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wahr ist oder ob sie mir einfach nur ihr Zeug andrehen will.

      Nach einer ausgiebigen Dusche kuschle ich mich auf die Couch und mache die Glotze an. Beim Zappen stoße ich auf eine Sendung über Planetenkonstellationen.

      Sofort muss ich an Gillean denken. Das passiert mir in letzter Zeit öfter. Was er wohl gerade macht? Ich spiele mit dem Gedanken, ihm zu schreiben, trau mich aber irgendwie nicht. Seitdem ich ihn aus dem Krankenzimmer verscheucht habe, hab ich nichts mehr von ihm gehört. Kunststück, er kann ja nicht in meine Zeit kommen – zumindest nicht ohne magische Hilfe. Und seien wir uns mal ehrlich, welcher Hexer würde freiwillig den Großinquisitor per Anhalter durch den Steinkreis mitnehmen?

      Ich fühl mich mies, weil ich mich nicht mal für seinen Besuch bedankt habe. Immerhin hat er seinen Vater verloren und trauert sicher um ihn.

      Als mich der Lord angeschossen hat, haben ihn einfach zu viele Flüche getroffen. Er war tot, bevor sein Körper den Boden erreicht hat.

      Wie kann man nur so egoistisch sein, tadle ich mich selbst. Ich bin in all der Zeit nicht auf die Idee gekommen, ihm mein Beileid auszusprechen, geschweige denn, ihn zu fragen, wies ihm geht. Zu sehr war ich mit meinem eigenen Kummer beschäftigt.

      Kurzerhand schalte ich den Fernseher aus, kralle mir ein Stück Papier und schreibe einfach drauflos:

       Gillean,

       Wusstest du, dass sich die meisten Planeten gegen den Uhrzeigersinn drehen? Wenn ich mich selbst aber im Uhrzeigersinn drehe, wird mir dann weniger schwindlig, als würde ich mich in Richtung der Erddrehung bewegen?

       Ich muss immerzu an das denken, was passiert ist.

       Können wir uns sehen?

       Raven

      Gerade wird mir klar, dass ich ihm den Brief gar nicht mit einer Taube schicken kann, denn ich hab ja keine Zauberkräfte mehr. Wieso vergess ich das immerzu? Das passiert mir in letzter Zeit ständig. Manchmal fange ich sogar an, zu singen und stoppe dann abrupt. Ich hoffe, da bricht einfach nur mein Hexeninstinkt durch. Das, oder mein Gehirn ist durch das Koma verbruzzelt. Dementsprechend genervt knülle ich das Papier zusammen und versenke es im Mülleimer.

      Ich frage mich gerade, wie lange ich eigentlich noch verdrängen will, dass mir Beliar vorhin einen Heiratsantrag gemacht hat. Auf jeden Fall noch ein bisschen.

      Bei dem Gedanken an ihn baut sich in mir wieder dieses Unruhegefühl auf – die Wirkung des Tranks scheint bereits nachzulassen. Toll, normalerweise betäubt das Zeug meine Gefühle länger. Verdammt. Jetzt fühl ich mich wieder in die Zeit vor vier Monaten zurückversetzt und das ist ein Scheißgefühl, über das ich bereits hinweg war – zumindest habe ich es erfolgreich verdrängt. Jetzt kommt alles wieder hoch.

      Wieso hab ich „Nein“ gesagt, als er mir den Antrag gemacht hat? Die Frage schießt mir unentwegt durch den Kopf. Aber noch viel beängstigender ist, dass ich darauf keine Antwort habe. Verdammt – hör auf, dich fertigzumachen.

      Ich spiele mit dem Gedanken, mir noch ein Fläschchen runterzukippen, verdränge ihn aber aus Angst, mir eine Überdosis von diesem Zeug zu holen und kralle mir meine Jacke, um beim frische Luft Schnappen den Kopf freizukriegen.

      Ich bin noch nicht mal zur Tür raus, da sehe ich unentwegt Beliars verletztes Gesicht vor mir. Tränen fluten bereits meine Augen, da brülle ich vor Zorn und schnappe mir erneut eins von den Fläschchen, das ich in einem Zug leere. Nach ein paar Atemzügen setzt dieses Gefühl wieder ein, als wär alles halb so wild. Ich lächle sogar, weil das so guttut.

      Im Flur kollidiere ich beinahe mit meinem Nachbarn, Mister Jankins, einem alten, zotteligen Hexenmeister, der mich quietschvergnügt anlächelt.

      Ich gehe – wie immer – stumm an ihm vorbei. Er sieht so aus, als sei er der nette Opa von nebenan. Solche Leute haben es meist faustdick hinter den Ohren. Irgendwie habe ich, seitdem ich mich in meinem Onkel so getäuscht habe, Probleme, anderen zu vertrauen.

