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den hohen Mauern befindet sich mittig ein mächtiger, runder Turm, der ein spitz zulaufendes Dach mit Steinschindeln trägt. In der Umgebung der Burg erblickt Cloe eine Ansammlung einfacher Häuser, die eng aneinander gruppiert sind. Es wirkt fast so, als ob sie sich schutzsuchend unter die Fittiche der Festung zusammendrängen würden. Diese Unterkünfte besitzen dunkelgrün gestrichene Türen und sind mit Reet gedeckt. Im ersten Moment erinnern sie die Elfe an Tante Ainsleys Heim. Die Häuser sind offenbar alt, worauf die leicht gewellten Dächer ebenso hindeuten, wie das an vielen Stellen darauf wachsende dunkle Moos. Die Außenwände sind mit einem dunkelroten oder warm-gelben Putz versehen, was gut mit den Türfarben harmoniert. Die Scheiben der Sprossenfenster spiegeln die schon bald im Westen untergehende Sonne. Das warme Licht scheint die Ankommenden freundlich zu begrüßen. Doch sie reiten nicht dorthin, sondern auf das mächtige Tor der Festung zu.

      Arawn hämmert mehrmals mit der Faust kräftig gegen das Eichenholz. Es dauert nur wenige Momente, dann schaut ein Augenpaar kurz durch eine Luke heraus. Sofort ist das Entfernen eines Riegels zu hören, dann öffnet sich ein bisher verborgenes kleineres in dem mächtigen Tor. Der entstehende Zugang ist breit genug, dass die Reiter ohne abzusteigen hindurchreiten, wobei sie sich etwas auf den Hals der Pferde hinab bücken.

      »Willkommen daheim«, wird Arawn von dem Torwächter begrüßt, der die Worte erneut wiederholt und dabei die anderen anblickt. Der Herrscher der Fairwing bedankt sich bei ihm. Während der Mann den Zugang zur Festung schließt und wieder in seinem Torhaus verschwindet, reiten alle über einen mit Steinen gepflasterten Platz an einem Brunnen vorbei. Sie überqueren den Innenhof, auf dem reges Treiben herrscht und gelangen zu den Stallungen. Die Pferde werden einem Stallburschen übergeben, der sie versorgen wird. Die Elfe zögert einen Moment. Sollte sie sich nicht besser selbst um ihr wertvolles Tier kümmern? Ein Blick in den großen, sauberen Stall mit hübsch verzierten Boxen überzeugt sie aber sofort, dass sie sich auf eine umsichtige und kompetente Pflege verlassen kann. Während sie sich umschaut, entlässt Arawn seine Begleiter und schickt sie zu ihren Familien. Cloe dreht sich zu ihm um.

      »Wo befindet sich nun Cian?«, fragt sie mit drängender Ungeduld. »Ich möchte ihn gerne sehen, ist das möglich?«

      Der Herrscher der Fairwings hat schon mit dieser Frage gerechnet. Mit einem Lächeln antwortet er:

      »Natürlich können wir sofort zu ihm gehen. Ich hege fast den Verdacht, du vermutest, wir könnten uns nicht richtig um diesen Elfen kümmern.«

      »Nein!«, widerspricht die junge Frau sofort. »Es tut mir leid, falls ich den Eindruck erweckt haben sollte. Ich glaube dir, dass ihr alles versucht, ihn zu versorgen. Aber ich beherrsche Magie und vermag ihm anders als eure Heilkundigen zu helfen.«

      »Wir werden erst einmal feststellen, ob es der Elf ist, den du suchst.« Arawn lächelt immer noch und fordert Cloe auf, ihm zu folgen. Sie begegnen auf ihrem Weg mehreren Bewohnern der Burganlage. Alle grüßen kurz und gehen ohne Zögern ihrer jeweiligen Beschäftigung nach. Der Herrscher grüßt jedes Mal freundlich zurück und eilt mit seiner Begleiterin weiter. Der Duft nach frischem Brot weht über den Platz und das Gackern von Hühnern kündet von soeben gelegten Eiern.

      »Es wird vermutlich bald Abendessen geben«, schlussfolgert die Elfe aus den äußeren Eindrücken. Vor der Tür eines flachen, langgestreckten Steinhauses bleibt Arawn stehen und dreht den Messingknauf.

      »Komm herein, aber Vorsicht, die Türöffnung ist etwas niedrig.« Das Gebäude ist tatsächlich nicht so hoch aufragend wie viele der anderen, aber es befindet sich in gutem Zustand. Die Tür quietscht nicht beim Öffnen, obwohl Cloe das erwartet, und ein frischer Duft nach Kräutern weht den Neuankömmlingen entgegen. Sie folgt Arawn und senkt ihren Kopf etwas mehr als notwendig, um zu verhindern, dass sie oben anstoßen wird. Der Raum liegt in hellem Licht, das nicht nur durch die Türöffnung hereinfällt. Mehrere Fensteröffnungen lassen ebenfalls genug davon herein, so dass am Tag keine zusätzliche Beleuchtung notwendig ist. Da der Abend aber nahe ist, sind vorsorglich mehrere Kerzen angezündet, die eine warme Helligkeit spenden. Die Elfe schließt die Tür und schaut sich um. Der glatte Steinfußboden ist mit Stroh und Kräutern bestreut. Es duftet leicht nach Pfefferminze und Rosmarin, die eine antiseptische Wirkung haben, wie Cloe weiß. Eine Reihe von Liegen stehen im Raum verteilt, wobei sie der Ausdehnung des Gebäudes in Längsrichtung folgen. Heute wird nur das erste Bett genutzt. An ihm hält offenbar ein Betreuer Wache, der sich von seinem Sitz neben der Liege erhebt. Cloe grüßt den Pfleger, der einen sauberen Kittel trägt und tritt näher. Obwohl es nicht zu dunkel ist, nutzt sie eine Lichtkugel, die sie über dem Kranken in der Luft schweben lässt.

