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die Anzahl der rotierenden Blaulichter der Polizeiautos zunahmen.

      Dann lief er die Treppe hinab, vorbei an teils ängstlich weglaufenden, teils schreienden Passanten und eilte die zweihundert Meter zur Piazza Pia, wo er seinen Wagen verschlossen und mit einer Parkscheibe versehen abgestellt hatte.

      Niemand nahm von Merlot Notiz, als er kurz darauf den unscheinbaren klapprigen Fiat, einen dunkelblauen Leihwagen der Mittelklasse, den er unter falschem Namen angemietet hatte, in einer abgelegenen Gasse abstellte.

      In der Absteige in der Via Cassiodoro, in der er sich eingemietet hatte, würde er für die nächsten Stunden sicher sein. Doch erst hatte er noch etwas zu erledigen.

      *

      „Eine bodenlose Sauerei!“, tobte Commissario Capo Leonardo Balestra, wobei er in seinem Büro auf und ab lief. Wie konnte das geschehen? Hat man geglaubt, der Schütze ergibt sich, sobald er Polizeiuniformen sieht? Hat man den Beamten nicht gesagt, was sie unter Umständen in dem Haus erwartet?“

      Commissario Sparacio hatte keine Ahnung. Er hatte die Carabinieri nicht zum Haus am Largo del Colonnato beordert. Das war bereits vor seinem Erscheinen am Tatort geschehen.

      Nun stand er mit Balestra, den es nicht mehr in seinem Büro gehalten hatte und Enzo Sciutto auf dem Dach des Hauses, auf dem der Kampf zwischen dem Mörder Zanollas und den Gendarmen stattgefunden hatte.

      Die beiden Toten und den durch einen Kolbenschlag schwer verletzten Carabinieri hatte man bereits abtransportiert. Überall wimmelte es von Beamten der Spurensicherung.

      „Untersuchen Sie jeden Zentimeter!“, hatte Sparacio ihnen aufgetragen. „Patronenhülsen, Zigarettenkippen, Fußspuren, einfach alles!“

      Sparacio trat an die Balustrade des Daches und sah über den Petersplatz, stellte sich den Weg vor, den die Gewehrkugel des Mörders genommen hatte.

      „Ein verdammt guter Schütze“, murmelte er vor sich hin. „Dieser Mann ist ein Profi. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass er uns noch einige Sorgen bereiten wird.“

      „Commissario!“

      Sparacio drehte sich zu dem Rufer um. Einer der spurensichernden Kollegen, ein junger schlaksiger Mann, winkte ihm aufgeregt zu. Mit einem letzten Blick über den Petersplatz begab er sich zu dem Mann, der mit dem Finger auf den Boden zeigte.

      „Ein Siphon“, sagte er. „Es gibt davon mehrere hier auf dem Dach. Sie halten den Schmutz des Regenwassers zurück. Aber nicht nur das Regenwasser. Sehen Sie selbst!“

      Der Stolz des jungen Kollegen war unverkennbar und als Sparacio näher hinsah, fiel ihm das glänzende Teil neben dem Unrat ins Auge.

      „Gut gemacht, Kollege! Das ist die Patronenhülse einer Langfeuerwaffe. Es wurde nur ein Schuss abgegeben, also wird es die einzige Patrone ihrer Art sein.“

      Kurze Zeit später hielt Sparacio die Hülse in seiner Hand. Spätestens von diesem Moment an wusste er, dass er es mit einem Profi zu tun hatte. Er hielt sie Balestra und Sciutto unter die Nase.

      „Ein Scharfschützengewehr Kaliber. 50. Ich tippe auf ein Barrett. Die Krone der Erfindung, wenn es um Präzision und Reichweite geht.“

      „Sie vermuten doch. Oder sind Sie sich etwa sicher?“ Balestra schaute Sparacio ungläubig an.

      „Das Kaliber ist ungewöhnlich und außer einer Barrett ist mir derzeit kein Scharfschützengewehr mit einem solchen bekannt.“

      „Und damit kann man auf 400 Meter einen Menschen erschießen?“

      „Vorausgesetzt, der Schütze benutzt ein entsprechendes Zielfernrohr. Diese Waffe kommt zum Einsatz, wenn größere Entfernungen und eine massive Durchschlagskraft benötigt werden. Mit diesem Gewehr sind Treffer auf eine Entfernung von bis zu 1,8 Kilometer möglich. Das muss man sich einmal vorstellen!“

      Sparacio drehte sich zu dem Kollegen um, der die Hülse gefunden hatte. „Was ist mit den Hülsen am Treppenaufgang?“

      „Es handelt sich um Pistolenmunition, Commissario. Kaliber 44 Magnum. Es sind auch Einschläge in der Wand des Treppenhauses vorhanden. Wir werden die Geschosse sicherstellen und vergleichen. Sie erhalten den Bericht so schnell wie möglich.“

      *

      Monsignore Paolo Tremante starrte auf den elektronischen Chip zwischen den Spitzen seines Daumens und Zeigefingers und sah den Gardisten, der sich stramm vor ihm aufgebaut hatte, fragend an.

