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Jeff wurde umgehend zu einem Arzt gebracht. Wir marschierten ohne die beiden auf schmalen Trampelpfaden quer durch die Reisfelder. Dabei hatten wir viel Zeit zum Reden.

      Ich erzählte Lin, wie ich mich mit Yoga aus meiner gesundheitlichen Krise gekämpft hatte und wie ich beim Festival in Köln gelandet war. Sie erzählte von ihrer vorherigen Berufslaufbahn als Headhunter, wie sie zum Yoga gekommen war, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte und von ihrem Partner Pete, der in Australien lebte und nach dem Retreat zu ihr stoßen würde. Während des Gesprächs sammelte sie nebenbei Abfälle ein, die Touristen gedankenlos hingeworfen hatten und, ihrem Beispiel folgend, tat ich das Gleiche. Nach einigen Minuten erreichten wir dann inmitten der Reisfelder eine kleine Hütte, die sich als Bio-Restaurant nebst kleinem Verkauf der Anbauerzeugnisse der Besitzerin entpuppte. Wir saßen inmitten einer malerischen Landschaft, atmeten die reine Landluft, genossen weiterhin das perfekte Wetter und ein leckeres Mittagessen.

      Abends bot Lin eine „Community“ Klasse an. Das war eine kostenlose, offene Yogastunde, auf Spendenbasis. Der „Yoga Barn“ war gut besucht und um die hundert Matten mitsamt Teilnehmern wurden eng zusammengerückt. Besonders inspirierend war es die Menschen zu sehen, die sonst eher wenig mit Yoga zu tun hatten und doch hier mit vollem Einsatz und Freude mitmachten.

      Ich erlebte die Tage auf Bali wie in Trance.

      Alles war neu, begeisternd, geradezu elektrisierend und doch trübte eine Tatsache die Erfahrung:

      Mehrere Tage konnte ich nicht auf die Toilette gehen, und als ich es versuchte, hatte ich etwas Blut am Toilettenpapier.

      Natürlich besprachen wir das und die Freundin meines Vaters, wie erwähnt Ärztin, meinte lapidar:

      „Das sind sicher Hämorriden“. Nachdem ich mir ein Abführmittel aus der Apotheke besorgt hatte, wurde die Situation wieder einigermaßen normal, doch ein mulmiges Gefühl blieb.

      Mein Vater hatte die ihm etwas jüngere Chinesin bei einer Heilpraktikerausbildung im Jahr davor kennengelernt. Ich kannte sie vor Bali kaum, bis auf ihre, trotz langjährigem Leben in Deutschland, recht begrenzten Sprachkenntnissen und ihren ungemeinen Macht- und Kontrolldrang. Nicht umsonst hatte sie meinem Vater gedroht: Wenn er mit mir alleine fliegen würde, wäre ihre Beziehung vorbei. Kurz vor der Balireise hatte mein Vater mich überzeugt, sie in unsere Firma mit aufzunehmen. Ich vertraute seinem Urteil relativ blind. Auf Bali hatten wir wenig Miteinander zu tun, was auch gut so war.

      Im Gegensatz zu meinem Vater hatte ich als Mensch mit klaren Prinzipien und Durchsetzungsvermögen keine Scheu mich mit ihr anzulegen.

      Kulturell hatte Ubud sehr viel zu bieten. Nicht umsonst galt es als das kulturelle Zentrum Balis. Einen kleinen Geschmack davon bekamen wir bei dem Besuch einer Tanzvorführung der Ramayana im Stadtkern Ubuds. Die Aufführung fand vor großem Publikum statt, denn die Touristen, die gerade in Ubud waren, wollten sich das Spektakel nicht entgehen lassen. So saßen wir alle zunächst unter freiem, leicht bewölktem Himmel auf weißen Plastikstühlen vor der Bühne und warteten gespannt auf das Spektakel. Schlagartig setzte strömender Regen ein und spontan wurde die Aufführung unter einen großen, überdachten Säulenbau verlegt. Wir waren alle leicht durchnässt und nun eng zusammengepfercht. Dafür waren wir auf Tuchfühlung mit den Darstellern.

      Die Ramayana, ein hinduistischer Epos, der in gesamt Ostasien beliebt war, wurde hier aufwendig inszeniert: liebevoll bis ins Detail ausgearbeitete Kostüme, filigrane und aufwendig geschminkte Tänzerinnen und die schöne, dramatische Liebesgeschichte, die nur durch Musik, Bewegung, Mimik und Gestik, doch trotzdem eindrucksvoll und unterhaltsam erzählt wurde.

      Meist nutzte ich den frühen Sonnenaufgang, um schon vor den morgendlichen Yogastunden ein paar Minuten frische Luft zu schnappen und mit meinem MP3 Player durch die Straßen zu schlendern. Ich staunte nicht schlecht, als ich etwas früher zum Yoga Barn kam. Ein junger Balinese hatte dort mit seinem Schlafsack genächtigt.

      Erst später erfuhr ich, dass er eine Art Wachmann war. Davon wenig beeindruckt realisierte ich, wie sich das Jahr nun dem Ende zu neigte. Der 31. Dezember war angekommen.

