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      Bezüglich Köhler bin ich ganz und gar nicht der Meinung des Handelsblattes, das Köhlers Amtsniederlegung im Ergebnis als eine persönliche Schwäche glaubt analytisch auf den Punkt zu bringen „Der tragische Präsident.“ (Handelsblatt 1. Juni 2010, Titelseite). Köhlers Begründung war Respektlosigkeit vor seinem Amt. Er legte das Amt nieder und seine Frau war an seiner Seite. Damit wurde nun erstmalig in Deutschland ein Amt aus Gefühlsgründen, wie allseits zu hören war, prompt niedergelegt. Respektlosigkeit und Chuzpe sind in Deutschland seit Jahren und weltweit Thema Nummer Eins. Köhler steht für beide nicht mehr zur Verfügung. Damit steht er gleichfalls nicht mehr als Repräsentant von Werten zur Verfügung, die nicht konform mit Forderungen nach und durch Globalisierung der Wirtschaft ausgesprochen oder unausgesprochen formuliert sind. Gabor Steigart, der verantwortliche Journalist der Titelgeschichte zu Horst Köhlers Rücktritt, fasst wie folgt zusammen: „Köhler verkörpert das andere Deutschland. Er war aufmerksam, nicht anmaßend, er war kenntnisreich, aber nicht belehrend, er war ein Zivilist und Humanist, ein Mann von internationalem Format. Er hat in jenen Jahren das Ansehen Deutschlands in der Welt spürbar gemehrt.“ Wer als nächster oder nächste das Amt des Bundespräsidenten auf sich nimmt, Werte zur Diskussion stellt und in der Ausübung seines Amtes den Spagat über die Klüfte von Oben und Unten, einerseits notwendigen Änderungen des Menschen- und Umweltschutzes und andererseits ökonomischen Fortschritten an der täglich glühenden Front der Globalisierung international verwirklichen oder zumindest empfehlen will, befindet sich in der Hölle der Zerreißprobe zwischen Mehrwert und Selbstwert – soweit es eine Persönlichkeit ist, die das Thema bereit ist, für sich selbst klar zu formulieren: denn, mit einem bequemen und lieben Bundespräsidenten oder einer beliebten und netten Bundespräsidentin, die sich bereits politisch eindeutig positioniert hat, wird Deutschland nur eine Schaufensterpuppe präsentieren können, die nichts bewegt. Köhler bewegte sich äußerst vorsichtig und nachsichtig im Amt – und er ist nicht verstanden worden: „Im März 2009 sprach er in der Berliner Elisabethkirche über die Ursachen und die Folgen der Finanzkrise. Die Schärfe, mit der er damals die Banker angriff, überraschte viele. Freiheit ist kein Vorrecht, die besten Plätze für sich selbst zu reservieren’, rief er. Der Markt allein werde es nicht richten. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt.’“(M. Nass, 2. Juni 2010, S. 3)

      Man hat sich in Wirtschaft und Politik auf die Füße getreten gefühlt, befremdet und konfrontiert, und den notwendig aufzunehmenden Faden ignoriert. Aber eben nicht nur ignoriert, sondern kritisiert. Im Gegenzug kritisierte man die Amtsausübung und damit Horst Köhler persönlich. Er, der nicht Geeignete, dieses Amt gut oder befriedigend auszuüben. Frage: Für wen oder was war es nicht befriedigend oder gut genug ausgefüllt?

      Der Brief von Joachim Hunold, Chief Executive Officer (Airberlin.com){3}, an Horst Köhler vom 28. Mai 2010 steht pars pro toto für eine auf die Spitze getriebene politische Kommunikation, in der es an Verdrehungen des Gemeinten nicht fehlt – und aus dieser sich zwangsläufig ergebenden Widersprüchlichkeit dreht sich kein Mensch allein heraus: es sei denn, er hat einen guten Interpreten des Gemeinten, der es vermag, die feinen Fäden des Wertes des menschlichen Wesens auch in jenen zusammenzufügen, die primär Interessen ökonomischer Natur global und funktional zu erfüllen haben. Diese feinen Fäden aufzunehmen und zu einem neuen Teppich in Deutschland und darüber hinaus global zu weben, ist Aufgabe und Programm. Dazu bedarf es vieler Wollhersteller mit zahlreichen Arbeitsgängen, Spinner, und Weber.

      Zunächst muss es aber Menschen geben, die das Thema überhaupt erst einmal aufgreifen und klar benennen. Horst Köhler griff in der Regel äußerst vorsichtig zu polarisierenden verbalen Formeln und manchem, nicht in Wirtschaft und der Politik, waren sie zu schwach. Wer glaubt, dieses Thema des menschlichen Wesens und seines Selbstwertes und seiner Existenz übergehen zu können, erliegt einer Illusion.

      Aber, mit der Amtsniederlegung von Horst Köhler und dem Umgang damit in den Medien wird eines klar: Man glaubt immer noch, es ginge, über dieses Thema, sprich, über das Thema „menschliches Wesen“ hinweg treten zu können. So, als handle es sich um eine Pfütze auf der Straße, die mal eben salopp zu überspringen ist, um sich keine nassen Füße zu holen. Meiner Meinung nach geht dies nicht: mehr.

