Und warum spricht er ausgerechnet mich an und nicht auch andere? Interessieren würde es mich schon und am Sonntagvormittag hätte ich Zeit, zum Training ging ich ja erst nachmittags.

      Als ich am Sonntag nach dem Gottesdienst nach Hause kam, erzählte ich ganz begeistert meinem Vater von dem eben Erlebten. Die Messfeier hatte in einem ganz normalen, großen Raum stattgefunden. Alle saßen in einem Kreis, der an einer Stelle durch einen schlichten Tisch unterbrochen war, auf dem zwei Kerzen brannten. Unser Religionslehrer saß auf einem Stuhl hinter dem Tisch und links und rechts von ihm schloss sich der Kreis. Als das erste Lied gesungen wurde – es war ein Liederheft ausgeteilt worden – war ich überwältigt. Alle sangen kräftig mit, ohne dass eine Orgel oder sonst ein Musikinstrument gespielt worden wäre, und ich versuchte zaghaft vom Blatt und getragen von den vielen Stimmen, mitzusingen. Ein solches lebendiges, frohes Singen hatte ich noch in keiner Kirche erlebt. Und die Predigt – zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich eine Predigt, die mit meinem Leben etwas zu tun hatte und die einige von den Fragen beantwortete, die ich schon lange mit mir herumtrug.

      Mein Vater spürte meine Begeisterung und eigentlich hätte er zufrieden sein müssen, dass ich so für einen Gottesdienst schwärmte. Aber scheinbar machte ihn mein Überschwang misstrauisch, und was ich von der Messfeier erzählte, war nicht dazu angetan, seine skeptische Haltung zu verscheuchen, denn nicht nur, dass die Hostie in Form eines echten Stück Brotes gereicht wurde, nahm auch jeder aus dem Kelch einen Schluck Wein. Das war für ihn schon hart an der Grenze zur Ketzerei; meine Maßstäbe waren da andere.

      ***

      So beschwingt und froh bin ich noch nie zum Training gegangen, und heute gelangen mir Aufschläge, die ich schon so lange geübt hatte, die aber in dieser Regelmäßigkeit noch nie klappten. Es gelang mir, die Bälle gezielt an die Linien zu spielen, so dass mein Gegenüber Mühe hatte, sie zu erreichen, oder wenn er sie erreichte, wieder zurück in mein Feld zu schlagen. Es sollte ja nur ein lockeres Trainingsspiel sein, aber wie meistens, wenn ich auf dem Platz stand, setzte ich mich voll ein, nur nicht immer mit dem Erfolg wie heute. Es ging mir gar nicht in erster Linie ums Siegen, es ging mir eigentlich um das Spiel. Häufig spielte ich verkrampft, wollte den Ball um jeden Preis so knapp wie möglich über das Netz oder an die Linie spielen, wodurch er häufig im Netz landete. Nicht dass der Ball zum wiederholten Mal nicht dort ankam, wo ich ihn haben wollte, betrübte mich, sondern dass meine Bewegungen nicht harmonisch waren, dass ich den Schläger überhastet nach unten drückte oder den Ball viel zu früh nahm. Es machte mir relativ wenig aus, wenn ich verlor, mir aber sagen konnte, dass ich ziemlich auf dem Niveau gespielt hatte, das ich mir bis jetzt erarbeitet hatte. Dass andere besser waren als ich konnte ich durchaus akzeptieren. Nur wenn nichts lief, wenn alles, was ich trainiert hatte, nicht gelang, dann empfand ich eine Niederlage äußerst schmerzlich. Es war nicht die Niederlage als solches, sondern meine Unzulänglichkeit und mein Unvermögen, was mir so zu schaffen machte.

      Heute aber lief alles hervorragend, so dass der Trainer scherzend sagte: „Da kannst du ja bald in der Bezirksliga spielen“, was ich

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