      »Magie! Das … das kann ich auch.« Die zittrige Stimme des alten Mannes ist kaum zu verstehen, dafür erscheint eine zweite Kugel neben der ersten. Cloe betrachtet das zerfurchte Gesicht, vergleicht es mit der Beschreibung, die sie von Kayleigh erhalten hat und aus ihrer Erinnerung aufruft. Die silbrig-grauen Haare passen ebenso wie die buschigen Augenbrauen. Sie dreht sich zu Arawn um.

      »Es ist Cian!«, stellt sie mit Überzeugung fest.

      »Cian? Bin ich das?« Das blasse Gesicht des Elfen zeigt ungläubiges Staunen. »Ich wollte etwas Wichtiges erledigen, was war das nur? – Immer höre ich ein Raunen in meinem Kopf. – Die Stimmen verwirren mich. Sie rufen dauernd diesen Namen. Was bedeutet das?« Die Augen des Elfen sind weit aufgerissen. Er wälzt sich jetzt unruhig hin und her. Der Pfleger schiebt sich sofort zwischen Cloe und das Bett.

      »Er braucht dringend Ruhe. Ein weiteres Gespräch verbiete ich!« Er stützt die Hände auf seine Hüften und schiebt den Unterkiefer etwas nach vorne. Er ist offenbar bereit, zum Wohle des Patienten notfalls eine Auseinandersetzung mit seinem Herrscher zu beginnen. Sofort zieht sich die Elfe ein paar Schritte zurück.

      »Du hast recht. Ich wollte den Patienten auch nicht aufregen.« Soweit sie es bisher erkennen konnte, gibt es an der Versorgung Cians nichts zu bemängeln. Sein Gesicht und die Haare sind gewaschen und er ist sogar ordentlich gekämmt worden. Die Wunde am Hinterkopf ist unter einem sauberen, weißen Verband verborgen, der teilweise um sein Kinn herum verläuft, damit er nicht verrutscht. Welche Versorgung mit Kräutertees und Salben er erhalten hat, weiß Cloe nicht, aber etwas ihrer Zauberkraft will sie zusätzlich nutzen. »Ich beherrsche Magie, die ihm helfen wird. Wenn du damit einverstanden bist, werde ich sie anwenden. Ist das in Ordnung?« Sie blickt in das jetzt entspannte Gesicht des Mannes.

      »Das darfst du gerne. Wir haben seine Wunde gereinigt, genäht und eine entzündungshemmende und heilungsfördernde Salbe aufgetragen. Essen wollte er nichts.« Sein Blick wandert zu einem separaten Tisch, auf dem eine Schüssel und ein Becher zu erkennen sind. »Flüssigkeit hat er aber zu sich genommen, weshalb wir ihm Baldriantee mit einigen Tropfen Mohnsaft zur Beruhigung geben konnten. Trotzdem scheint er noch sehr aufgewühlt zu sein. Er spricht immer wieder von »Draco«. Dann lacht er plötzlich und ruft mit energischer Stimme: »Mein Drache!«. Was das bedeuten soll, ist mir nicht klar. Ich denke, der Schlag, den er abbekam, hat ihn derart verwirrt.« Cloe nickt zu den präzisen Erläuterungen. Dieser Mann hat offenbar sein Mögliches getan, Cian zu versorgen.

      »Ich werde ihn in einen heilsamen Schlaf versetzen, der bis morgen andauern wird. Ein Zauberspruch wirkt zuverlässiger als der Tee, auch wenn der Mohnsaft ihn eigentlich in eine tiefe Entspannung schicken müsste. Wenn er seelisch zu angespannt ist, kann die Wirkung durchaus verzögert einsetzen oder ganz aufgehoben werden. Am morgigen Vormittag komme ich wieder her, um ihn näher zu untersuchen«, erläutert sie ihre Absicht. Der Pfleger nickt Zustimmung und beobachtet dann interessiert, was sie macht. Cloe tritt näher zur Liege und breitet beide Arme über den Liegenden, der ihr mit seinen Augen folgt. Zuerst murmelt sie »Addormito«, worauf Cian sofort in einen ruhigen, tiefen Schlaf fällt. Gleichzeitig erlischt die zweite Lichtkugel, die dieser herbeigerufen hatte. Dann folgt »Cum ri buidseachd«, was ihm helfen soll, einem möglichen dunklen Fluch zu widerstehen. Zum Abschluss spricht die Elfe »Salvus«, was sofort ein goldenes Gleißen von ihren Händen auf den Verletzten fließen lässt. Mit »Beatha« ruft sie erneut das Flirren hervor. Nach einiger Zeit hebt Cloe das auf, um sich nicht unnötig in Gefahr zu begeben. Sie erinnert sich gut daran, wie es ihr erging, als sie nicht aufhören wollte, Lebensenergie auf ihre Mutter zu übertragen. Das hätte auch ihr beinahe das Leben gekostet. Der Pfleger blickt sie verständnislos an, weshalb

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