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nicht mit ihrem Gefühl. Entschuldigung«, unterbrach sich Finn, »ich weiß natürlich, dass es schwer für sie ist, gegen ihr Gefühl zu handeln, aber bitte, nutzen sie ihren messerscharfen Verstand, den mein Onkel so sehr bewunderte!«

      »Dieser Verstand schaffte es aber nicht, deinen Onkel und so viele andere, talentierte und geliebte Elfen vor dem Tod zu bewahren. Vor einem Tod, den weder sie, noch ihre Eltern verdient hatten. – Nein. Mein Gefühl spricht dagegen!«

      Obwohl jetzt Stille herrschte, stand Cian nicht auf, um zu gehen. Auf was wartete er? Vielleicht auf ein Argument Finns, genau diesen Verstand zu bemühen? Aber der junge Elf schwieg, schaute ihn nicht einmal an. Wenn Cian jetzt aufgestanden wäre, hätte ihn Finn sicher nicht zurückgehalten. Völlig unerwartet sagte der Jüngere dann doch etwas, leise und kaum vernehmbar.

      »Der Sinn meiner Ausbildung bei ihnen wäre klar. Es geht darum, dass das Erlebte vieler Jahre, an einen wissbegierigen aber noch dummen Elf weitergegeben wird. Genauso wie die Kenntnisse über Zauber und das Wissen ihrer Anwendung. Vielleicht kann dadurch zukünftig der Tod Unschuldiger verhindert werden.«

      Überrascht hob Cian seinen Kopf und dachte sofort:

      »Von wegen dummer Elf. Das hast du dir doch lange und gut überlegt. Meinst du, möglicherweise mit Schmeicheleien zu erreichen, was schon viele vor dir vergeblich versuchten?« Ein jungenhaftes Lächeln huschte dabei über das Gesicht des Alten, der nun erwiderte:

      »Ich werde es mir überlegen, verspreche aber nichts. Vermutlich werde ich dir sogar absagen. – Meine Fähigkeiten als Ausbilder wurden schon lange nicht mehr gefordert. Sollte ich dich doch nehmen, und ich sage ausdrücklich SOLLTE, dann musst du mir versprechen, mir nie blind zu vertrauen. Wäge stets ab, ob das, was du beabsichtigst, Sinn macht. – Und lass das blöde »Sie«, nenne einfach meinen Namen.«

      »Ich kann ihnen … hm, dir, Cian, ja etwas dabei helfen, wenn deine Ausbildertalente etwas eingerostet sind. Gemeinsam schaffen wir es sicher! – Danke!« Jetzt spiegelte sich das Lächeln Cians in dem des Jungen, der wusste, dass er gewonnen hatte.

      Der Elf schüttelt sich, um sich in die Gegenwart zurückzurufen. Er will jetzt zuerst frühstücken.

      Cian weiß nicht so recht was er machen soll. Jedes Mal, wenn er meint, dass sein Versuch erfolgreich ist, die Traumsequenz aufzurufen, verschwinden die Bilder wieder. Den gesamten Vormittag wandert er mit großen Schritten durch den Raum, mal die Hände auf dem Rücken verschränkt, dann sie ballend oder mit einer Faust in die geöffnete andere Hand schlagend. Der alte Magier ist überzeugt, der Traum hat ihn nicht grundlos heimgesucht. Das muss etwas bedeuten. Und es hat mit … Nein, hier verwirren sich die Gedanken erneut. Er bekommt keinen Faden zu fassen, dem er folgen kann. Gegen Mittag meldet sich ein Hungergefühl. Soll er jetzt etwas zu sich nehmen? Unschlüssig wandert er weiter. Seine hellblauen Augen, die erstaunlich jung wirken, schweifen umher, fixieren kurz ein Buch in den übervollen Bücherregalen, um dann sofort ein anderes anzusehen. Er weiß, ein willkürlich gewähltes Buch wird ihn nicht unterstützen können, den flüchtigen Traum zu fassen. Das wäre mehr als nur Zufall, das käme einer Fügung gleich, die nicht … Cian stutzt. Ist es den Versuch wert, mit geschlossenen Augen auf die Regale zuzugehen, um einen der alten Wälzer auszuwählen?

