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1816 wurden die Deutschen zunächst in moldauischen Dörfern untergebracht, wo sie als Tagelöhner ihr Auskommen fanden. Nun galt es, sich in Geduld zu üben, die fremde Sprache zu erlernen und sich in Ungewohntes zu fügen. Selbst die Nahrung war ganz anders als daheim. Anstelle des Brotes, welches die Deutschen gewöhnt waren, mussten sie mit Mamaliga, einem Brei aus Mais, vorliebnehmen. Der Traum vom eigenen Hof schien in weite Ferne gerückt, manch einer sehnte sich schmerzlich nach der alten Heimat.

      Doch die Behörden arbeiteten, wenn auch langsam, an der Aufgliederung des Landes. Sie teilten die südbessarabische Steppe, Budschak genannt, in Areale ein und nummerierten sie. Wie aus einem Gemeindebericht des Jahres 1848 hervorgeht, kamen die ersten Siedler im Juni 1816 an, um ihr Land urbar zu machen. Zur Unterstützung bekamen sie dafür pro Familie eine Kuh und zwei Ochsen, einen Wagen und einen Holzpflug sowie verschiedene Gerätschaften wie Hacke, Spaten, Sichel und Dreschflegel ausgehändigt.

      Es ist für uns kaum vorstellbar, was die Menschen empfunden haben müssen, die hier mit Ochsenkarren standen und ihre neue Heimat betrachteten. So weit das Auge reichte, nur Gras und meterhohe Unkräuter. Die riesige Ebene war von flachen Hügelketten durchzogen, in der Ferne glitzerte ein Flüsschen. Auf dem ihnen zugewiesenen Land gab es weder Baum noch Strauch. Als das erste Gewitter grollte und strömender Regen sie in ihre Wagenzelte trieb, wurden bestimmt einige Tränen vergossen. Doch für Verzagte war hier kein Platz, tapfer besannen sich die Menschen auf ihre Träume und die Möglichkeit, sie in diesem Land zu verwirklichen. Harte Arbeit war freilich nötig, aber wer von ihnen war die nicht gewöhnt?

      Weil in dem hohen Bewuchs Ungeziefer und Schlangen ihr Unwesen trieben, errichteten die Menschen Hütten aus Lehm und Gras. Die Männer spannten mehrere Ochsen vor einen Pflug und bestellten das Land, was sehr große Anstrengungen erforderte. Zum Glück war der Boden fruchtbar. Nach der ersten Ernte von Roggen und Weizen konnten die Deutschen endlich wieder Brot essen. Langsam begannen sie sich heimisch zu fühlen. Mit Fleiß und Ausdauer schritten sie zur Tat. In den folgenden Jahren entstanden an dem Steppenflüsschen Kogälnik Dörfer mit geraden Straßen, Steinhäusern, Schulen, Kirchen und Läden.

      In der Organisation des gesellschaftlichen Lebens, bei der Beschaffung von Saatgut und bei der Gründung von Ämtern erhielten die Menschen, die ja meist nur einfache Bauern waren, Unterstützung von dem sogenannten Fürsorgekomitee, welches sich aus russischen und deutschen Beamten zusammensetzte. Dieses Fürsorgekomitee kümmerte sich um alle Belange des Zusammenlebens, jedoch hauptsächlich um die wirtschaftlichen, und war bis 1871 aktiv.

      Ihre Dörfer nannten die Bauern Paris, Leipzig, Gnadental, Hoffnungstal und Eigenheim. Allein aus diesen Namen kann man die große Hoffnung ablesen, die man auf dieses Land setzte.

      Die Gemeinde meiner Vorfahren war das elfte der neu gegründeten Dörfer und wurde ‚Feré-Champenoise‘ genannt, zur Erinnerung an den Sieg der verbündeten Armeen über die Franzosen am 25. März 1814 bei der Stadt Feré-Champenoise. Da die Leute diesen Namen schwer aussprechen konnten und ihr Dorf das elfte war, nannten sie ihre Gemeinde in schwäbischer Mundart einfach die ‚Elft‘. Später gab es ein ‚Alt-Elft‘ und ein ‚Neu-Elft‘.

      Die Kolonisten hatten ihre Träume wahr gemacht und sich eine neue Heimat geschaffen. Sie betrieben Ackerbau und Viehzucht, bauten Obst und Wein an, gruben Brunnen, fischten im Fluss und holten Steine aus dem Steinbruch. Die Frauen spannen, webten, nähten die Kleidung und bekamen Kinder.

      Es dauerte aber auch nicht lange, da mussten die Siedler einen Friedhof anlegen. Im Jahre 1818 überfiel die Menschen das erste Mal ein seltsames Fieber. Die Bauern, die eben erst ihr Land urbar gemacht hatten, die gerade ihre Häuser errichteten, starben an Malaria. Fast hundert Menschen, zumeist Kinder, fielen der unbekannten Krankheit zum Opfer. Einige Familien starben völlig aus.

      Aber es sollte noch schlimmer kommen. Als im Jahre 1822 heimkehrende Truppenteile vom russisch-türkischen Krieg auf dem Durchmarsch nach Russland waren, brachten sie die Pest mit. Ganze Dörfer verödeten und die Steppe ergriff wieder Besitz von den Feldern. Auch an Cholera, Diphtherie und Pocken starben in den folgenden Jahren viele Menschen.

