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transportiert werden konnte. Es ging nun immer im Laufschritt. Manchmal fielen in anderen Stadtteilen schon die Bomben, bis wir endlich den schützenden Bunker erreicht hatten. Bei den schweren Angriffen bebte der Koloss, dass es einem vor Angst ganz schlecht wurde. Aber im Bunker fühlten wir uns doch viel sicherer als im Keller.

      Auch an meinem ersten Schultag mussten wir einen Luftschutzbunker aufsuchen. Am hellen Tage gab es selten Alarm, dafür aber fast Nacht für Nacht. Das ging natürlich sehr an unsere Gesundheit, so dass wir Kinder häufig krank waren. Vor allem die Kinderkrankheiten grassierten. Es gab auch wenig Ärzte, die meisten waren zum Militär eingezogen.

      Da das Leben in Stettin wegen der Bombengefahr zu gefährlich wurde, wurden wir im Sommer 1943 nach Ducherow bei Anklam evakuiert, wo ich weiter die Schule besuchte. Tagsüber überflogen uns oft feindliche Flieger. Man hörte ihre Motoren und konnte sie in großer Höhe sehen. Mehr als einmal versteckte sich unserer Mutter mit uns Kindern in großen Strohmieten auf den Feldern. Dann wurde Anklam am hellen Vormittag ganz überraschend bombardiert, und die Aufregung und Panik drang bis in unser Dorf. Meine Mutter hatte endgültig die Nase voll und reiste mit uns Kindern zurück nach Stettin. Im Februar 1944 wurden wir erneut evakuiert, diesmal auf einen großen Bauernhof in Schulzenhagen, einem Ort zwischen Kolberg und Köslin in Hinterpommern.

      Wir fühlten uns zwar zunächst fremd, aber merkten sofort, dass wir hier willkommen waren und diese Menschen uns unser Schicksal erleichtern wollten. Meine Mutter verstand sich auf Anhieb mit der Bäuerin, Frau Gödicke. Ich besuchte hier die Dorfschule. Das war ja nun etwas ganz Neues für mich: Alle acht Schuljahrgänge waren in einer Klasse versammelt! Die kleinen ABC-Schützen saßen vorne in der ersten Reihe. Ganz hinten saßen die großen Kinder. Manche der großen Jungen waren größer und stärker als unsere Lehrerin, die sich sehr streng gab und uns bei kleinsten Ungehörigkeiten mit dem Lineal auf die Finger schlug.

      So langsam kehrte in Hinterpommern der Frühling ein und eine wunderschöne Zeit begann für mich. Keine Spur vom Krieg! Noch nie hatte ich mich so wohlgefühlt wie hier in Schulzenhagen. Das Leben auf dem Bauernhof war das reinste Abenteuer! Der Bauer war als Soldat eingezogen, aber es gab vier ausländische Hilfskräfte, zwei Ukrainerinnen, Maria und Sina, einen Ukrainer Willi, der das Vieh betreute, sowie den Polen Kasimir, der für die sechs Pferde zuständig war. Die Fremdarbeiter wurden durch die Bäuerin sehr gut behandelt, und man merkte auch, dass sie ihre Arbeit gerne machten. Das Leben auf dem Bauernhof war unbeschreiblich schön! Den Krieg konnte man fast vergessen, wenn nicht ab und zu Meldungen von schrecklichen Angriffen auf unsere Städte und über schwere Kämpfe an der Front gekommen wären. So erhielten wir zur schönsten Sommerzeit auch die erschütternde Nachricht, dass wir in Stettin total ausgebombt waren. Unsere Mutter fuhr nach Stettin und fand statt des Hauses nur noch einen Trümmerhaufen vor!

      Nach den Sommerferien fing die Schule nicht wieder für uns an: Unsere Lehrerin war zum Kriegsdienst verpflichtet worden! Auch meine Mutter wurde zum Ausheben von Panzergräben eingezogen! Nun versorgte die Bäuerin meinen Bruder und mich mit. Abends, wenn Klaus und ich im Bett lagen und er sich an mich gekuschelt hatte und längst schlief, musste ich doch oft weinen! Mutter war weit weg von uns im Osten, Papa im Krieg und der ältere Bruder Rudi auf Rügen im nationalsozialistischen Jugendschulungslager.

      Im Herbst kehrte meine Mutter endlich zu uns zurück. Uns wurde allen ganz bange, als wir von ihr hörten, die Gräben, welche sie ausgehoben hatte, sollten die russischen Panzer aufhalten. Alle Erwachsenen und auch wir Kinder waren von schrecklichen Vorstellungen geplagt. Schlimm wurde es erst, als mein Vater für ein paar Tage zu uns auf Urlaub kam. Mit eigenen Ohren hörte ich, wir er ganz eindringlich mit meiner Mutter sprach, sie solle sofort Rudi von Rügen zu uns nach Schulzenhagen holen. Und wenn die Russen in Ostpreußen durchbrächen, solle sie uns nach Stettin oder noch besser weiter westwärts in Sicherheit bringen. Mein Vater musste wieder zu seiner Einheit zurück, die auf dem Rückzug schon die Karpaten erreicht hatte. Meine Mutter fuhr Anfang November wirklich los, um Rudi zu holen und brachte ihn nach einigen Tagen tatsächlich mit nach Schulzenhagen.

