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anderes gesehen hat oder dass er sich täuscht.“

      „Gibt es denn keinen Spezialisten, den ihr aufsuchen könnt?“

      „Nein, die Universitätsklinik ist führend in der Medizintechnik. Wer sonst sollte da helfen können?“

      „Ich weiß es nicht, Clarissa. Ich weiß es nicht.“

      „Tante Francesca, ich lege jetzt auf. Werner kommt gleich, ich muss ihm schnell was kochen.“

      „Ist gut, Kleines, und bitte halt' mich auf dem Laufenden, ja?“

      „Selbstverständlich. Gruß an die Familie.“

      Francesca Tardea sinkt in Ihrem Sessel zusammen. Gedankenversunken bekommt sie kaum mit, dass kurz darauf das Telefon läutet.

      „Si.“

      „Ciao Francesca, hier ist Guiseppe. Ich rufe nur kurz an wegen der Sammelbestellung: Wie viele Liter Olivenöl brauchst Du? Und soll ich Dir frische Artischocken mitbestellen?“

      „Ein Fünfliter-Fässchen bitte. Artischocken bekomme ich vom Bauern hier vor Ort.“

      „Hast Du irgendwas? Du hörst Dich so abwesend an.“

      „Ach, Guiseppe. Ich hatte gerade einen Anruf. Clarissa aus Deutschland. Es gibt Probleme mit dem Kind.“

      „Probleme?“

      „Möglicherweise kommt es behindert zur Welt.“

      „Was? Das ist ja furchtbar.“

      „Ja, das ist es.“

      „Was fehlt dem Kleinen denn?“

      „Das habe ich nicht genau verstanden, Guiseppe. Ich war so aufgeregt“

      „Das kann ich verstehen.“

      „Irgendetwas mit dem Kopf stimmt nicht.“

      „Dio mio!“

      „Kann man denn da gar nichts tun?“

      „Ich weiß es nicht, Francesca. Aber ich werde mich erkundigen.“

      „Danke, Guiseppe. Wir haben uns doch alle so auf das bambino gefreut.“

      „Ja, Francesca. Lass' uns alle für Clarissa und das Kind beten. Vielleicht wird noch alles gut.“

      „Vielleicht, ja.“

      „Ich muss jetzt los, ich habe noch einen Termin. Ich werde den Rest der Familie informieren und sehen, was ich tun kann, Francesca.“

      „Was willst Du denn da tun? Wie kann die Famiglia Clarissa helfen?“

      „Ich weiß es noch nicht. Aber ich lasse mir etwas einfallen.“

      21

      Davor Krupcic lernt schnell. Obgleich er sowohl äußerlich als auch vom Naturell her so anders als Borna ist, in der Fabrik macht er sich beinahe so gut wie sein Bruder.

      Davor wird zunächst im gleichen Segment der Fertigung, in dem auch Borna tätig ist, eingesetzt, da dort ein Kollege längerfristig erkrankt ist.

      Er hat den Ehrgeiz, seinem großen Bruder, den er mehr verehrt noch als seinen Vater, keine Schande zu bereiten, seinem Ruf in der Firma nicht zu schaden.

      Zudem möchte er, dass seine Familie stolz auf ihn ist, er hat das Fest noch gut in Erinnerung, welches Borna anlässlich seines ersten Besuchs in der Heimat bereitet wurde.

      Nach Feierabend ist er meist völlig erschöpft. Während Borna ab und an mit Kollegen ausgeht oder Sport treibt, bleibt Davor in der Wohnung in Chorweiler, hört Radio oder liest. Bald soll zudem ein Fernseher angeschafft werden.

      An den Wochenenden unternehmen die Brüder meist gemeinsam etwas, regelmäßig besuchen sie zwei Lokale in Köln, die von Landsleuten betrieben werden. Im „Hrvatski Jadran“ in Nippes und „Bei Josip“ in Ehrenfeld fühlt es sich fast so an wie zu Hause.

