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rechtfertigte die grobe Abfertigung, die er dem König gegeben hatte. „Sie hat etwas gesehen und weiß nicht, wie sie es uns mitteilen soll.“, schlussfolgerte Allan schließlich.

      Darius raufte sich seine königlichen blonden Haare. „Ganz wunderbar. Die Prophezeiung ist dabei einzutreffen und unsere einzige Hoffnung kriegt kein Wort heraus.“

      „Sie kann sprechen.“, verkündete Allan. „Eigentlich kann sie es, aber ihre Stimme wurde ihr geraubt. Ich könnte versuchen, sie durch ein Ritual zurückzuholen.“

      Es war Darius anzumerken, dass er sich nicht viel vom Hokuspokus des Sehers versprach, aber letztendlich blieb ihm keine andere Wahl, als es ihn versuchen zu lassen.

      „Ich brauche fünf Kerzen, ein rohes Ei, eine Schale Wasser, eine Schale mit Wein, Salbei, Weihrauch…“

      Der König hätte vor Ungeduld platzen wollen, versprach Allan aber alles, was er benötigte. Neben das Lager, auf dem Azur ruhte, malte der Seher mit Kreide ein Symbol und bestreute es mit einer Prise Salz. „Ihr habt Glück, Majestät. Für dieses Ritual brauche ich Neumond und der ist zufällig schon morgen. Bis dahin aber braucht Azur Ruhe!“

      Beim Hinausgehen lächelte Alec verklärt in sich hinein. „Azur heißt sie…“

      Kapitel 4

      Allan kniete auf dem Boden und zündete unverständlich vor sich hin nuschelnd die Kerzen an, die er auf die äußeren Punkte des Sonnenkreises gestellt hatte, der auf dem Boden prangte. Im Zentrum des Zeichens saß indes Azur und zitterte. Nicht weil sie Angst hatte, sondern weil sie fror, was nicht anders zu erwarten war, da sie in einem dünnen Leinenhemd auf kaltem Steinboden hockte. Sie verfolgte jede Bewegung des Sehers. Bis auf sein Gebrabbel herrschte völlige Stille.

      Er kam in den Zirkel aus Kerzen, ohne das Herz des Sonnenkreises zu betreten und hielt ein Ei über ihren Kopf. Azur saß still und hoffte, dass er es nicht fallen lassen würde. Nach ein paar Minuten zog sich Allan aus dem Kreis zurück, das Ei noch immer in der Hand. Dann verbeugte er sich fünfmal in Richtung Süden und schleuderte es mit Schmackes auf den Boden. Er ging in die Knie und betrachtete interessiert das verspritzte Eiweiß. Anschließend streute er getrocknete Salbeiblätter in die Schale mit Wasser und auch welche in die andere, die mit Wein gefüllt war und beobachtete sie eine Weile. Die ganze Zeit über schwieg er, die Stirn konzentriert in Falten gelegt.

      In Azurs Beinen breitete sich allmählich ein kribbelndes Taubheitsgefühl aus.

      Sobald er genug gesehen hatte, ergriff Allan ein Weihrauchstäbchen und hielt es einmal in jede Kerzenflamme, außerdem nahm er sein Gemurmel wieder auf, diesmal erschien es Azur jedoch intensiver. Er schien sich nun ganz sicher zu sein, was zu tun war. Wieder betrat er den Kreis, mied jedoch seine Mitte und forderte Azur auf, ihren Mund zu öffnen. Sie kam dem nach, obgleich sie sich fühlte, als sitze sie bei einem Bader. Der Seher nickte wissend. Er hielt den Weihrauch unter ihr Kinn, sodass sie ihn einatmen und husten musste.

      Darauf schien Allan nur gewartet zu haben. Eilig warf der das Stäbchen beiseite, packte das unsichtbare Etwas, das Azurs Kehle durch den Hustenreiz entflohen war, und riss es Zug für Zug aus ihrem Rachen. Was auch immer es war, sie spürte, dass es sie verließ. Sie fürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen.

      So angestrengt, als hole er einen stählernen Anker ein, stemmte Allan sich gegen diese unbekannte Kraft. Als er der Meinung war, sie vollständig erfasst zu haben, schloss er Azur selbst den Mund und verharrte in dieser Position, als würde er angestrengt auf etwas lauschen.

      Gleich darauf stürzte er aufgeregt zu den beiden Schüsseln und betrachtete die Position der Salbeiblätter. Als habe er eine Landkarte studiert, eilte er zu Azurs Lager. Seine Hand schnellte unter die Bettkante, um das zu erfassen, was er darunter vermutete. „Mund auf!“, rief er noch, bevor er zu ihr in den Kreis sprang und das unsichtbare Ding, das er gefangen hatte, dahin stopfte, wo es hingehörte. Azur schluckte schwer, als er fertig war. Ihre Kehle fühlte sich rau und trocken an.

