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Winter, begrüßt den Frühling, feiert die Sonnenwenden und freut euch über die Ernte? Wer das heidnisch nennt, verkennt euren tiefverwurzelten Glauben. Wie der Kirchenkalender zeigt, gedenkt der wahre Christ an exakt denselben Tagen im Jahr der ihm zuteilwerdenden Heilsgeschichte.

      Während sich die gelebte Tradition rückwärtsgewand in beschaulichem Tempo auf ihren Siegeszug machte, hatte sich der gewiefte Mönch bereits umgedreht und dabei direkt in die Hölle geblickt. Das blanke Entsetzen beendete jäh das ruhige und friedvolle Erwarten dessen, was die ohnehin verlorenen Leichtgläubigen einfach auf sich zukommen ließen. Die ebenfalls penetrante Imagekampagne von Gevatter Tod zeigte offensichtlich nicht die gewünschte Wirkung. Das irdische Elend konnte noch so groß sein, dem Boten der Erlösung haftete trotz alltäglicher Anwesenheit der Makel einer gewissen Hinterhältigkeit an. Unfairerweise findet er auch an Säuglingen gefallen, die weder ihre Erblast abbauen, noch den notwendigen Eintrag im Buch des Lebens vornehmen konnten. Entsprechend hektisch trieb der heilige Benedikt seine Bruderschaft an, in der Kürze der verbleibenden Zeit wenigstens die größten zu erwartenden Qualen abzuwenden. Das gottgefällige Pensum konnte, anders als bisher angenommen, nur durch einen strikt geplanten und verzögerungsfrei eingehaltenen Tagesablauf erfüllt werden. Die langsam am Himmel entlang ziehende Sonne war kaum geeignet, den Mönchen das durch Verzug stündlich bedrohte Seelenheil zu vergegenwärtigen. In der Offenbarung des Johannes findet man hilfreicherweise jedoch nicht nur die detailreichen Schilderungen ewiger Verdammnis, sondern auch die Anregung zu einem akustischen Signal. Naheliegenderweise läuteten die Benediktiner panisch ihre neu eingeführte Glocke, was der Stundenplan hergab. Wer allerdings aufgrund der bildreichen biblischen Sprache ständig einen schwefelhaltigen Geruch auszumachen meint, verlässt sich verständlicherweise ungern auf einen menschlichen Glöckner. Mit der ersten mechanischen Uhr konstruierten die getriebenen Brüder nicht nur eine Apparatur, die dem peniblen Daseinsverständnis ihres Ordensgründers gerecht wurde, sie erfanden damit zugleich auch ein allgemein verständliches Sinnbild der Zeit. Entsprechend schnell fügte sich die alltagstaugliche Räderuhr in das behäbige Leben der einfachen Menschen ein. Die unüberhörbare Mahnung an die religiösen Pflichten förderte das Gemeinschaftsleben und sorgte für Ordnung. Auf eine Nebenwirkung waren die vorausschauenden Mönche mit ihrem besonderen Sinn für Nachhaltigkeit jedoch sicherlich nicht vorbereitet. Mit der mechanisch-akustischen Uhr läuteten sie, wie der Wirtschaftspädagoge Karlheinz A. Geißler spottet, die allmähliche Verabschiedung des Vorstandsvorsitzenden in den Ruhestand ein.

      Über Jahrhunderte hinweg hatten sich nur die ehrlosen Geldverleiher erdreistet, mit Gottes Eigentum Schindluder zu treiben. Wer sich auf diese einlassen musste, hatte jedoch sicherlich schon vorher den Pfad der Demut verlassen. Der Allmächtige stürzt schließlich niemanden ohne Grund in bittere Not. Der Fromme dagegen lebte in mäßiger Armut relativ unbehelligt nach dem natürlich-kirchlichen Rhythmus. Dessen wiederkehrende Bestandteile boten hinreichend Orientierung, während die ebenfalls enthaltenen regelmäßigen Unregelmäßigkeiten mit den einhergehenden Ernteausfällen für Abwechslung und Gottesfürchtigkeit sorgten. Die geheiligte Zeit Tag und Nacht für sich arbeiten zu lassen und die Zinsen einzustreichen ist, im Verhältnis zu dem, was nun kommen sollte, jedoch geradezu harmlos. In einem blutrauschähnlichen Wahn begannen Tüftler die Heilige zu zerstückeln. Als die mechanische Uhr im Spätmittelalter das Kloster verließ hatte die Zeit weder Zeiger noch Ziffernblatt. Das stündlich erklingende Glöcklein verbreitete genug demutserzeugende Aufregung. Im 16. Jahrhundert war das Opfer bereits hörbar Gevierteilt und stand durch einen Stundenzeiger am unübersehbaren, turmhohen Pranger der Stadt. Nur wenig später war bereits ein zusätzlich, stündlich kreisender Pfeil notwendig, um den aktuellen Stand anzuzeigen. In Nürnberg konnte man die Zeit ab 1510 sogar in einer Dose mitnehmen. Ab dem 17. Jahrhundert raste auf den Uhren das dritte Ärmchen im Minutentakt um das Ziffernblatt. Auch wenn die Angaben zur Entstehung der Zeiger zum Teil über ein Jahrhundert voneinander abweichen, die Bereitschaft zur Erneuerung zählt. Der Weltenschöpfer beherrscht zwar die Rhythmen, sein Tempo und seine Ungenauigkeit passen jedoch bei Weitem nicht mehr in die neue Zeit. Dem ewigkeitsverliebten Nostalgiker bleibt unbenommen, sich dem lebenszeitübergreifenden Bau von Kathedralen zu widmen. Der fortschrittliche Macher nimmt sich jedoch der Zeit selbst an und entwickelt sich zum Meister des Takts. Mit dieser Gleichförmigkeit kann sich das Unberechenbare getrost in die zweite Reihe stellen. Jetzt hat endlich das Ebenbild das Zepter in der Hand und beginnt in althergebrachter, taktloser Manier sich um den Herrschaftsanspruch zu streiten. Während die neue Konformität der Zeit ebenso viele Uhrzeiten wie Magistrate und Fürsten hervorbringt, zieht der Dreifaltige einen Trumpf aus dem Ärmel, den „Physiker Gottes“ Sir Isaac Newton (1643 bis 1727).