      Das Weihnachtsfest verlief noch relativ ruhig. Die Sylvesternacht war wohl mehr als unheimlich, denn die Oma vom Hof orakelte, nachdem sie hinausgeschaut hatte: „Da steht uns aber ein schlimmes Jahr bevor, ist doch der Himmel rot und die Wolken eilen nur so dahin!“ Man brauchte aber kein Prophet zu sein, um Schlimmes vorherzusagen: Gleich im Januar ging es los! Das Jahr 1945 begann mit den ersten Flüchtlingswellen aus Ostpreußen! Die Bäuerin fuhr nun täglich zur Bahnstation nach Hohenfelde, die Milchkanne voller heißen Malzkaffees, den Kartoffelkorb voller belegter Brote. Die Züge, die aus Ostpreußen kamen, sahen verheerend aus! Meterlange Eiszapfen hingen daran, und sie waren völlig überfüllt mit Flüchtlingen! Wenn ich mal nach Hohenfelde mitfahren durfte und das Schreckliche gesehen hatte, fand ich die ganze Nacht keinen Schlaf!

      Vom südlichen Belgard und Körlin und von Osten her kreisten die Russen Kolberg ein

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      Im Februar rollten dann die ersten Flüchtlingstrecks auf unseren Hof. Nun brach hier das absolute Chaos aus! Jede Nacht schliefen fremde Menschen auf der Diele. Alle mussten versorgt und betreut werden, Menschen und Vieh! Fast alle Trecks ließen morgens bei der Weiterfahrt etwas von ihrem Gepäck auf dem Hof zurück, was sie für überflüssigen und entbehrlichen Ballast hielten. Es sah aus, wie in einem Warenlager. Das Schlimmste waren die Gespräche, die wir mithörten, von Gräueltaten der Russen unter der Bevölkerung, Angriffen auf die Trecks, unterwegs gestorbenen Älteren und Kindern. Und immer wieder das Wort: Vergewaltigung. Mir war so angst und bange zumute, ich kann es nicht beschreiben! Meine Mutter half tapfer mit, um das tägliche Chaos zu bewältigen.

      Da kamen plötzlich Anfang März keine Trecks mehr, dafür hörten wir in der Ferne Kanonendonner! Meine Mutter packte wieder die bekannte Tasche mit unseren letzten Habseligkeiten. Es kam etwas Bedrohliches auf uns zu! Am Morgen des 3. März kam der Ortsbauernführer auf seinem Fahrrad auf den Hof, klopfte an die Fensterscheiben, und als geöffnet wurde, brüllte er hinein: „Keiner verlässt das Dorf!“ und war wieder verschwunden.

      Als erste ging Frau Schiffner, die andere Evakuierte aus Stettin, mit ihren beiden Kindern an der Hand vom Hof. Sie trug einen Rucksack. Meiner Mutter und der Bäuerin sagte sie, sie habe genug Geld und wolle versuchen, von der nahen Reichsstraße aus nach Stettin mitgenommen zu werden. Wir haben sie nie wiedergesehen, und niemand weiß, was aus den dreien geworden ist.

      Gegen Mittag, der Kanonendonner kam immer näher, ließ Frau Gödicke anspannen, um meine Mutter mit uns drei Kindern zur Bahnstation nach Hohenfelde bringen zu lassen. Der Ukrainer Willi lenkte die Pferde vom Hof. Vor lauter Tränen konnte ich die Zurückbleibenden kaum erkennen, und doch prägte sich das Bild, das ich sah, für immer in meine Seele ein: Frau Gödicke stand in der Haustür, beide Kinder umarmt, die Oma mit den Händen voller Einmachgläser, die man nun auch für die Flucht einpacken wollte. Aus der Scheune zogen Sina und Maria zusammen mit dem Polen den großen Leiterwagen heraus, um ihn für den Treck zurechtzumachen. Dieses geschah im absoluten Zeitlupentempo. Nun rollten wir nach Hohenfelde. Schon von weitem sahen wir, dass der kleine Bahnhof voller Menschen war. Wir standen nun zwischen den vielen Leuten und warteten, dass endlich ein Zug käme.

      Am späten Nachmittag rollte auch tatsächlich ein Güterzug, der nur aus Loren bestand, heran. Alles stürmte auf den Zug, der im Nu voller Menschen war. Meine Mutter hatte in dem Gedränge große Mühe, uns zusammenzuhalten. Dann setzte sich der Güterzug langsam in Bewegung, und gleichzeitig begann ein schlimmer Schneesturm. Meine Mutter hatte zum Glück außer dem Handgepäck einen Sack voll mit Decken und Kissen mitgenommen. Eine der Decken holten wir heraus und hielten sie wie ein Zelt über unsere Köpfe. Der Zug rollte ganz langsam bis Henkenhagen, eine Station vor Kolberg. Hier mussten wir alle runter vom Zug, es ging nicht weiter, weil sich vor Kolberg die Züge stauten, alleine 22 aus Richtung Belgard. Auch hier das gleiche Bild: Alles schwarz von Menschen im und um das Bahnhofsgebäude. In der überfüllten Bahnhofshalle fanden wir in einer Ecke ein Plätzchen, wo wir uns hinkauerten

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