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daß ich wenigstens die Wahrheit nicht aussprechen darf.«

      »Korrigieren Sie sich nicht, und sagen Sie uns lieber, wieso wir denn so schlecht sind?« sagte Jekaterina Alexejewna, mit den Worten spielend, als ob sie den ernsten Ton Nechljudows nicht merkte.

      »Nichts ist schlimmer, als seine üble Laune anerkennen«, meinte Missy. »Ich gestehe mir so etwas nie ein, und bin daher immer bei guter Stimmung. Nun, was ist dabei zu machen, gehen wir zu mir hinüber. Ich werde versuchen, Ihre mauvaise humeur zu vertreiben.«

      Nechljudow wurde von einer Empfindung befallen, die dem Gefühl ähnlich sein mochte, das ein Pferd hat, welches man streicht und bürstet, um es zu zäumen und einzuspannen. Ihm war aber heute mehr als je unangenehm, zu ziehen. Er entschuldigte sich, daß er nach Hause müsse, und begann sich zu verabschieden. Missy behielt seine Hand länger als gewöhnlich in der ihrigen.

      »Denken Sie immer daran«, sagte sie, »daß das, was Sie bewegt, auch Ihren Freunden nicht gleichgültig ist . . . Kommen Sie morgen?«

      »Kaum . . . « sagte Nechljudow. Er errötete beschämt, er wußte nicht, ob um seinet- oder um ihretwillen, und ging eilig hinaus.

      »Was ist denn das? Comme cela m’intrigue . . . « meinte Jekaterina Alexejewna, als Nechljudow gegangen war. »Ich muß es herausbekommen. Irgend eine affaire d’amour propre: il est très susceptible, notre cher Mitja.«

      »Plutôt une affaire d’amour sale . . . wollte Missy sagen, die mit einem ganz veränderten, erloschenen Gesicht vor sich hin sah. Aber sie wollte sogar vor Jekaterina Alexejewna diesen calembour de mauvais ton nicht machen und sagte nur:

      »Wir haben alle unsere guten und schlechten Tage . . . «

      »Wird mich wirklich auch dieser betrügen?« dachte sie. »Nach alledem, was gewesen, würde das schlecht von ihm sein . . . «

      Wenn Missy hätte erklären sollen, was sie unter den Worten »nach alledem, was gewesen« verstehe, würde sie nichts Bestimmtes haben sagen können. Und doch wußte sie ganz genau, daß er nicht nur Hoffnungen in ihr erweckt, sondern ihr so gut wie ein Versprechen gegeben hatte. Es waren das alles zwar keine bestimmten Worte, sondern nur Blicke, Lächeln, Anspielungen, stumme Zugeständnisse gewesen. Aber dennoch hielt sie Nechljudow für den Ihrigen, und ihn zu verlieren, wäre ihr sehr schwer geworden.

      Achtundzwanzigstes Kapitel.

      Es ist schändlich und abscheulich, abscheulich und schändlich«, dachte inzwischen Nechljudow, als er zu Fuß nach Hause über die bekannten Straßen zurückkehrte. Das drückende Gefühl, das er während des Gesprächs mit Missy empfunden hatte, verließ ihn noch immer nicht. Er wußte, daß er ihr gegenüber, wenn man so sagen dürfte, formell im Recht war; er hatte ihr nichts gesagt, was ihn binden könnte, ihr keinen Antrag gemacht. Aber dem Wesen der Sache nach, das fühlte er, hatte er sich an sie gebunden, ihr ein Versprechen gegeben. Und dennoch empfand er heute mit allen Fasern seiner Seele, daß er sie nicht heiraten könnte.

      »Es ist schändlich und abscheulich, abscheulich und schändlich . . . « sagte er sich wieder, und jetzt nicht nur in Bezug auf sein Verhältnis zu Missy, sondern überhaupt in Bezug auf alles. »Alles ist abscheulich und schändlich . . . « wiederholte er, als er die Treppe seines Hauses betrat.

      »Zu Nacht essen werde ich nicht«, sagte er zu Kornej, der ihn in das Speisezimmer begleitete, wo das Gedeck und der Thee bereit standen. »Sie können gehen.«

      »Zu Befehl . . . « sagte Kornej, ging aber nicht, sondern begann, den Tisch abzuräumen. Nechljudow betrachtete Kornej mit einem Gefühl des Widerwillens. Er wünschte, daß alle ihn in Ruhe ließen, und es schien, daß alle, wie absichtlich und ihm zum Trotz sich an ihn herandrängten.

      Nachdem Kornej mit dem Gedeck gegangen war, wollte Nechljudow an den Samowar herantreten, um den Thee einzuschütten, aber als er die Schritte Agrafena Petrownas vernahm, ging er schleunigst, um ihr nicht zu begegnen, in den Salon hinaus und schlug die Thür hinter sich zu.