      „Dieser Chip dort …“ Wachmann Enzo Bertani deutete mit einer Kopfbewegung auf das kleine etwas in der Hand seines Chefs. „Er stammt aus der Kamera des Toten … des Ermordeten.“

      Tremante nickte nachdenklich und zog die Stirn besorgt in Falten.

      „Ein Mord. Ein Mord vor dem Vatikan. Zu den Füßen des Heiligen Vaters. Die Menschen schrecken vor nichts mehr zurück. Erzählen Sie genau, was geschah! Und … Bertani … was hat es mit diesem Chip auf sich? Aus welchem Grund nahmen Sie ihn an sich. Hat die Polizei …?“

      „Nein, Monsignore, die Polizei weiß nichts davon. Ich dachte … als der Schuss fiel und der Mann tödlich getroffen zu Boden stürzte … nein, ich dachte nichts, ich tat es einfach. Der Mann war tot, das sah ich sofort. Doch ich versuchte noch, erste Hilfe zu leisten. Da war nichts mehr zu machen. Aber es bot sich die Gelegenheit, die Taschen des Mannes unauffällig zu durchsuchen.“

      „Und Sie fanden eine Fotokamera?“

      Bertani nickte. Seine Haltung versteifte sich um eine weitere Nuance. Er sah in Richtung seines Vorgesetzten, doch er sah ihn nicht an. Sein Blick haftete sich auf das linke Ohr des Monsignore, als er zu einer Erklärung anhob.

      „Dieser Mann stürzte auf die Wachstation zu und verlangte, vorgelassen zu werden.“

      „Vorgelassen?“

      „Er wollte zu einem meiner Vorgesetzten, wie er sich ausdrückte. Er faselte etwas von einer Nachricht, die die Welt bewegen würde.“

      „Und er wollte diese Nachricht dem Vatikan zukommen lassen? Merkwürdig.“ Tremante betrachtete den Chip in seiner Hand. „Warum gerade der Vatikan?“

      „Der Mann sagte, die Nachricht, die er überbringen wollte, beinhalte Erkenntnisse, die fundamental für die katholische Kirche sein würden.“

      „Sie haben der Kamera den Chip entnommen.“ Tremante sah Bertani anerkennend an.

      „Es besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass diese Nachricht, die, wie er sagte, fundamental für die katholische Kirche sein würde, auf diesem Chip gespeichert ist. Ich wollte doch nur …“

      „Sie wollten doch nur ...?“ Tremante machte einen Schritt auf seinen Gardisten zu, der zusammenzuckte.

      „Sie haben das einzig Richtige getan! Ich danke Ihnen. Gehen Sie nun! Und … Bertani … kein Wort über unsere Unterredung und kein Wort über diesen Chip. Zu niemandem. Auch nicht der Polizei gegenüber. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?“

      Bertani nickte. „Zu Ihren Diensten, Monsignore. Ich werde schweigen wie ein Grab.“

      Als die Tür hinter dem Gardisten ins Schloss gefallen war, eilte Tremante in sein Büro, das nur durch eine Tür von dem Empfangsraum getrennt war, zog die Tür ins Schloss und verriegelte sie. Dann öffnete er das Oberteil des Laptops auf dem wuchtigen, massiven Schreibtisch aus Teak und startete das Gerät.

      Während der Laptop hochfuhr, betrachtete er den Chip in seiner Hand. Was würde er darauf vorfinden? Sollte er jemanden hinzuziehen?

      Nein, das hat Zeit, beschloss er. Er würde die Sichtung alleine durchführen. Vielleicht war ja auch alles falscher Alarm.

      Inzwischen hatten sich die Programme des tragbaren Computers eingerichtet und Tremante gab sein Passwort ein. Dann schob er den Chip in den Leseschlitz und als ihm der automatische Start den Inhalt anzeigte, war der Monsignore sichtlich enttäuscht. Was er dort sah, war eine einzige Bilddatei mit dem Dateinamen Brief01.jpg.

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