      Manche mögen mich vollen Spottes als Einsiedlerkrebs bezeichnen – ich nenne es eine gesunde Portion Misstrauen gegenüber magischen Wesen.

      Durch mein Amulett, das mir Junus zurückgegeben hat, erkenne ich Hexer schon von Weitem. Da stellen sich mir immer die Nackenhaare auf und ein Schauer zieht über meinen Rücken.

      Keine drei Schritte später erfasst mich ein Schwindel, der es ganz schön in sich hat. Bevor ich mich irgendwo festkrallen kann, wird mir schon schwarz vor Augen.

      Etwas klopft unaufhörlich gegen meine Wange. Genervt grummle ich und schlage die Augen auf. Als ich in das grinsende Gesicht meines Nachbars blicke, rapple ich mich wie vom Blitz getroffen hoch. Okay, was ist hier gerade passiert? Plötzlich wurde mir irgendwie übel, danach bin ich glaub ich zusammengeklappt. Scheiße, ich hätte die dritte Flasche von dem Kräuterzeug nicht runterkippen sollen.

      „Ihr jungen Dinger“, stößt der Hexer belustigt aus. „Nichts auf den Rippen und dann bei der kleinsten Anstrengung ohnmächtig werden.“

      Erst jetzt erkenne ich die fremde Umgebung inklusive der Couch unter mir. Das ist definitiv die Wohnung eines Rentners. Meine Fresse, hat er mich etwa hier reingeschafft, als ich bewusstlos war?

      Meine Alarmglocken läuten. Fast automatisch sucht meine Hand nach meinem Amulett, das sich glücklicherweise noch an seinem Platz befindet. Mister Jankins zieht neugierig die Augenbrauen hoch.

      „Hast du etwa Angst vor mir? Rose, nicht wahr?“, will er amüsiert grinsend wissen. Hoffentlich hat er meine Handgelenke nicht kontrolliert, an denen ich immer reichlich Armreifen und -bänder trage, um die Tattoos zu verbergen.

      „Ähm“, stoße ich lahm aus, um Zeit für die Suche nach einer anderen Antwort zu schinden, denn den frechen Kommentar: „Was mir Angst macht, ist Ihre Schmuddelcouch, dessen Geruch anhaften bleiben wird“, den ich auf Lager hatte, verkneif ich mir lieber.

      Plötzlich bleibt mein Blick an einem Gegenstand im Raum hängen. Es ist ein Bild von einem Mann – nein, einem Krieger mit Vollbart, der auf einem Streitross sitzt. Sein wallendes, hüftlanges Haar schlingt sich um seine nackte Brust, dessen Muskeln so aufgeblasen dargestellt sind, dass das Bild schon fast eine Karikatur sein könnte.

      „Wer ist das?“, frage ich, ohne nachzudenken.

      „Ähm Jesus“, stößt der alte Mann aus. Er hält mich echt für total dämlich. Das ist doch nicht Jesus.

      „Du bist merkwürdig“, stellt er fest, nachdem er mich ausgiebig gemustert hat. Dabei kneift er die Augen zusammen, als würde er durch mich hindurchsehen wollen. Fühlt er etwa, dass ich auch eine Hexe bin?

      „Wie charmant“, spotte ich, ohne mir mein Unbehagen anmerken zu lassen.

      Er lächelt verschmitzt, steht auf und kramt in einer Schublade. „Wo hab ich denn … ah“, spricht er zu sich selbst.

      Meine Glieder versteifen sich, denn er könnte eine Waffe rausziehen. Fast automatisch greift meine Hand in die Jackentasche, in der ich immer ein Messer mit mir rumtrage. Was soll ich sagen, ich bin ein gebranntes Kind.

      Als er mir die Karte zur Identifikation von Hexen vor die Nase hält, lockere ich meinen Griff sogleich.

      „Was siehst du darauf?“, will er wissen.

      Natürlich sehe ich den Raben nur zu deutlich, aber lüge: „Nichts.“ Ich will lieber inkognito bleiben.

      Er nickt nachdenklich. Blöderweise weckt die verdammte Karte Erinnerungen. Bilder fluten meinen Geist – glückliche Momente, die ich mit Beliar hatte, als ich noch dachte, ich wär Hope.

      „Können Sie mir sagen, wie man Gefühle betäuben kann?“, sprudelt es aus mir heraus. Ja ich weiß, das ist feige, aber ich will nichts mehr fühlen. Es tut so weh, an ihn zu denken.

      Der Hexer runzelt die Stirn. Sichtlich vor den Kopf gestoßen erklärt er: „Wieso sollte jemand Gefühle wegschließen

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