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Betreten dieses Hauses überkam Hübner ständig das Gefühl, von der Haustür zum Wohnzimmer in eine andere Welt zu treten. Aus dem Verkehrslärm, dem ständigen Autohupen, dem Menschengewirr in die Stille, die sich auf der anderen Seite des Hauses über den kleinen Wald und die grünen Hügel erstreckte. Augenblicklich hatte sogar Hübner das Gefühl, entspannter zu sein. Genüsslich ließ er sich auf das Sofa sinken und ließ seinen Blick durch das Fenster zum Garten schweifen, der zur frühen Stunde noch völlig ruhig und leer war. Kullmann kam einige Minuten später hinter seinem Kollegen her und stellte zwei alte Sammeltassen auf den Tisch, in die er einen gut duftenden Kaffee einschenkte.

      »Ich weiß zwar nicht, ob du bereits bei einer deiner ›Damen‹ Kaffee bekommen hast, biete ihn dir aber trotzdem an«, bemerkte er dazu.

      Hübner ging auf diese Anspielung gar nicht ein, sondern kam gleich zum Thema.

      »Also Frau Ida Fichte war schon früh gegangen, sie hatte diese blonde Frau nicht mehr gesehen, das war zu erwarten und Adrian Schulz hatte ihr keine Bedeutung beigemessen. Der wusste gar nicht, dass die beiden noch mit ihr weitergezogen sind.«

      Weiterhin erzählte er von den Ergebnissen seiner Befragungen, wonach er systematisch alle Mitarbeiter der Fa. Schulz KG besucht hatte, die sich infolge der Betriebsfeier bis spät in die Nacht, alle zu Hause aufgehalten hatten.

      Zuerst war er bei einem Kollegen, der im Bereich Auftragsannahme beschäftigt war. Ein unangenehmer Mann, der ständig zweideutige Bemerkungen über die Mitarbeiter machte. Als er zum Thema der geheimnisvollen Blondine kam, holte er erst richtig aus und berichtete, dass der Kollege Klos bei einem Fest niemals die Finger von den Frauen lassen konnte, obwohl er verheiratet war.

      Aber das hatte ihn nie daran gehindert, jede Gelegenheit zu nutzen und alles zu versuchen. Wie weit er wirklich ging, konnte er nicht sagen. Darüber hatte Herbert Klos nur wichtigtuerische Andeutungen gemacht. Im Fall der geheimnisvollen Blondine konnte er jedoch mit Bestimmtheit sagen, dass sie zur späten Stunde mit dem Wagen von Klos verschwunden waren.

      »Und von Wehnert war nicht die Rede?«, erinnerte Kullmann den eifrigen jungen Kollegen daran, dass Klos nicht das einzige Opfer war.

      »Der Zeuge behauptete, die beiden Kollegen waren dafür bekannt, unkonventionellen Sex zu praktizieren, in unserem Fall bedeutet das, sie waren zu dritt«, erklärte Hübner grinsend.

      »Was veranlasst diesen Zeugen zu solch einer Aussage?», zweifelte Kullmann.

      »Angeblich hatten beide nach dem Betriebsausflug vor zwei Jahren mächtig damit geprahlt. Dieses Thema schien ihn eindeutig zu amüsieren.«

      »Was ereignete sich vor zwei Jahren?«, fragte Kullmann verwirrt. Er konnte keine Zusammenhänge erkennen.

      »Damals hatten die beiden Opfer ein ähnliches Abenteuer mit einer gewissen Elvira Reinhardt. Sie war bis zu diesem Zeitpunkt in der Firma Schulz KG beschäftigt. Mit ihr sind sie auch in der Nacht zusammen weggegangen. In der folgenden Woche hatten sie nichts Besseres zu tun, als ständig bis ins Detail darüber zu plaudern, was vorgefallen ist.«

      »Wie scheußlich“, schüttelte Kullmann verächtlich den Kopf.

      »Und was hat Elvira Reinhardt darüber erzählt?«, wollte er wissen.

      »Direkt nach dem Betriebsausflug hatte sie gekündigt.«

      »Und das war alles vor zwei Jahren?«, staunte Kullmann.

      Hübner nickte.

