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Weise selbst so wertlos wie er seinen „Ersatz“ entwertet, der ebenso ersetzt werden kann, folgt man diesem Denken und Fühlen. Anhand dieses allgemein bekannten „Alltagsdenkens“ wird deutlich, dass es nicht um den Menschen geht, der zusammen mit anderen Menschen lebt und arbeitet, sondern um dasjenige, was da geschafft werden soll und an Leistungsnorm erfüllt werden soll und wird. Menschen sind angehalten, über sich selbst und andere in dieser Weise zu denken und zu fühlen: sie selbst folgen einer Funktion ebenso wie andere Menschen....

      Um es deutlich zu sagen: Menschen sind keine Funktion, sondern haben eine Funktion oder Tätigkeit.

      Insofern ist jeder Mensch anders und führt seine Tätigkeiten auch anders aus. Kein Mensch ist wie der andere und kein Mensch ist durch einen anderen Menschen einfach mal eben so zu ersetzen, sei noch einmal betont: ob Kindergärtnerinnen, Lehrer, Bundespräsidenten, Kanzlerinnen, Bauarbeiter, Gärtner, Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten oder Polizeibeamte, weder im beruflichen Bereich noch im privaten Leben als Partner. Wechseln die Menschen, die bestimmte Funktionen inne hatten und / oder Beziehungen führten, verändert sich das Leben derjenigen, die den Wechsel hautnah miterleben. Es ist nicht mehr so wie vorher! Wäre dem nicht so, gäbe es keine Entwicklung.

      Es ist für mich zweifelsohne ungewohnt, zu verallgemeinern und mit extrem belasteten Begriffswelten zu hantieren, wie „Kapitalismus“ eine darstellt. Zumal nicht abzusehen ist, welche Inhalte damit jeweils über den von mir beabsichtigten Kontext hinaus in der Leserschaft assoziiert werden. Schließlich prägt eine Wirtschaftsstruktur Leben und Menschen in einer Kultur so nachhaltig, dass das Aufgreifen dieser Lebensbasis einen Schritt, einen Meter Distanz fordert, um sie überhaupt aufzeigen zu können.

      Vielleicht ist es für den einen oder anderen Leser hilfreich, sich vorzustellen, dass zu unterschiedlichen Spielen, unterschiedliche Spielfiguren und, im Vergleich zu anderen Spielen, andere Regeln gehören: Schachfiguren sehen differenzierter aus als Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Püppchen und die Figuren zwischen den beiden Spieltypen unterscheiden sich zusätzlich bezüglich ihrer Funktionen innerhalb des Spiels. Man könnte sich vorstellen, Kapitalismus sei ein Spiel. Es könnte eine Hilfe in der Wahrnehmung sein, offen zu schauen, wie es oder er funktioniert. Wie Sie alle wissen, ist es sehr schwierig, etwas klar wahrzunehmen, was zur Gewohnheit geworden ist. So ist es auch mit der Form von Ökonomie, wie „Kapitalismus“ eine darstellt. Wie gesagt, man braucht etwas Distanz, um vorurteilsfreier, also ohne die gewohnten (denn Gewohnheit ist so selbstverständlich, dass man sie nicht mehr wahrnimmt: man nimmt Dinge als normal an und hin) Emotionen und Annahmen, zu reflektieren, und zu begreifen, wie diese Ökonomie im Menschen wirkt. In den Büchern ist zigmal die Rede von „Kapitalismus“. Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es mir nicht darum geht, irgendeinen Menschen persönlich anzugreifen, wenn ich von „Kapitalisten“ oder „Kapitalismus“ spreche. Mir geht es darum, dass die Regeln, nach denen im Kapitalismus gespielt wird, offen zutage treten, damit jeder Mensch weiß, womit er es zu tun hat, und wozu er seine Einwilligung in heutiger Zeit innerhalb des ökonomischen Systems „Kapitalismus“ gibt. Mir geht es um Bewusstwerdung der Lebensbedingungen und, wenn möglich, um Verbesserungen für Menschen in heutiger Zeit: und dies auch im Sinne der Kinder, die heutzutage aufwachsen.

      Dabei ist nicht zu vergessen, dass ich selbst im Kapitalismus aufgewachsen bin. Dennoch wage ich dieses Abendteuer als Psychologische Psychotherapeutin und Mensch, mich mit dem Leben, so wie die wirtschaftliche Struktur es prägt, in den vorliegenden Büchern auseinanderzusetzen, obgleich Kapitalismus auch für mich so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen ist. Ebenso wie morgens den Wecker klingeln zu hören, aufzustehen, um später nach Frühstück und Zeitung lesen in meine Praxis zu fahren, um dann dort von meinen Patienten zu hören, wie es ihnen in ihrem Leben ergeht, unter was sie leiden und welche Probleme sie belasten, aus denen ich ihnen nach bestem Wissen und Gewissen fachlich und menschlich heraushelfe.

