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Am Ende des Wohlstands. Shimona Löwenstein
Читать онлайн.Название Am Ende des Wohlstands
Год выпуска 0
isbn 9783738051964
Автор произведения Shimona Löwenstein
Жанр Социология
Издательство Bookwire
In dieser Situation führt eine gern als Lösung präsentierte „geburtenfreundliche“ Politik, die stärkere Förderung von Familien durch Kinderfreibeträge, Kinder- oder Erziehungsgeld (bzw. Elterngeld), bis hin zu der heute forcierten Politik der Schaffung von mehr Krippenplätzen, mit der man die erwünschte Geburtenzunahme erreichen möchte, nicht zu größeren künftigen Einnahmen des Staates und der Kassen, sondern nur zu ihrer zusätzlichen Belastung. Nicht nur deshalb, weil die verschiedenen Maßnahmen (einerseits Kita-Ausbau, andererseits Betreuungsgeld für das Zuhausebleiben von Kleinkindern, [90] Ehegattensplitting auch für kinderlose, ja homosexuelle Paare, usw.) sehr teuer und in sich widersprüchlich sind. [91] Die Vorstellung selbst ist anachronistisch: Denn auch dann, wenn die ganzen Förderungen die Bevölkerungsabnahme und damit die Alterung der ganzen Gesellschaft tatsächlich bremsen oder aufhalten könnte, wäre dies keine Lösung der bestehenden Probleme, weil diese Sicht nur die Rentenproblematik, aber nicht den strukturellen Wandel der Gesellschaft (die Entindustrialisierung und die damit verursachte Arbeitslosigkeit) berücksichtigt. Die in den statistischen Prognosen aufgezeichneten Beschäftigten werden nämlich aus ihren Einkommen neben immer mehr Rentnern noch einige zusätzliche Arbeitslose unterhalten müssen, und zwar desto mehr, je mehr Menschen da sind. Die gleiche Problematik gilt übrigens auch für die in den letzten Jahren immer mehr geforderte Zuwanderung von Ausländern, von denen in Wirklichkeit nur ein ganz geringer Anteil als Arbeitskräfte tatsächlich gebraucht wird. Mehr „Menschenmaterial“ bedeutet nicht zwangsläufig Einkommenszuwachs, sondern in Zeiten wirtschaftlichen Wandels nur die Beschleunigung des Niedergangs. Das Problem besteht auch nicht darin, daß eine schrumpfende Bevölkerung ihre immer länger lebenden Senioren nicht mehr ernähren kann, sondern daß die Renten und alle übrigen sozialen Systeme (die Arbeitslosen- und Krankenversicherung) an das Arbeitseinkommen gekoppelt sind.
Die notwendige Reform der Sozialsysteme bestünde somit in der Entkoppelung der sozialen Leistungen von der Arbeitswelt bzw. in der Ersetzung der bestehenden Sozialversicherungen durch steuerfinanzierte einkommensunabhängige Grundsicherung: Grundeinkommen (Bürgergeld), Grundrente und gesundheitliche Grundsicherung, die durch Erwerbsarbeit, die bereits bestehenden Ansprüche (z.B. gesetzliche Rente) sowie durch private Vorsorgesysteme ergänzt werden könnten. Die Entwicklungstendenz der heutigen Gesellschaft läuft darauf gezwungenermaßen hinaus. Einen Versuch, den zusammenbrechenden Sozialstaat in diesem Sinne zu reformieren, hat nichtsdestoweniger in Deutschland noch nie jemand gewagt. Statt dessen werden stets aus kurzsichtiger und punktueller Perspektive oder wohltaktischem Kalkül Vorschläge hervorgebracht und nur aus isolierten Betrachtungen entstandene widersprüchliche Maßnahmen ergriffen, deren unberücksichtigte Nebenwirkungen und Folgen sich im ganzen System ausbreiten und gegenseitig verstärken, worauf bereits vor dreißig Jahren Kurt Biedenkopf hingewiesen hat. Aus politischen Kompromissen und Rücksichten auf vielerlei Interessen werden schließlich unausgegorene „Mogelpackungen“ als Reformen präsentiert, die nicht auf Ursachen, sondern auf Symptome gesellschaftlicher Mißstände zielen und zu deren Bekämpfung ganze Armeen von Hilfeleistenden angeheuert werden.
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