      Bei heimischer Musik, in der Gesellschaft von Landsleuten und bei Pljeskavica und Slivovica kommt Heimweh gar nicht erst auf.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass Du das hier packst, kleiner Bruder.“

      „Und Du weißt nicht, wie schwer es mir manchmal fällt.“

      „Meinst Du die Arbeit?“

      „Daran habe ich mich gewöhnt, es fängt sogar an, mir richtig Spaß zu machen.“

      „Aber?“

      „Die Heimat, Borna. Mir fehlt die Familie, mir fehlen Freunde. Wir sind doch ziemlich allein hier, haben nur uns, die Kollegen und...“.

      „...und den guten Josip, Davor. Bitte noch zwei Slivovica zum Kölsch.“

      „Ja, Du hast gut reden. Dir macht das alles nichts aus.“

      „Meinst Du etwa, dass ich Ana und die Kleinen nicht vermisse? Doch, Davor, dass tue ich, und zwar jeden Tag!“

      „Du hast wenigstens jemanden, der in der Heimat auf Dich wartet.“

      „Dort wartet man genauso auf Dich, Davor. Und jetzt ist Schluss mit der Melancholie.“

      „Na zdravje, großer Bruder.“

      „So ist es Recht. Na zdravje, Kleiner.“

      22

      Die Jägerstube in Köln-Braunsfeld ist gut gefüllt. Wie jeden Donnerstag, wenn es Reibekuchen gibt.

      Woanders nennt man die in Köln so beliebten „Rievkooche“ Reiberdatschi, Kartoffelplätzchen oder schlicht Kartoffelpuffer. Der Kölner meint allerdings mal wieder, er hätte sie erfunden. Ein Teig aus Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Haferflocken, im heißen Öl knusprig gebacken, serviert mit Schwarzbrot, Rübenkraut oder Apfelmus ist für den Kölschen das ideale Essen am fleischlosen Freitag. Oder als fettige Basis für einen Abend mit viel Kölsch. Oder eigentlich immer, wenn der Hunger kommt. Hauptsache heiß und direkt aus der Pfanne auf den Teller.

      So einfach die Zubereitung auch ist, so ungern brät man in Köln seine Rievkooche in den eigenen vier Wänden. Grund: Der Duft hält sich tagelang. Deshalb isst der Kölsche seine Rievkooche gerne außer Haus, am liebsten donnerstags oder freitags.

      Werner und Paul Schmitz haben den letzten Tisch ergattert. Nachdem seine Frau Clarissa sich bei ihrer Tante Francesca den Kummer von der Seele geredet hat, tut Werner dasselbe nun bei seinem Bruder.

      „Weißt Du noch, der Günter Maubach? Der hat sich umgebracht wegen so einer Geschichte. “

      „Du meinst, wegen dem Kind, das seine Frau verloren hat?“

      „Ja. Zunächst hieß es, sein Sohn käme womöglich behindert zur Welt, dann kam er als Totgeburt.“

      „Aber das ist viele Jahre her, Werner. Seitdem hat sich so viel getan in der Medizin. Diese Untersuchung, die ihr da gemacht habt, die gab es damals doch noch gar nicht. Und neue Medikamente gibt es bestimmt auch.“

      „Kann schon sein, Paul. Aber ich habe trotzdem eine furchtbare Angst. Auch um Clarissa. Sie hat sich sehr verändert seit dem Besuch bei Dr. Freudenberg.“

      „Wie meinst Du das?“

      „Sie ist nicht einfach nur traurig, sie macht sich nicht einfach nur Sorgen. Ich kann das schwer beschreiben. Machst Du uns noch zwei Kölsch, Kurt?“

      „Das ist doch klar, dass Clarissa die Ungewissheit schwer belastet. Bedenk' auch, wie jung sie noch ist. Da kommen ja unsere Rievkooche.“

      „Man kommt kaum mehr an sie ran. Sie ist manchmal völlig apathisch, redet weniger als sonst und hat ihr Lachen fast verloren. Sie verhält sich so, als WÜSSTE sie bereits, dass dem Kleinen etwas fehlt. Dabei ist es doch bislang lediglich ein Verdacht.“

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