      Zu den unbekannten Krankheiten kamen unbekannte Naturgewalten hinzu. Erdbeben erschreckten Menschen und Vieh, Überschwemmungen, Dürreperioden und Heuschreckenplagen führten zu Missernten. Schädlinge wie Erdhasen, Hamster und Krähen konnten nur mit viel Mühe von der Ernte ferngehalten werden.

      Trotz dieser Widrigkeiten vermehrten sich die Deutschen in den folgenden einhundert Jahren beträchtlich, vergrößerten ihre Ortschaften und besiedelten bald die ganze südliche Budschaksteppe. Mit ihrem Fleiß und ihrem unvorstellbaren Durchhaltevermögen rechtfertigten sie das vom russischen Kaiser in sie gesetzte Vertrauen, Kulturträger eines wilden, unbewohnten Landes zu sein.

      EMILIES GEBURT

      Emilie wurde am Nikolaustag des Jahres 1894 in Teplitz geboren.

      Dieser 6. Dezember war ein unfreundlicher Tag, draußen stürmte ein eiskalter Wind und trieb schon einzelne Schneeflocken vor sich her. Der Großvater, in Bessarabien ‚Ehne‘ genannt, trug gerade einen Korb voll getrocknetem Dung herein, mit dem hierzulande meistens geheizt wurde. Der kleine, gebeugte Mann wollte dem gemauerten Ofen noch etwas behagliche Wärme abringen, denn bei diesem nasskalten Wetter spürte er seine alten Knochen besonders schmerzhaft. Seit fast sieben Jahrzehnten lebte er nun in diesem kleinen Haus. Zuerst als Kind mit seinen Eltern, Großeltern und den vielen Geschwistern. Später, als die Alten tot und die Geschwister fortgezogen waren, mit seiner Frau und seinen Kindern. Zwei Söhne, Jacob und Viktor, waren ihm geblieben und beide hatten bereits Weib und Kinder. Jacobs Frau bekam heute ihr zweites.

      In der Kammer stöhnte die Wöchnerin. Ihre Schwiegermutter und die Schwägerin standen ihr bei der Geburt bei. Die Mannsleute saßen in der Stube und beschäftigten sich mit dem Ausbessern von Gerätschaften. Jacob Haisch, dessen junge Frau sich gerade mit den Wehen mühte, schnitzte verbissen an einer Rechenzinke. Dabei schnitzte er aber so viel herunter, dass sich das Stück Holz am Ende nur noch als Zahnstocher verwenden ließ.

      „Lass es halt bleiben, Bub!“, brummte sein Vater mürrisch und knuffte ihn an die Schulter, was durchaus als Trost gemeint war. Der kleine Jacob, der Erstgeborene des Jacob Haisch, kugelte mit seinem Vetter Ludwig auf dem Boden herum. Die Zwei- und Dreijährigen spürten nichts von der Spannung im Raum.

      Als der Alte sich ächzend auf der Ofenbank neben seinen Söhnen niedergelassen hatte, blickte Viktor, sein ältester, finster hoch. Die ganze Zeit war er schon so brummig. Er wollte etwas loswerden und fand die richtigen Worte nicht. Es half ihm auch niemand, den Anfang zu machen. Jacob war zu nervös, um auf ihn zu achten, und sein Vater beachtete ihn sowieso nie. Der Alte hatte Jacob schon immer lieber gemocht als ihn, Viktor. Ihm wäre es zwar selbst nicht aufgefallen, aber Gertrud, seine Frau, hatte ihn darauf aufmerksam gemacht.

      Viktor war ein eher gutmütiger Mensch, etwas langsam und arglos im Denken. Er würde von allein niemals darauf kommen, dass jemand anders ihm übelwollte. Misstrauen und Arglist waren ihm fremd. Doch dafür hatte er ja Gertrud. Sie verstand es, ihrem Mann mit Sticheleien und Hetzreden nach und nach die Gefühle für seinen Bruder zu vergiften. Gertrud wollte den Hof erben.

      In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der deutsch-bessarabische Kolonien galt das ‚Minorat‘, nach welchem der jüngste Sohn der Familie das Vorrecht auf das elterliche Erbgut hatte. Die Wirtschaft sollte ungeteilt bleiben. Ältere Söhne mussten ein Handwerk erlernen oder in eine Wirtschaft einheiraten. Nun war zwar Viktor der Ältere, aber Jacob, der Jüngere, hatte ein Handwerk erlernt. Bauer blieb er aber trotzdem. Mit den Jahren kam man von den Bestimmungen des Minorats ab, immer öfter wurde das Wirtschaftsland unter den Söhnen aufgeteilt. Es erleichterte die Arbeit, wenn mehrere Männer sich die Feldarbeit teilen konnten.

      Teilen aber war Gertruds Sache nicht. Deshalb hatte sie viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Viktor ihren Willen als seinen eigenen einzuimpfen. Mit der Zeit war nun auch Viktor der Meinung, Jacob müsse ausziehen. Doch wie sollte er das durchsetzen, ohne alle gegen sich aufzubringen? Viktor holte tief Luft.

      „Wird es nun nicht bald ein wenig eng im Haus?“, stieß er laut hervor. Die eintretende

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