      Allan keuchte und schwitzte, als sei er einmal quer durch Seynako gelaufen. Mit einem Glas ging er herum und löschte damit nacheinander alle Kerzen in der Reihenfolge, wie er sie entzündet hatte. Plötzlich ergriff eine tiefe Müdigkeit von Azur Besitz und sie gähnte so stark, dass sie die letzte Kerze ausblies, bevor der Seher sie mit dem Glas ersticken konnte.

      „Nein!“, schrie er entsetzt, doch es war schon zu spät. „Du Unglückselige, was hast du getan?“

      „Was ist so schlimm daran?“, wollte Azur fragen. Sie hatte das Gefühl, ihre Stimme wiedergefunden zu haben, aber sie brachte nur ein Mitleid erregendes Krächzen zustande, das niemand hätte deuten können.

      Allan schlug beide Hände vor die Stirn. „Keine der Kerzen darf vorzeitig ausgeblasen werden, sonst bleibt das Ritual unwirksam! Ach du dummes, dummes Mädchen!“

      Darius hatte draußen an der Tür gelauscht und die Flüche des Sehers vernommen, weshalb er seine unkomfortable – und zudem eines Königs unangemessene – Position am Schlüsselloch verließ und in das Zimmer schneite, gleich einem Racheengel. „Was soll das heißen, das Ritual ist unwirksam? Hm?“

      Ein knochiger Finger wies auf Azur. „Sie hat die letzte Kerze ausgeblasen, Majestät. Ich kann das Ritual heute nicht noch einmal wiederholen, ich müsste einen Monat warten.“

      „Wir haben keine Zeit zum Warten!“, schnaubte Darius ungehalten und entdeckte das rohe Ei auf dem Boden. „Und was soll diese Sauerei!“

      Auch Alec erschien im Türrahmen. „Was ist los, Vater?“

      Der König bedeckte seine Augen mit einer Hand. „Unser Medium hat versagt.“

      „Ich war es nicht, sie hat die Kerze...“, versuchte Allan sich zu verteidigen, aber Darius unterbrach ihn: „Dich meine ich doch nicht, Schafskopf. Vielleicht habe ich das Mädchen mit dem blauen Haupte überschätzt.“

      Azur eilte durch die Gänge des Schlosses. Irgendwo musste es einen Ausgang geben! Ach ja, da war er.

      Sie rannte gegen eine Magd, kümmerte sich nicht darum, sondern lief weiter zu den Stallungen. Doodle spitzte die Ohren, als er Azurs verweintes Gesicht sah. Sie machte sich nicht die Mühe, das Pony zu satteln. Mit wenigen, geübten Handgriffen zog sie ihm sein Zaumzeug über die Ohren und schwang sich auf Doodles Rücken, der sich nur sehr ungern von seinem königlichen Futter trennte.

      Ein Glück, dass die Zugbrücke heruntergelassen und das Tor geöffnet war, weil eben ein mit Lebensmitteln beladener Wagen in den Schlosshof rollte.

      Azur preschte vorbei an den überraschten Wachen und ignorierte Alec, der am Fenster stand und ihr nachrief, sie solle stehen bleiben. „Holt mir mein Pferd!“, schrie er, da sie nicht reagierte und als der Prinz den Hof erreichte, wurde es bereits vorgeführt. Ein Junge, der dabei half, die Kutsche abzuladen, konnte gerade noch beiseite springen, als Alec in vollem Galopp das Schloss verließ. Verdutzt schaute er dem Königssohn und dem davonwehenden blauen Haar, dem dieser hinterherjagte, nach. Konnte es Zufall sein…?

      Doodle überlegte sich, dass der unerwartete Auslauf doch sein Gutes haben mochte und strengte sich an, das Wettrennen zu gewinnen. Doch gegen ein hochbeiniges Schlachtross in den besten Jahren kam er nicht an. Azur schluchzte, als Alec neben ihr auftauchte und trieb Doodle noch einmal mit aller Kraft an, aber es wurde einfach kein Rennpferd aus ihm und Flügel wollten ihm so spontan auch keine wachsen.

      „Azur, halt an!“, brüllte Alec gegen den Wind, griff Doodle kurzerhand in die Zügel und brachte ihn zum Stehen. Sofort sprang Azur ab und versuchte zu Fuß die Flucht zu ergreifen, obwohl sie beide wussten, dass es keinen Sinn hatte, denn auf diesem Weg holte Alec sie noch schneller ein. „Azur! Azur, sieh mich an! Was tust du da?“

      Sie weinte stumm und vergrub ihr gerötetes Gesicht in den Händen. Warum konnte sich kein Loch unter ihr auftun und sie verschlucken? Das wäre mehr als gerecht gewesen. Wieso hatte Allan ihr nicht gesagt, dass die Kerzen unter keinen Umständen ausgeblasen werden durften? Wahrscheinlich hatte er so viel Wissen vorausgesetzt, aber sie arme, blöde, ganz und gar ungebildete Bauerngöre musste natürlich im alles

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