      Um das, was im Leben extrem belastend ist und nicht mehr tolerierbar erscheint, geht es im vorliegenden Buch. Es ist unmöglich, alle Facetten des Lebens und ihre individuelle Bedeutung wie Bezüge zur Gemeinschaft aufzuzeigen, damit sich der Leser im konkreten Beispiel wieder erkennen kann. Es geht um die Darstellung zweier Seiten in einer Gesellschaft, die primär durch die Ökonomie geprägt ist. Es ist von der kapitalistischen Medaille zu sprechen, die zur Währung von umfassenden Lebensinhalten geworden ist. Es kann sein, dass eine Seite mehr in den Vordergrund gestellt ist als die andere. Insofern: Atmen Sie, lieber Leser, durch, vielleicht habe ich ja auch das Gegenbeispiel noch aufgegriffen! Dennoch hoffe ich, Sie in den Büchern zur Heillosen Kultur nicht vergessen zu haben! Letztlich geht es jedoch darum, mehr von dem zu verstehen, wer wir sind und was aus uns geworden ist. Es geht nicht um Urteil und Verurteilung (auch wenn dies an verschiedenen Stellen in den Büchern so erscheinen mag), sondern um Wahrnehmen, Fühlen und Verstehen, um Erkenntnisse zu gewinnen, die einen hoffentlich besseren Horizont für eine wünschenswerte Zukunft bescheren.

      Haarfeine, individuelle Einzelheiten, die Lebenszusammenhänge und deren psychische Reaktion auf Angriffe der Seele spiegeln, mit denen ich tagtäglich rund um die Uhr durch meine Arbeit mit Menschen beschäftigt bin, lehrte mich die Wiederholung und die Gleichheit von Auslösern für Probleme, Leid, seelische Nöte, Existenzangst und die krankmachende Wirkung verleugneter Gefühle, die Dynamik des Einzelschicksals zu einem Beispiel in einer Vielheit von Menschen in der Gegenwart werden lassen.

      Gründe und Auslöser für seelische Symptome sind differenziert in der Psychopathologielehre der International Classification of Diseases (ICD), der praktischen und alltäglichen Arbeitsgrundlage aller der WHO angehörenden Mitgliederstaaten, dargelegt. Auffällig wurde für mich in meiner praktischen Arbeit – neben den üblichen Themen, die sich aus dem massiven Leid durch Trennungen und Beziehungsprobleme und allem, was sich für Kinder daraus ergibt – ab ca. 1994 die Häufung von Menschen mit Diskriminierungen am Arbeitplatz, die völlig unterschiedliche Symptome in Menschen hervorbrachten: Ohrgeräusche, Magen-Darmprobleme, Schilddrüsenerkrankungen, Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken, Herzrhythmusstörungen und gehäuft Rückenprobleme aller Art, Migräne- und Kopfschmerzen und alle Symptome, die ich jetzt hier nicht aufzähle und wo mit alleiniger medizinischer Behandlung hartnäckigen Symptomen nicht erfolgreich beizukommen war und ist. Es wurde von Vorgesetztenverhalten berichtet, von Änderungen in Firmenstrukturen, von Arbeitszeitkürzungen, Einkommenskürzungen, den Sorgen, wie die laufenden Kosten beglichen werden soll(t)en, Verhalten von Sachbearbeitern auf Ämtern, Verfahrensvorschriften zum Ausfüllen von Formularen, Irrwegen in Krankenkassenangelegenheiten und welche Kasse welche Kosten übernimmt, Schulversagen von Kindern und so weiter und so fort.

      Erst dachte ich, es handele sich um Einzelfälle. Da ich aber eine große Praxis leitete, hörte ich diese Gründe, Beschwerden, Klagen und Symptome auch von meinen in der Praxis tätigen Kollegen. Vereinzelt sprach man deshalb von Mobbing und Stresserkrankungen und Burnout-Syndromen. Kinder und Jugendliche berichteten aus Schulen und von dem Verhalten von Schülern und Lehrern, das ähnliche Symptome wie bei Erwachsenen in ihnen hervorrief. Inzwischen wird mit Begriffen, die Diagnosen sind, wie Mobbing, Panikattacken, Burnout, Trauma und Traumatisierung mit größter Selbstverständlichkeit quer durch die Gesellschaft begrifflich hantiert, als gehörten sie wie selbstverständlich zum Leben. Parallel hierzu wurde von Verhaltensmustern seitens Firmen, Verkäufern und Anbietern von irgendwelchen Leistungen und Verträgen einerseits ebenso berichtet, wie andererseits von Struktur- und Projektleitern und Geschäftsführern großer Firmen, die sich nicht mehr mit dem Vorgehen der Firmenleitung oder Firmenideologie identifizieren konnten und davon sprachen, dem steigenden Druck nicht mehr gewachsen zu sein, potenzielle Kunden mehr oder weniger bewusst in die Irre führen zu müssen, um selbst leben zu können, indem sie Verträge unterzeichnet bekamen, die den eigenen wie den Firmenumsatz erhöhten, und damit die Provision sichergestellt wurde. Den Mut, die Arbeitsstelle an den Nagel zu hängen, hatten sie oftmals nicht, weil keine berufliche Alternative in Sicht war. Im Gegenzug hatten Firmenleitungen in den letzten zehn Jahren kein Problem damit, tausende von Menschen aus ihren Arbeitsverhältnissen hinaus in die Arbeitslosigkeit oder in mindere und einkommensschwache Jobs hinein zuführen, wenn man sie nicht sofort in die generelle Arbeitslosigkeit schickte. Ähnliches gilt strukturell bei staatlichen und städtischen

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