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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer
Читать онлайн.Название FUKUSHIMA - IM SCHATTEN
Год выпуска 0
isbn 9783847679226
Автор произведения Juergen Oberbaeumer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Es hatte schon immer Probleme und Skandale in den Atomkraftwerken Dai-ichi und Dai-ni gegeben, besonders in der „Nummer Eins“, wie Dai-ichi heisst. Nummer eins der Luegen und Vertuschungen wie wir jetzt, viel zu spaet, besser und besser wissen und uns fragen: Wie konnte das sein? Natuerlich war uns schon bewusst, uns, im Gegensatz zu den technikglaeubigen und vertrauensvoll liberaldemokratisch waehlenden Menschen um uns herum, dass da am Strand ein Monster hockte. Gleich an der Nationalstrasse 6, aber durch ein Waeldchen gut abgeschirmt und so weit weg von Menschen, dass es fast unsichtbar war. Strategisch ideal gelegen, genial gefunden dieser Platz.
Weit genug vor den Toren der Stadt, zwischen ein paar kleinen Doerfern die es erst reich machte und dann vernichtete. Eine dunkle Wolke am Horizont – mehr waren diese zwei AKWs mit ihren zehn Reaktoren fuer uns nicht; wie ahnungslos wir waren.
Eine vage Bedrohung die uns immer davon abhielt weiter nach Norden zu gehen, in die schoene, unberuehrte Landschaft in die es uns eigentlich zog: mehr nicht. Uns aber nicht veranlasste hier wegzuziehen. Wie dumm wir waren nicht auf unser Gefuehl zu hoeren.
Andererseits – wie schwer es ist eine Umgebung zu verlassen in der man einmal Fuss gefasst hat: sehe ich jetzt. Wie die Fliege auf dem Klebeband zappeln wir hier und koennen uns doch nicht losreissen; wer ausser dem einen belgischen Cowboy auf seinem Jolly Jumper koennte schon den eigenen Schatten hinter sich zuruecklassen?
Grosse Ereignisse werfen aber ihre Schatten voraus weiss das Sprichwort, und auch wir haben einige verblueffende Dinge gesagt und getan, wenn ich mich erinnere an die Wochen vor dem Erdbeben. Ich habe jetzt mein Tagebuch von damals noch einmal gelesen unter der Perspektive: Habe ich das Unheil irgendwie kommen spueren? Und wundere mich ueber dies und das; ohne, dass uns damals etwas bewusst geworden waere. Natuerlich – das ist eben so. Irgendwas haben wir aber gespuert denke ich.
Makaber: wir sahen und kommentierten sarkastisch ein Video, den alten Schinken vom „China Syndrome“ mit Jack Lemmon und Jane Fonda: eine Woche vor den Ereignissen. In dem Film geht’s um eine Kernschmelze in den USA! Der geschmolzene Kern unterwegs in Richtung Erdmittelpunkt, und darueber hinaus nach China. Wir ahnten nicht wie bald wir genau das in unserer unmittelbaren Nachbarschaft haben wuerden, nur dass es jetzt gleich drei alles veraetzende Trumm Hoellenfeuer sind die in Richtung Suedatlantik, offene See vor Uruguay, weit draussen vor dem Rio de la Plata wandern.
Noch krasser ist Folgendes. Wir haben – hatten! – ein Lieblings-Onsen, „Misaki-koen“, in unmittelbarer Naehe des AKW Dai-ni, und damit also in der Todeszone. Sehr schoen war es da, man konnte da sogar im Freien das heisse Wasser geniessen, die Erinnerung kommt beim Schreiben so deutlich… den Mond ueber dem Meer aufsteigen sehen, wenn man genau am Einstieg, aus Natursteinen sehr schoen gemacht, links der kleinen Treppe im Wasser so sass, dass der eine Tragpfosten die beschissen blendende Laterne auf der Wiese zwischen Bad und fernerer Natur verdeckte. Das entdeckte ich bei meinem letzten Bad da! Mariko nebenan im Frauenbad: ob sie den gleichen Mond sah?
Auf dem Rueckweg vom Onsen, abends gegen acht, mit dem Auto diese kuenstliche Allee mit den faux chinois Strassenlaternen laengs, zurueck zur N 6, sahen wir eine Reklametafel fuer die Praefektur Fukushima; „beruehmt“ sollte Fukushima werden wurde darauf erhofft. „Wodurch denn bloss?“ spottete ich. „Beruehmt? Wenn ueberhaupt durch irgendwas dann hoechstens durch die verdammten Atomkraftwerke…“ wobei natuerlich impliziert war durch eine Katastrophe; mein Spott legte sich aber nicht in irgendeiner Form, als Vorahnung oder dergleichen, duester auf’s Gemuet, nein, wir erinnerten uns erst an diesen surrealistischen Dialog als wir gut eine Woche spaeter auf der Flucht vor eben dem sozusagen herbeigespotteten Ungeheuerlichen waren.
Waere uns die Bedrohung akut erschienen – haetten wir uns sicher nicht ausgerechnet an diesem letzten Besuch im Bad eine Zehnerkarte gekauft! Die koennen wir jetzt an die Wand nageln.
