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sagte Marlene Ulrich ehrlich.

      »Na, Schülerräte werden jetzt gegründet, damit wir uns nicht alles mehr von den Lehrern gefallen lassen müssen. Wir Schülerinnen haben auch unser Recht, seitdem wir eine Republik sind. Habt ihr in der Zeitung noch nichts von Arbeiterrat und Soldatenrat gelesen? Na also. Schülerrat ist so was Ähnliches.« Annemarie war ungeheuer stolz auf ihre Kenntnisse.

      »Ja, wie machen wir das denn, wenn wir solchen Schülerrat gründen wollen?« fragte eine zweifelnd.

      Annemarie zog die Stirn kraus und dachte angestrengt nach. Eine derartige Gründung war eine feierliche Handlung, die würdig begangen werden mußte. »Wir heben die rechte Hand hoch und sprechen alle zusammen die Worte der Eidgenossen auf dem Rütli: ›Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern – ach nee, Schwestern, in keiner Not uns trennen und Gefahr‹.«

      Das fanden sie alle sehr schön und feierlich. Nur Marlene gab zögernd zu bedenken: »Wenn uns Fräulein Neubert nur nicht wieder einen Tadel deswegen einschreibt.«

      »Kann sie ja gar nicht mehr, wenn wir erst unseren Schülerrat haben,« triumphierte Annemarie. »Also hebt die Hand hoch – die rechte, Vera – sprecht nach: ›Wir wollen sein ein einig Volk von Schwestern, in keiner Not uns trennen und Gefahr‹.« Laut und feierlich erschallte es durch die Untersekunda. Dreißig Hände hoben sich empor.

      »Nanu – führen Sie Wilhelm Tell hier auf?« erklang es da verwundert von der Tür her in den Schwur hinein. Professor Möbus betrat die Klasse zur französischen Stunde.

      Hui – war der Schwarm auseinandergestoben und auf den Plätzen. Keine dachte mehr an den soeben geleisteten Eid, in keiner Not sich zu trennen und Gefahr. Einsam thronte Doktors Nesthäkchen aus seiner Höhe. Annemarie war so verblüfft durch den plötzlichen Eintritt des Lehrers, daß sie das Heruntersteigen vergaß.

      »Nanu?« Kopfschüttelnd besah sich der Herr Professor die zu einer Statue erstarrte junge Dame. »Wollen Sie die Berolina vom Alexanderplatz darstellen, Braun?«

      Da kam wieder Leben in Annemarie. »Nee,« machte sie und war mit einem Satz herunter auf ihren Platz.

      Sehr viel Aufmerksamkeit war heute nicht in der französischen Stunde. Der Schülerrat spukte in den blonden und braunen Mädchenköpfen.

      »Um Mitternacht müssen wir zusammenkommen und den Eid ablegen, bei Mondschein, sonst ist es nicht ein bißchen poetisch,« flüsterte Ilse Hermann.

      »I wo, Bonbons müssen wir morgen alle mitbringen zur würdigen Feier,« schlug Marianne vor. Da war es wohl kein Wunder, daß die Übersetzung der »Athalie« nicht sehr flott ging, und die Nummern, die sich der französische Lehrer in sein Büchlein schrieb, nicht besonders ausfielen.

      Nach Beendigung der Stunde scharte man sich wieder um die Gründerin des Schülerrates.

      »Wir müssen einen Vorstand wählen,« schlug eine vor, deren Vater in vielen Vereinen tätig war.

      »Ja, natürlich« – »Annemarie Braun muß in den Vorstand« – »sie soll sich selbst die übrigen wählen.« Eine überschrie die andere.

      »Schön.« Annemarie nahm gnädig die Wahl an. »Ich wähle Marlene, Ilse, Vera und Marianne in den Vorstand.« Denn das war doch ganz selbstverständlich, daß sie vor allem erst ihre Kränzchenschwestern berücksichtigte.

      »Nee, lauter Freundinnen, das geht nicht,« erhob eine Widerspruch.

      »Und ich möchte auch gar nicht in den Vorstand,« wandte Marlene ein. »Erst muß ich sehen, wie die Sache mit dem Tadel verläuft. Muttchen wird schrecklich böse sein.«

      »Wir wollen gleich zum Direktor gehen und Beschwerde wegen der ungerechten Tadel erheben,« versuchte Annemarie sie zu überreden. Aber auch Ilse und Marianne hatten plötzlich die Lust verloren, in den Vorstand einzutreten. Zum Direktor gehen und Beschwerde gegen eine Lehrerin erheben – nein, das war doch zu riskant.

      Nur Vera, die Intima, blieb ihrem Schwur treu, in keiner Not sich zu trennen und Gefahr.

