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doch, wir wollen von allen die Meinung hören“,

      beschwichtigte Hübner mit einem interessierten Blick auf das hübsche Mädchen, das es sichtlich genoss, so angesehen zu werden.

      »Wie gut kanntest du Herbert?«, fragte er dann.

      »Gut genug, warum?«

      »Kann es sein, dass du ihn gern hattest?«

      Kullmann schaute bestürzt auf Hübner, weil er den Verdacht, den der Kollege hegte, bereits ahnte.

      »Ja, er war immer lustig und nett.«

      »Bist du mit ihm ausgegangen?«

      Elena schwieg. Überrascht schaute die Mutter auf den jungen Mann und auf Elena. »Was stellen Sie denn für Fragen? Glauben Sie, Herbert habe auch etwas mit meiner Tochter gehabt? Also ich muss schon bitten.«

      »Nein, ich glaube nur, dass die beiden befreundet waren. Das bedeutet doch nichts Negatives, oder?«, erwiderte Hübner streng, weil er diesen Gedanken nicht abwegig fand.

      Frau Wehnert entgegnete nichts, allerdings ließ ihre Miene vermuten, dass sie dem auch nicht zustimmen wollte. Feindselig funkelte sie Hübner nur noch an.

      »Es ist besser, wir gehen jetzt«, schaltete Kullmann sich ein, weil die Atmosphäre eine ungünstige Spannung angenommen hatte.

      Unter diesen Voraussetzungen würden sie ohnehin nichts mehr erreichen. Rasch verabschiedeten die beiden sich und verließen das Haus.

      »Was willst du mit diesen Fragen erreichen? Sie bringen uns nicht weiter, sie handeln uns nur Ärger ein«, schimpfte Kullmann, kaum dass sie im Auto saßen.

      »Wir müssen doch Motive für die Tat finden«, entgegnete Hübner erbost.

      »Ach, du glaubst also, Frau Wehnert hat aus Rache Herbert erschossen, weil dieser mit ihrer Tochter das Gleiche tat, wie mit allen anderen Frauen und erschießt aus Versehen ihren eigenen Mann noch mit?«

      Hübner schwieg. Er musste sich eingestehen, dass es nichts mehr zu widersprechen gab. Vermutlich hatte er sich falsch verhalten.

      So fuhren sie nun durch das mittlerweile sonnenbeschienene Wohnviertel hindurch in Richtung Innenstadt, wo sich das Landeskriminalamt befand. Kullmann versank wieder völlig in seinen Gedanken. Er bemühte sich, den Fall dieser Marita Volz ins Gedächtnis zu rufen, aber es gelang ihm nur bruchteilhaft. Wie viel war im Laufe dieser Zeit wohl schon passiert, dass schon so viel in Vergessenheit geraten war?

      Anke Deister war an diesem Sonntagmorgen auch da und überraschte die beiden mit frischem Kaffee und frischen französischen Hörnchen. Kullmann schüttelte den Kopf, als er sie wieder sah.

      »Sie sind unverbesserlich. Warum genießen Sie nicht auch ’mal Ihr Wochenende?«

      »Weil ich genau wie Sie nicht anders kann. Hier habe ich auch wieder etwas gefunden, was ganz interessant sein könnte«, meinte sie nur und zeigte Kullmann ein Aktenstück aus einer Gerichtsakte von dem besagten Fall Marita Volz.

      »Wo haben Sie das her?«, fragte Kullmann ganz überrascht.

      »Das war in einer ganz alten schon abgelegten Akte von Herbert Klos. Ich dachte mir, es schadet nichts, in der Vergangenheit herumzuwühlen, und es hat sich bestätigt, wie man sieht. Hier geht es um…«

      »Ich weiß um was es hier geht“, unterbrach Kullmann und verschwand mit dem Aktenstück, einer Tasse Kaffee und einem Hörnchen in seinem Büro.

      Die Akte enthielt den Beginn eines Prozesstages, der wegen des schlechten körperlichen Zustandes der Klägerin, Marita Volz, abgebrochen werden musste.

      Es war der 11. Oktober 1975 im Gerichtssaal der Staatsanwaltschaft:

      Der Verteidiger von Marita Volz, ein Pflichtverteidiger ohne jegliche Referenzen im Strafrecht, wie Kullmann sich wieder erinnerte, war an diesem Fall nicht besonders interessiert, weil es ihm bei seinem beruflichen Erfolg nicht weiterhelfen konnte. Er hieß Walter Gaus.