      »Was war daran so ungewöhnlich, dass der Kollege alles noch so genau in Erinnerung behalten hat?«

      »Nach seinen Worten lag es an den Kollegen Klos und Wehnert. Diese beiden waren die Partylöwen, ohne sie lief nichts, kam keine Stimmung auf. Es werden in dieser Firma lediglich ein Betriebsausflug und eine Weihnachtsfeier veranstaltet, mehr läuft in dem Laden nicht. Letztes Jahr waren die beiden auf dem Betriebsausflug nicht dabei. Aus diesem Grunde war der Ausflug völlig uninteressant und vor allen Dingen keinem besonders im Gedächtnis haften geblieben«, erklärte Hübner weit ausschweifend. „Nach seiner Aussage war Klos der Anstifter und Wehnert lief in seinem Schatten herum. Klos hatte sich auch stets bei den weiblichen Bediensteten eingeschmeichelt und bei den Herren der Schöpfung mit seinen Jagdtrophäen gebrüstet. Er hat wohl mehr als einer Frau mit seiner Lebensweise wehgetan.«

      Kullmann lauschte gespannt Hübners Worten, die wie ein Wasserfall auf ihn hernieder prasselten. Als endlich Stille eintrat fragte er nur kurz: »War das alles?«

      Hübner stutzte. »Ich denke, das ist ein Anfang.«

      »Meinst du, wir sollten nun nach betrogenen Ehemännern fahnden, wo wir noch nicht einmal die Namen der Frauen wissen, die Kontakt zu Klos hatten?« Die Ironie in Kullmanns Stimme wuchs.

      »Wusstest du, dass der Vater von Klos vor einigen Jahren Landtagsabgeordneter war?« versuchte Hübner abzulenken.

      »Ja. Josef Klos wurde vor 14 Jahren ermordet. Die Tat wurde allerdings nie aufgeklärt. Man behauptete, es sei ein politisches Motiv gewesen, wobei ich kaum glauben kann, dass es in unserem kleinen Land so wichtige politische Bewegungen geben kann«, murrte Kullmann, stand auf und ging auf das Fenster zu, um den Anblick seines sonnenbeschienenen Gartens zu genießen.

      »Ich glaube, du bist mit dem falschen Fuß aufgestanden«, knurrte Hübner, mittlerweile in seinem Enthusiasmus gebremst. »Jedenfalls dachte ich, es würde dich interessieren.«

      »Hast du nicht noch andere Mitarbeiter befragt?«

      »Doch, zum Beispiel den jungen Nachfolger von Elvira Reinhardt. Aber er ist ruhig und hat auch wenig zu berichten. Allerdings gibt es da noch diese Angestellte im Personalbüro. Die war gesprächiger.«

      »Zum Beispiel?«, forderte Kullmann den Kollegen auf, genauer zu werden.

      »Sie sah in Herbert Klos einen stets gut gelaunten Menschen, der immer zu Späßen bereit war und beste Laune unter den Kollegen verbreitete.«

      »Und seine Frauengeschichten? Für gewöhnlich reagieren Frauen auf so was doch viel sensibler als Männer“, schlürfte Kullmann seinen Kaffee, ohne Hübner dabei aus den Augen zu lassen.

      »Das hat sie seltsamerweise völlig heruntergespielt. Sie meinte, ihr hat sein sprühendes Temperament gut gefallen, der Rest interessierte sie angeblich nicht.«

      Kullmann nickte.

      »Also die Personalangestellte kommt schon mal nicht in Verdacht.« stellte er trocken fest. Hübner stöhnte: »Heute kann man es dir aber gar nicht recht machen. Nur so können wir uns irgendwann ein Bild von den Ermordeten machen.«

      »Irgendwann hätte ich gerne ein genaues Bild vom Täter“, knurrte Kullman als Entgegnung.

      »Von den anderen war nicht viel zu erfahren«, ging Hübner auf die Anspielung gar nicht ein. „Die blonde Frau kennt niemand, und dass die beiden mit ihr weggegangen sind, empfanden alle als ganz normal. Nur noch ein älterer Kollege erwähnte ebenfalls diese Geschichte mit Elvira Reinhardt. Er sagte auch, dass es sonderbar war, dass Frau Reinhardt direkt nach dem Betriebsausflug gekündigt habe, wo sie doch eine ganz gut bezahlte Stellung innehatte.«

      Kullmann nickte nachdenklich. Dann ging er zu seiner Regalwand, die sich über die ganze Wand ausdehnte und mit Büchern völlig zugestellt war. Dort zog er eine Akte heraus und warf sie vor Hübner auf den Tisch.

      »Das ist die Akte von Herbert Klos. Die ist wirklich interessant. Vor 15 Jahren lief ein Verfahren gegen ihn wegen Vergewaltigung eines 16jährigen Mädchens. Ich hatte damals sogar gegen Klos ermittelt. Nachdem ich das gelesen habe, ist es mir auch wieder eingefallen. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Vater seine politischen Verbindungen spielen ließ.«

      Hübner war perplex. Eine Weile war alles still. In die Stille fragte er: »Was ist aus dem Mädchen geworden?«

      »Sie nahm sich das Leben mit Tabletten.«

      Wieder folgte Stille.

      Diese Nachricht machte Hübner stutzig. Der Eindruck, den man ihm gerade von Herbert Klos

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