      Selbigem war es nicht nur gegeben, die bis dato immens gewachsene Komplexität des naturwissenschaftlichen Wissens in einem einzigen Prinzip zusammenzuführen, sein Loyalitätsverständnis gestand auch dem Allmächtigen einen Einflussbereich in der physischen Natur zu. Andere Genies und deren Vorarbeiten hatten sich diesbezüglich als unwürdig erwiesen. Genau genommen waren sie mit den irdischen Vertretern zusammengestoßen: Galileo Galilei (1564 bis 1642) mit seiner teuflisch ausgefeilten Besserwisserei und Johannes Kepler (1571 bis 1630) mit der juristischen Verteidigung seiner hexenden Mutter. Im Auftrag seines wirkmächtigen Mandanten dementierte Isaac Newton zunächst einmal die Beteiligung desselben an der Beeinflussung physikalischer Körper. Der einfache Gläubige verkenne diesbezüglich gerne einmal die Intentionen des allgegenwärtigen Weltenlenkers. Es sei zwar richtig, dass eine Zustandsänderung, aus der Ruhe heraus genauso wie bei einer gleichförmig geradlinigen Bewegung, auf Zwang basiere, dabei handele es sich jedoch ausdrücklich nicht um seinen Auftraggeber. Dessen Wege seien unergründlich, während sich die auf einen Körper wirkende, unsichtbare Kraft vielmehr als der Bewegungsänderung proportional und selbiger gleichgerichtet genau berechnen lasse. Zudem sei es geradezu lächerlich, eine Beteiligung des Schöpfers des Himmels und der Erde anzunehmen, wenn dem Einwirkenden erwiesenermaßen in gleicher Stärke entgegengetreten wird. Was sich stattdessen dabei abspielt? F=G*m1*m2/r2. Zwei eindeutig profane Massen ziehen wechselseitig aneinander. Will man das Ausmaß angeben, muss man selbige, wie die Formel zeigt, nur miteinander und der Gravitationskonstanten multiplizieren und durch den quadrierten Abstand ihrer Schwerpunkte dividieren. Absolut nichts Göttliches! Wer allerdings glaubt, die Bibel meine mit „Raum“, „Zeit“ und „Bewegung“ ebenfalls irdisch messbare Größen, hat jeglichen Bezug zur Wahrheit verloren. Wären die Eliten in ihrem Machtrausch nicht derart verblendet, könnten sie die Lösung für das von ihnen verursachte Uhrzeitdurcheinander bereits selbst erkennen. Dem Wahrheitssuchenden offenbart das Buch der Bücher in Kombination mit etwas experimenteller Phantasie den ebenso übernatürlichen wie realen, unveränderlichen Bezugsrahmen für jegliche Bewegung physikalischer Körper. Dieser besteht aus zwei voneinander unabhängigen Komponenten, dem absoluten Raum und der absoluten Zeit. Beide stehen jeweils unveränderlich zu nichts Äußerem in Beziehung. Eine materielle Umverteilung auf dieser unendlichen kosmischen Bühne macht sich mit den entsprechend veränderten Anziehungskräften ohne jegliche Verzögerung sofort überall bemerkbar. Nur ein unendliches, außerhalb von Raum und Zeit existierendes Wesen kann diese grenzenlose Eingrenzung verursacht haben. Mit dem diesbezüglichen Schuldeingeständnis seines Mandanten erläutert der Physiker in göttlicher Mission den hochwohlgeborenen Streithähnen die zeitlichen Konsequenzen. Zunächst einmal muss das menschliche Verständnis von „Dauer“ korrigiert werden. Aufgrund ihrer, bereits dem Schöpfungsakt vorgelagerten, Koexistenz mit Gott steht diese Bezeichnung alleine der absoluten, unbeirrbar gleichförmig verfließenden Zeit zu. Die „weltliche Zeit“ verspricht mit ihrem verführerischen Uhrzeitgesicht zwar eine größere Anschaulichkeit, sagt isoliert jedoch noch nichts aus. Nur in Relation zur göttlichen Weltzeit können sinnvolle Einordnungen und die Synchronisation aller Uhrzeiten vorgenommen werden. Mit diesem bezugslos fließenden, absoluten Rahmen erspart man sich jegliche Überlegungen, wie Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit ineinander übergehen. Alle drei stehen schlicht bereits fest, wie die Physikerin Ille C. Gebeshuber die newtonsche Welt veranschaulicht. Nimmt man einen beliebigen Punkt auf der Linie der allumfassenden Zeit als Gegenwart, meint Vergangenheit alles davor und Zukunft alles danach. Es versteht sich von selbst, dass ausschließlich das Davor das Danach beeinflusst haben kann.

      Nicht anders verhält es sich mit dem Einfluss Newtons auf den großen Philosophen Immanuel Kant, der auch einmal klein mit Mathematik und Physik begonnen hatte. Die Naturwissenschaften

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