      Es werden weitere Menschen folgen, die sich überfordert und übervorteilt fühlen und am liebsten sagen würden, ich schmeiße alles hin. Ihnen sind bereits Millionen Menschen in Deutschland innerlich vorausgegangen, die äußerlich durch Globalisierung ihres existenziell-beruflichen Teppichs entledigt worden sind: Hartz-IV-Empfänger, Menschen, die abhängig bei Telekom und Siemens, Karstadt, Nokia und anderen Unternehmen arbeiteten, Menschen, die ihren Wohnort verlegten, um ein Stellenangebot wahrnehmen zu können... Sie konnten nur für sich innerlich ihre Hoffnungen, Wünsche und Ideale begraben. Sie konnten sich mangels finanzieller Absicherung nicht vor die maßgeblichen Entscheider ihrer Existenz stellen und sagen: „Das ist respektlos. Das ist würdelos. Ich lege meine Arbeit noch vor Ihrer Standortverlagerung nieder.“ Auch ist kein Hartz-IV-Empfänger zu Angela Merkel gegangen und hätte gesagt: „Verehrte Bundeskanzlerin. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich dieses Hartz-IV-Finanzangebot, das meine Familie, meine Frau und meine Kinder und mich in die Armut treibt, wo wir des Nachts kein Auge mehr zu tun, weil wir nicht wissen, wie wir vor Existenz- und Zukunftsangst in den Schlaf kommen sollen, dankend zurückgeben. Ich weiß zwar nicht, wie es weitergehen soll: aber so, mit diesen unzähligen Sonderbestimmungen und Durchforstungen nach geheimen Barschaften, Sparbüchern und Aberkennung meiner guten Absicht, den unzähligen Seiten, die auszufüllen sind, damit wir unsere Existenz minimal finanzieren können, dem Terror der Bürokratie personell und gesetzlich-sachlich und der Tatsache, dass wenn ich etwas dazu verdiene, mir vom Wenigen dazu Verdienten dann ein großer Teil wieder abgezogen wird, kann ich nur sagen:Frau Bundeskanzlerin, dieses Vorgehen und Benehmen beschämt mich zutiefst nach so vielen Jahren des Verkaufs meiner Arbeitskraft in Deutschland. Ich empfinde es als respektlos meiner Frau und meinen Kindern gegenüber, dass sie nun mit mir verarmen müssen. Ich empfinde diese Situation als für mich entehrend und entwürdigend. Ich lehne dankend ab.“

      Köhler hat Vorbildwirkung eben genau in dem Stil, den er am 31.5.2010 an den Tag legte: Es wurde Licht. Seine Worte, um eine Metapher von J.M. Coetzee zu übernehmen und auf diese Amtsniederlegung anzuwenden, fühlten die einen als Paukenschlag, die anderen vielleicht so: Wie Wasser gegen einen Felsen, so schlugen seine Worte gegen Ignoranz und Schweigen. (Abgewandelt übernommen aus Coetzee: Eiserne Zeit, 2003, S.41) Auch wenn die unzähligen Mutmaßungen, Projektionen, Spekulationen und Interpretationen, die auf dem Fuße folgten, in diesen Tagen versuch(t)en, es zu verdunkeln. Respekt vor diesem Stil, der Menschen in Deutschland aus völlig unterschiedlichen Gründen fehlt, aber Mut machen könnte: Denjenigen, die das Sagen haben und denjenigen, die diesem Sagen lauschen müssen und innerlich schon gar nicht mehr da sind und nichts mehr glauben und dennoch nichts tun können...

      Leider fehlte mir selbst genau dieser Köhlersche Schneit (und Geld) nach Inaugenscheinnahme meiner ersten Abrechnung durch die Kassenärztliche Vereinigung 1999 und der für mich völlig veränderten Arbeitssituation. Die Voraussage eines Kollegen nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub 1999 ließ mich verzweifeln: damals wurde unser Honorar von 145,00 DM auf teilweise ca. 39,00 DM (BKK) pro 50 Minuten Psychotherapie vor Steuer abgesenkt – damals weinte ich und warf mich ins Bett trotz hellem Sonnenschein und spürte: „Nein, jetzt mache ich nicht mehr weiter – jetzt reicht es...“ Ich hätte mit dreimal so vielen Patienten arbeiten müssen, um den gleichen Betrag monatlich zum Leben zur Verfügung zu haben! Damalig arbeitete ich mit ca. 37 Patienten in der Woche: Es wären also 111 Patienten, die ich statt 37 Patienten hätte versorgen müssen... Ich stand dennoch wieder auf, weil ich keine andere Chance sah, meinen Beruf sinnvoll, also auch für Kassenpatienten und nicht nur für Privatpatienten, auszuüben. Näheres über diese Zeit werden Sie in Band 2 mit dem Titel „Die Zulassung zur Abschaffung“ lesen können. Ich war nicht einverstanden, was mit meiner Berufsgruppe und mir nach der sozial-rechtlichen Regelung für unseren Berufsstand und die Aufnahme in die Kassenärztliche Vereinigung 1999 geschah. Ich bin es auch heute noch nicht. Es wurde im Laufe der Jahre leider nicht weniger, womit ich nicht mehr einverstanden bin,

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