Ob die Voegel uns was sagen wollten? Wer kann die aber schon verstehen. Wir hatten drei 'Visionen'; die erste war ein praechtiger Graureiher der unversehens seine riesigen Schwingen schlagend hier im Garten vor unserem kleinen Teich stand. Schwang sich nach ein paar Augenblicken aufs Dach, hockte da („unheilverkuendend“?) waehrend Mariko und ich uns freuten und flog nach einigenAugenblicken hoch zum Tempel; auf die eine grosse Kiefer in deren Wipfel er manchmal zu sehen ist. Derselben, unter der ich ein paar Tage spaeter Zuflucht vorm Tsuanami nahm.
Die zweite war noch seltener. Es gibt die „japanische Nachtigall“, Uguissu, die als Fruehlingsbringer geliebt wird. Sie ruft unverkennbar melodisch mit einem Triller den jeder kennt auch, wenn er sonst kein Spatzentschilpen vom Kraechzen einer Kraehe unterscheiden koennte. Die Uguissu ist nun auch dadurch bekannt dass man sie nie sieht. Nie. Wie den Kuckuck bei uns. Aber zwei Tage vor dem elften Maerz hoerten wir eine ganz nah: im Strauch am Teich – und dann zeigte sie sich uns! Hoppte flink an den duerren Zweigen hoch und runter und floetete froh. Wir waren sprachlos vor Staunen!
Das dritte Orakel war ein Zug Schwaene, durch den blauen Mittagshimmel zurueck in den hohen Norden… Trompetend zogen sie, majestaetisch weiss, fort von uns in Richtung Nordwest. Wir winkten ihnen nach, das taten wir wirklich, wir sind manchmal so, ich lasse mich von Mariko mitreissen, und freuten uns mit ihnen: zurueck in die Heimat. Freuten uns auf den nahen Fruehling den wir in der sonnigen Frische des Maerzmittags so deutlich wahrnahmen!
Warum daraus aber ein Gedicht entstand das ich mit „Schwanengesang“ betitelte und in dem ich mich als 'verbannnt' bezeichnete, ein paar Tage nur vorausschauend sachlich korrekt, das weiss ich wirklich nicht. – Temporaer verbannt, genauer gesagt, denn wir sind zurueck!
Ausser den ungewoehlichen Besuchen der Uguissu und des Graureihers beobachteten wir weiter kein aussergewoehnliches Tierverhalten, weder waren unsere Katzen unruhig noch sonstwas. Wir waren in zweihundert Kilometer Entfernung vielleicht zu weit weg vom Epizentrum – seit dem grossen Beben von Lissabon 1755 wird doch sonst immer berichtet, Tiere haetten sich sonderbar verhalten! Ob’s nun am zweiten Weihnachtstag 2004 fluechtende Elefanten in Thailand waren oder Schlangen in China 2008 oder die Ameisen in Chile von denen Isabel Allende schreibt. Das groesste gemessene Beben ueberhaupt war dieses Chile-Beben von 1960: die Erde schuettelte sich mit einer Magnitude von M 9.5 und warf einen Tsunami auf der quer ueber den gesamten Pazifik raste und sogar hier in Japan 138 Menschen umbrachte wie ich nachlese. Zwischen fuenf und ueber sechs Metern hoch rollte der Tsunami damals hier an Land! Vom andern Ende der Welt kommend! Ob er bei uns in Iwaki Schaeden angerichtet hat? Es gibt keine Berichte.
Die Japaner reden nicht wie wir Deutschen ewig und drei Tage ueber die Vergangenheit! Vergessen so etwas schnell. Vielleicht weil Naturkatastrophen hier eher zum Alltag gehoeren als in Nordeuropa? Taifune, Erdbeben, Vulkanausbrueche, Tsunami – alles sind Dinge gegen die man sich nicht schuetzen kann. Man nimmt sie hin. Haelt sie aus – baut wieder auf was kaputtgegangen war und vergisst. „Erdbeben – Blitzschlaege – Feuer – der Alte…“ sind die sprichwoertlichen Plagen. Das Leben bringt von Tag zu Tag zuviel Schwierigkeiten, immer neue, um lange ueber verschuettete Milch zu klagen.
Und am Morgen nach dem Taifun ist das Wetter so unvergleichlich schoen! So klar ist die Luft: ich habe einige solcher Sonnenaufgaenge ueber dem aufgewuehlten Meer hier fotografiert, an meiner Lieblingsstelle, dem Felsen von Hattachi im Nachbarort Hisanohama und sah dabei einmal etwas sehr Seltenes aufleuchten, den „gruenen Blitz“ am oberen Rand der Sonnenscheibe. Leider war ich zu verbluefft um auf den Ausloeser zu druecken; das Phaenomen machte seinem Namen Ehre.
Das Gespraech mit „Lucky“ vom Februar ist im Nachhinein auch eigenartig. Lucky ist ein Typ der auch aus Deutschland kommt. Zwei Deutsche im gleichen gottverlassenen Kaff, hier am Rand der bewohnten, der bewohnbaren Welt kann man jetzt ja ungeniert sagen – wie ist das zu erklaeren? Wo wir schon von Seltsamkeiten reden. Ein Bayer ist er.
Aha, ein Muenchner! Wenn auch bestimmt nicht im Himmel… aber genauso unerschuetterlich wie der andere. Faehrt allerdings statt BMW stolz Harley Davidson: natuerlich mit einer blau-weissen Fahne am Heck.
Er