      »Drei müssen wir mindestens sein, sonst hat unsere Abordnung kein ordentliches Ansehen,« stellte Annemarie vor. »Wer tritt noch in den Vorstand ein?«

      Verlegene Mädchengesichter – beredtes Schweigen. Keine hatte Lust, den gefährlichen Gang zum Direktor zu wagen.

      »Ihr habt ja keinen Schneid im Leib, seid nicht wert, Gymnasiasten zu sein, die Jungs sind aus ganz anderem Holz,« machte die junge Vorsitzende des neuen Schülerrates ihre Genossinnen herunter.

      Schließlich meldete sich noch eine, die nicht sehr angesehen in der Klasse war und auch bei den Lehrern nicht besonders angeschrieben. Annemarie hätte lieber noch eine von den Fleißigen dabei gehabt, aber – »in der Not frißt der Deibel Fliegen«, dachte sie.

      »Wollt ihr denn wirklich zum Direktor gehen?« Die Kränzchenfreundinnen versuchten noch einmal die unternehmungslustige Annemarie umzustimmen.

      »Annemie, wirr fliegen bei Dirrektor alle drrei an derr Luft,« stellte auch Vera leise vor.

      »Wer Angst hat, kann ja hierbleiben.« Selbst der Busenfreundin gegenüber wurde Annemarie jetzt ärgerlich. »Der Schülerrat der Untersekunda hat seine Abordnung hier zu erwarten,« sagte sie großartig und verließ die Klasse stolzen Hauptes und nur wenig pochenden Herzens. Vera und die dritte im Bunde spazierten beklommen hinterdrein.

      Je näher man der Tür des Direktorzimmers kam, um so langsamer wurden die Schritte und um so schneller das Pochen der drei Mädchenherzen. Einen Augenblick zauderte selbst die kecke Annemarie, ehe sie an der Respekt einflößenden Tür mit den matten Glasscheiben anzuklopfen wagte. Nur einen Augenblick. »Herein,« rief es von drinnen.

      »Wollen wirr laufen nicht lieberr forrt?« Vera zog sie ängstlich rückwärts.

      »Hasenfuß!« Trotzdem auch Doktors Nesthäkchen durchaus nicht zum besten zumute war, öffnete sie jetzt erst recht keck die gefährliche Tür.

      Der Herr Direktor saß an seinem Arbeitstisch und blickte über die Brille hinweg auf die an der Tür bescheiden Stehenbleibenden.

      »Ei, sieh da, drei Grazien. Was bringen Sie Schönes?« fragte er wohlwollend.

      Den gütigen alten Augen gegenüber ging Annemarie ihre empörte Anklage nicht so recht über die Lippen. Wollte sie nicht Fräulein Neubert verpetzen? Pfui! Wenn sie es auch noch so beschönigte, im Grunde genommen blieb es doch ganz gemeines Klatschen.

      »Nun?« Der Herr Direktor wartete immer noch auf Antwort.

      Es half nichts, sie mußte reden.

      »Fräulein Neubert hat mir und meinen Freundinnen ungerecht einen Tadel gegeben.« – – – Flammendrot wurde Annemarie. Zum ersten mal in ihrem Leben petzte sie.

      »Ungerecht?« – Das freundliche Lächeln des Herrn Direktors schwand.

      »Ja, wir sind beim Schneeschippen von einem Konditor, vor dessen Tür wir geschaufelt haben, mit einer Tasse Schokolade für unsere Arbeit belohnt worden. Und dafür hat uns Fräulein Neubert unter Tadel geschrieben,« sprudelte sie heraus, wieder ganz aufsässige Entrüstung.

      »Hm – scheint mir nicht ganz wahrscheinlich, wird wohl noch anders zusammenhängen. Und was wollen Sie und die beiden andern nun bei mir?« Durchdringend blickten die Augen über die Brille hinweg.

      Annemarie drehte an ihren Fingern. Petzen – das Wort dröhnte ihr in den Ohren, trotzdem tiefe Stille in dem kleinen Raum herrschte. Aber wer A gesagt hat, muß auch B sagen.

      »Fräulein Neubert hat mich ferner vom Unterricht ausgeschlossen, und als ich mich trotzdem beteiligte, hat sie mich – da hat sie mich aus der Klasse gewiesen und mir einen zweiten Tadel eingeschrieben.« Ganz leise kam es diesmal über die roten Lippen. Annemarie schämte sich grenzenlos.

      »Das sind ja recht nette Sachen, die ich da zu hören bekomme. Diese unerfreulichen Dinge, die in der Sekunda nicht mehr vorkommen dürften, erfahre ich noch früh genug in der Konferenz. Was wollen Sie

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