      Dies Zimmer, der Salon, war dasselbe, in welchem vor drei Monaten seine Mutter verschieden war. Jetzt, als er dieses Zimmer betreten, das von zwei Lampen mit Reflektoren — eine bei dem Porträt seines Vaters, die andere bei dem seiner Mutter — beleuchtet war, erinnerte er sich an seine letzten Beziehungen zur Mutter, und auch diese Beziehungen erschienen ihm unnatürlich und widerwärtig. Auch das also war abscheulich und schändlich. Er dachte daran, wie er in der letzten Zeit ihrer Krankheit ihren Tod geradezu gewünscht hatte. Er hatte sich damals gesagt, daß er dieses nur deshalb wünschte, damit sie von ihrem Leiden Erlösung fände, aber in Wirklichkeit hatte er es gewünscht, um selbst von dem Anblick ihrer Qualen befreit zu werden.

      Er wollte in sich eine gute Erinnerung an die Mutter hervorrufen und blickte auf ihr Porträt, das von einem berühmten Künstler für fünftausend Rubel gemalt worden war. Sie war in einer schwarzen Sammetrobe, mit entblößtem Busen dar gestellt. Der Künstler hatte augenscheinlich mit besonderer Sorgfalt die Brust ausgeführt, den Zwischenraum zwischen den beiden Brüsten, den Hals und die Schultern von blendender Schönheit. Das war schon ganz abscheulich und schändlich. Etwas Widerwärtiges und Lästerliches lag in dieser Darstellung der Mutter in Gestalt einer halb entblößten Schönheit, um so widerwärtiger, als in demselben Zimmer vor drei Monaten dieselbe Frau gelegen, eingetrocknet wie eine Mumie, und dennoch das ganze Haus mit einem qualvoll schwerem Geruch erfüllend, den man durch nichts vertreiben konnte . . .

      Und er erinnerte sich, wie sie am Tage vor ihrem Tode seine starke weiße Hand in ihr knöchriges, schwarzangelaufenes Händchen genommen, ihm in die Augen gesehen und ihm gesagt hatte:

      »Verurteile mich nicht, Mitja, wenn ich nicht richtig gehandelt habe . . . während ihre vom Leiden geblichenen Augen durch Thränen getrübt wurden.

      »Welche Scheußlichkeit«, sagte er zu sich selbst, als er nochmals auf das halbentblößte Weib mit den prachtvollen marmornen Schultern und Armen, und dem siegreichen Lächeln einen Blick warf.

      Die entblößte Brust auf dem Bilde erinnerte ihn an ein anderes Weib, das er vor einigen Tagen ebenfalls entblößt gesehen hatte. Es war Missy. Sie hatte ihn unter irgend einem Vorwande des Abends zu sich kommen lassen, um sich ihm im Ballkleide zu zeigen, in welchem sie zu einer Soiree fuhr. Er dachte voll Abscheu an ihre schönen Hände und Arme . . . Und dieser grobe, tierische Vater mit seiner Vergangenheit und Grausamkeit, und diese Mutter mit der zweifelhaften Reputation eines Schöngeistes . . . Alles das war widerwärtig und zugleich beschämend. Abscheulich und schändlich, schändlich und abscheulich.

      »Nein, nein«, dachte er, »ich muß mich befreien, befreien von meiner falschen Stellung Kortschagins, Marja Wassiljewna, meiner Erbschaft und allem übrigen gegenüber . . . Ja, frei atmen . . . Ins Ausland reisen, nach Rom . . . Mein Bild wieder vornehmen . . . « Die Zweifel an seinem Talent fielen ihm ein . . . »Nun, einerlei, einfach frei aufatmen . . . Zuerst nach Konstantinopel, dann nach Rom, nur um die Geschworenenpflichten so schnell wie möglich abzustreifen. Und die Sache mit dem Advokaten einrichten . . . «

      Und plötzlich erstand in seiner Phantasie in ungewöhnlicher Lebendigkeit die Arrestantin mit ihren schwarzen schielenden Augen. Und wie hatte sie bei dem letzten Wort der Angeklagten geweint!

      Er löschte und zerdrückte schnell die aus gerauchte Cigarette, zündete sich eine neue an und begann im Zimmer auf und ab zugehen. Und einer nach dem anderen tauchten in seinem Gedächtnis die Augenblicke auf, die er mit Katjuscha durchlebt hatte. Er gedachte des letzten Wiedersehens mit ihr, der Leidenschaft, die sich damals seiner bemächtigt hatte, und der Enttäuschung, die ihr gefolgt war. Er dachte an das weiße Kleid mit dem blauen Bande und an die Frühmesse. »O, ich habe sie geliebt damals in jener Nacht, geliebt mit der guten, reinen, wahrhaften Liebe, ich habe sie auch schon früher geliebt, und noch wie geliebt, damals als ich das erste Mal bei den Tanten war und an meiner Arbeit schrieb!« Und er erinnerte sich seiner selbst, wie er damals war. Er empfand den Hauch jener Jugend, Frische und Lebensfülle, und quälende Trübsal beschlich sein Herz.

      Der Unterschied

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