      Die Befragung begann mit einer Mitschülerin namens Dietlinde Becker, deren Meinung unerschütterlich blieb. Sie hielt an der gesamten Verhandlung daran fest, dass Marita sich niemals freiwillig mit Herbert Klos getroffen hatte. Ganz im Gegenteil: Herbert hatte sie immer wieder mit seinen Besuchen überrascht, sogar überfallen, so dass Marita keine Wahl hatte. Auch äußerte Dietlinde, dass Marita keinerlei Freundschaften dieser Art gesucht hatte. Im Gegenteil, sie beteuerte immer wieder und beharrlich, Marita Volz habe sogar Angst vor Herbert Klos gehabt. Diese Aussage hatte den Verteidiger, Eberhard Kluge, allerdings aus der Fassung gebracht, weil sie keinesfalls in seine Theorie des freiwilligen Liebesaktes hineinpasste.

      Aber Dietlinde ließ nicht locker. Sie beharrte darauf, bestens über alle Wünsche und Ängste ihrer Freundin Marita informiert zu sein, um somit auf keinen Fall den Eindruck zu bekräftigen, sie habe eingewilligt. Denn das war das Schlimmste, was einem Vergewaltigungsopfer passieren konnte. Trotz allem war es dem Verteidiger gelungen, nach langem Bemühen, eine Antwort aus Dietlinde zu entlocken, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellte. Sein Ziel war es klarzustellen, dass Dietlinde nicht alle Ängste und Wünsche Maritas gekannt haben kann, da eine derartige Freundschaft unvorstellbar war. Und so fragte er: Wenn man nicht ausdrücklich nach etwas fragt, ist es ja nicht verheimlicht worden, sondern einfach nur nicht zur Sprache gekommen.

      Ist auch diese Möglichkeit bei Ihnen beiden als Busenfreundinnen völlig ausgeschlossen?

      Diese Möglichkeit war nicht völlig auszuschließen. Damit war der erste entscheidende Schritt für den Freispruch von Herbert Klos getan.

      Kullmann legte das Aktenstück zur Seite und grübelte. So nach und nach erinnerte er sich wieder an den Fall. Er selbst war auch als Zeuge geladen und hatte daraufhin die Verhandlung weiter beobachtet. So wie er sich nun erinnern konnte, hatte Marita damals keinerlei Chance gehabt, diesen Prozess zu gewinnen, der nur von Männern geführt wurde. Sogar ihr Anwalt, der Pflichtverteidiger, erschien ihm so, als sei er von Maritas Rolle als Opfer nicht überzeugt. Je länger er nachdachte, umso mehr fiel ihm wieder zu diesem Fall ein. Er selbst hatte damals Klos in seinem Elternhaus verhaftet mit dem Verdacht auf Vergewaltigung. Die Überheblichkeit in Klos’ Gesicht hatte ihn damals schon so entsetzt, dass er sich damals schon gewünscht hatte, dieser Kerl würde verurteilt und hinter Gitter kommen. Aber all’ seine Bemühungen hatten nicht ausgereicht. Mit genau der gleichen Überheblichkeit grinste Klos ihn damals im Gerichtssaal an, als er freigesprochen wurde, aus Mangel an Beweisen, und als freier Mann hinausging.

      Wieder und wieder las Kullmann die Akte und versank ganz in der Vergangenheit vor 15 Jahren, als der Fall Marita Volz eine ganze Stadt beherrschte. Er erinnerte sich wieder gut daran, wie viele seiner Kollegen betroffen waren, ganz besonders nach dem Freitod des Mädchens. Marita war, so wie er sie in Erinnerung hatte, nach der grauenvollen Tat, ein dünnes, schon fast durchsichtiges Mädchen geworden.

      Die Haut war weiß, ihr Gesicht, das bestimmt einmal hübsch gewesen war, war eingefallen und wirkte durch die Umrahmung der dicken, lockigen dunklen Haare ganz klein und verletzlich. Ihre Augen hatten tiefe schwarze Schatten, die niemals verschwanden. Ein Lächeln konnte man nie sehen, auch wenn man sich noch so bemühte, sie abzulenken, zu erheitern oder zu unterhalten. Sie blieb immer ernst. Sie war zerstört durch diesen Menschen, Herbert Klos. Und nun war Herbert Klos tot. Klein und zusammengesackt hatte er am Steuer seines Wagens mit dem Kopf auf dem Lenkrad vor ihm gelegen. Keine Überheblichkeit mehr, nein, eher die Erkenntnis, dass seine Art zu leben eigene Gesetze hat.

      Leise klopfte es. Froh darüber, dass er endlich von diesen schrecklichen Gedanken losgerissen wurde, rief Kullmann: »Herein!«

      Anke Deister trat ein.

      »Nanu, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«

      Wehmütig lächelnd ging sie an seinen Schreibtisch und setzte sich ihm gegenüber.

      »Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet«, lobte Kullmann sofort, aber Anke winkte nur ab.

      »Deshalb komme ich nicht.«

      Kullmann entgegnete nichts.

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