      Damit brach auch unser vorletzter Tag in Ubud an, bevor wir am 1. Januar Richtung Küste fahren würden.

      In unserer morgendlichen Yogastunde führten wir eine kleine Zeremonie durch. Diese gestaltete sich wie folgt:

      Jeder von uns schrieb seine Wünsche für das kommende Jahr auf ein kleines Zettelchen Papier. Dieses wurde dann vor der großen Ganesha Statue im Yogaraum in einer Feuerschale verbrannt.

      Ganesha, der Elefantengott, war wie bereits erwähnt der Zerstörer aller Hindernisse und galt als weise, gnädig, gutmütig und vieles mehr. Traditionell wurde er angerufen, um Glück und Erfolg, besonders am Anfang von neuen Unternehmungen, zu erbeten.

      Wir saßen in einem Halbkreis rund um die Statue und der Reihe nach ging jeder von uns zu der Schale, zündete sein Papierstück an und ließ es im Feuer aufgehen. Der Rest der Gruppe rezitierte währenddessen ein Ganesha Mantra: Om Gam Ganapataye Namaha.

      Ich wünschte mir für meine Familie und mich alles Gute und Gesundheit für das kommende Jahr. Es folgte ein weiteres interessantes Experiment:

      Der meditative Gang auf den schmalen Wegen, die zwischen den Reisfeldern verliefen. Mein Hang zum Perfektionismus wurde mir hier zum Verhängnis. Je mehr ich darauf achtete, mich so fließend und so gut wie möglich im Einklang mit meinem Atem zu bewegen wurden meine Schritte unbedachter.

      Eh ich mich versah, landete einer meiner Füße abseits des Pfades und rutschte in das Reisfeld. Mein erster Gedanke war: „Wow, hätte nie gedacht, dass ein Reisfeld so tief und sein Boden so weich sein kann“.

      Mein Bein war bis zum Knie im lehmigen Boden eingetaucht. Für mich war das ein entscheidender Moment: Würde ich mich schämen und mich bloß gestellt fühlen, oder könnte ich über diesen kleinen unbedeutenden Unfall selbst lachen? Eine Millisekunde, eine kleine Abstimmung in meinem Gehirn, die mir zeigte, was sich über die Jahre in mir verändert hatte. Ich musste wie die anderen herzhaft lachen, zog das Bein mit etwas Mühe aus dem Matsch und ging weiter, als ob nichts geschehen wäre.

      Am Abend trafen wir uns zum Silvesteressen in einem feinen Restaurant außerhalb Ubuds. In dem großen Saal bereitete sich eine Jazzband auf ihren Einsatz vor. Für uns war eine lange Tafel direkt neben der kleinen Bühne reserviert.

      Nach und nach trudelte der Rest der Gruppe ein und wir genossen ein ausgiebiges Abendessen. Danach ging es dann leicht dezimiert (Ted hatte sich ausgeklinkt) in einen exklusiven Klub mit Pool, wo eine Silvesterfeier mit DJ stattfand. Für mich war das fremd und aufregend zugleich.

      Auf Bali tauchte ich in eine andere Welt ein. Bei unserer Ankunft wurde zunächst ein stattliches Eintrittsgeld fällig, was umgehend mit einem Willkommensglas belohnt wurde. Ich bestand auf mein Wasser und erhielt dafür von Lin vollstes Verständnis. Ich hatte ihr erzählt, dass ich in meinem Familienumfeld häufig gesehen hatte, was Alkohol anrichten konnte und mich daher früh entschlossen hatte, gar nicht erst damit anzufangen. Das Thema war damit jedoch nicht abgehakt.

      Wir setzten uns alle zusammen in eine Ecke mit einer großen Couch und ein paar Sesseln. Direkt daneben war die Tanzfläche samt DJ. Entsprechend ließ der Lautstärkepegel kaum noch vernünftige Gespräche zu. Jenny, eine junge Frau aus New York, etwas proper und schon stark angeheitert, kam dann auf die glorreiche Idee mich mit einem kleinen Trick zu überlisten (zugegebenermaßen muss ich in dem Moment in einem Zustand geistiger Umnachtung gewesen sein):

      „Mach die Augen zu und leg deinen Kopf in den Nacken und mach den Mund auf.“

      Sie wollte mir Sekt in den Mund schütten, doch im letzten Moment ahnte ich, was sie vorhatte. Ich schloss den Mund und der Sekt floss an mir herunter. Wenig amüsiert war ich ab dann hoch aufmerksam, was die junge Frau sonst noch im Schilde führen konnte. Kurze Zeit später wurde ich jedoch mit einem anderen Thema konfrontiert: Tanzen.

      Wenn ich wusste, was ich nicht konnte, dann war es genau das. Doch Paul, der sich inzwischen Mut angetrunken hatte, zeigte mir das Tanzen ein doch sehr dehnbarer Begriff war. So nahm ich mir an seinem „Freestyle“ - Tanz ein Beispiel und bewegte mich auch auf

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