      »Du wirst wirklich senil, mein Lieber«, spricht er zu sich. »Und außerdem vernachlässigst du das Feuer!« Sein Blick ruht auf letzten, kaum noch glimmenden Resten. Soll er mit einem Spruch Holzscheite aus seinem Vorrat herzaubern? Nein. Er entscheidet anders. Die Bewegung, verbunden mit einer kleinen körperlichen Anstrengung, wird ihm vermutlich guttun. »Anschließend mache ich mir eine schöne, heiße Tasse Tee und esse etwas Käse. Ja, das mache ich!« Er nimmt den abgetragenen Umhang, in den er sich aus alter Gewohnheit wickelt und verlässt den Raum. Mit Absicht nutzt er dazu nicht den magischen Sprung. Es ist an der Zeit, sich mal wieder einen Überblick über den Zustand der alten Königsburg, besser gesagt den der Ruine, zu verschaffen. Die Eichentür führt auf ein Podest, von dem sich eine steile Steintreppe nach unten windet. Die Sonne steht hoch am Himmel, an dem vereinzelt weiße Wolken zu sehen sind. Mehrere schwarze Vögel spielen übermütig in der Luft, scheinen sich gegenseitig zu jagen und krächzen laut. »Dohlen«, murmelt Cian und folgt den ausgetretenen Stufen vorsichtig abwärts. Fünf Minuten später befindet er sich innerhalb eines Trümmerfeldes riesigen Ausmaßes. Er dreht sich um und überprüft die Maskierung des Turmes, den er jetzt hinter sich gelassen hat. Er staunt jedes Mal, wie perfekt sein Tarnzauber funktioniert. Die Ruine sieht derart baufällig aus, dass der nächste heftige Windstoß sie zusammenbrechen lassen wird. Niemand, der nichts von der Existenz seines Heims weiß, würde Giants Crown, den letzten erkennbaren Rest der Königsburg, zu betreten wagen. Er würde sich vielmehr möglichst weit entfernt davon aufhalten, da sogar ständig Schuttbrocken von den höheren Stellen nach unten rieseln. Aber lassen sich damit andere Zauberer täuschen? Was ist, wenn sie eine Tarnung vermuten und sie mit einem Entdeckungs- oder Offenbarungsspruch aufzuheben versuchen? Der alte Elf probiert alle Sprüche, die ihm dazu einfallen, doch der Anblick der Ruine ändert sich nicht.

      In diesem Augenblick schreckt Cian kurz zusammen. Aus dem Augenwinkel meint er, einen Blitz gesehen zu haben! Schnell ruft er mit »Sgiath« und »Protego« einen Schutz für sich auf. »Ich werde wirklich senil! Portaro!« Im gleichen Moment flirrt die Luft und Cian steht etwa 100 Meter entfernt auf einem der Steinhaufen. Von hier hat er einen guten Überblick. Befindet sich irgendwo ein feindlicher Magier? Sein Blick schweift forschend umher. Er schaut zum Schwarm Dohlen hinauf, den er mit seinem Erscheinen aufgeschreckt hat. Erneut ändert er den Aufenthaltsort. Von dem anderen Steinhügel aus kann er genau die Stelle sehen, wo er sich aufhielt, als er einen Blitz entdeckt zu haben glaubte. Nein. Ein Feind ist nirgends zu sehen! Aber was wird es gewesen sein, wenn es nicht das Ergebnis eines Zauberspruchs war? Cian wechselt abermals den Standort, doch auch von hier ist kein Gegner zu entdecken.

      Die Königsburg stand ursprünglich auf einem großen Hügelplateau. Jetzt sucht er die Grenzen der Hochebene ab. Trotz des hohen Alters ist die Sehstärke seiner Augen seit der Jugend unverändert. Das ist nicht erstaunlich, sondern bei Elfen immer so. Selbst wenn Elfenaugen verletzt werden, etwa in einem Kampf, sind sie durch eine entsprechende Wundbehandlung oder mittels Zauber schnell wieder geheilt. Jetzt erblickt der alte Ausbilder einen, nein zwei Wölfe, die langsam den Rand des Plateaus entlang trotten. Sollten das feindliche Magier sein, die ihre Gestalt gewechselt haben, um harmlos zu erscheinen? Aber was wollen sie hier? Eines der beiden Raubtiere wittert in seine Richtung, scheint ihn direkt anzublicken, dann folgt es dem anderen. Cian zweifelt. Diesen Aufenthaltsort kennt bisher niemand, oder doch? Hm. Finn ist er bekannt und auch Kayleigh, aber beiden vertraut er. Der Elf erstarrt. Etwas blitzt kurz in seinem Kopf auf. Finn? Ja, sein Traum hatte mit seinem Schüler zu tun. Doch die Sequenz lässt sich nicht aufrufen. Der Herzschlag des alten Elfen beschleunigt sich. Ist Finn in Gefahr? Ein Schauer überläuft seinen Rücken. Er fühlt sich unbehaglich, so, als ob er beobachtet werden würde. Feine Nackenhaare richten sich auf und er wendet sich schnell um. Aber dort ist niemand! Lediglich eine Elster hüpft zwischen den Trümmern umher. Sollte sie den Blitz …? Das könnte sein!

      Dieser Vogel aus der Rabenfamilie ist möglicherweise der Verursacher der Lichterscheinung. Im nächsten Moment steht Cian wieder dort, wo er etwas aufblitzen zu sehen meinte. Doch die Elster wird er nicht versehentlich als strahlende Erscheinung bemerkt haben. Selbst wenn sie fliegt und die großen, weißen Stellen ihres Körpers oder die Enden ihrer Schwingen kurz in seinem Sichtfeld waren, wird er sie nicht mit einem Blitz verwechselt haben. Da ist er sich sicher. Aber etwas anderes ist möglich. Elstern lieben alles, was glänzt. Rundliche, silbrig glänzende Gegenstände wecken ihr Interesse besonders stark. Falls sie derartige Schmuckstücke entdecken, können sie nicht widerstehen. Sie sind schlau und schaffen es oft, sie in einem unbewachten Moment mitzunehmen und zu verstecken. Cian schaut sich um. Diese Vögel sind standorttreu, überwachen als Brutpaare ihr Revier ganzjährig und bleiben ein Leben lang zusammen. Ein Paar hat er in den letzten Jahren immer wieder hier gesehen, deshalb sucht er nach dem zweiten Tier. Cian sieht, wie es dorthin fliegt, wo er vorhin einen Blitz zu sehen meinte. Langsam bewegt

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