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immer düsterer wurde. »Die Erklärung wäre gut,« sagte er, »wenn diesem Briefe, den Ihr Euren Feinden zuschreibt, nicht eine gewisse Nachschrift beigefügt wäre, die Ihr bei Eurer Unruhe zu lesen vergessen habt.«

      Ein tödlicher Schauer durchlief den ganzen Körper der jungen Frau. Sie fühlte, daß sie den Kampf, wenn ihr der Zufall nicht zu Hilfe käme, nicht länger aushalten könnte.

      »Eine Nachschrift?« wiederholte sie.

      »Ja, lest,« sagte der Herzog.

      Nanon versuchte zu lächeln, aber sie fühlte, daß ihre Züge sich nicht mehr zu diesem Anschein der Ruhe hergaben. Sie begnügte sich also, mit dem sichersten Tone, den sie anzunehmen vermochte, zu lesen: »Ich habe in meinen Händen den Brief des Fräulein von Lartigues an Herrn von Canolles, durch den die Zusammenkunft, die ich Euch melde, auf heute abend festgesetzt ist. Ich gebe diesen Brief für ein Blankett, das mir der Herr Herzog durch einen einzigen Menschen in einem Schiff auf der Dordogne vor dem Dorfe Saint-Michel um sechs Uhr abends einhändigen läßt.«

      »Und Ihr hattet diese Unklugheit!«

      »Eure Handschrift ist mir so kostbar, liebe Dame, daß ich dachte, ich könnte einen Brief von Euch – nicht zu teuer bezahlen.«

      »Ein solches Geheimnis der Indiskretion eines Mitwissers aussetzen!, Ah, Herr Herzog!...«

      »Dergleichen vertrauliche Mitteilungen, Madame, nimmt man in Person in Empfang, und so habe ich es auch mit dieser gemacht. Der Mann, der sich auf die Dordogne begab, war ich selbst.«

      »Ihr habt also meinen Brief?« – »Hier ist er.«

      Durch eine rasche Anstrengung des Gedächtnisses suchte Nanon sich zu erinnern, was der Brief enthielt, aber es war ihr unmöglich. Ihr Gehirn fing an sich zu verwirren.

      Sie war also genötigt, ihren eigenen Brief wieder zu lesen. Er enthielt kaum drei Zeilen: Nanon erfaßte sie mit einem gierigen Blicke und erkannte zu ihrer unbeschreiblichen Freude, daß dieser Brief sie nicht vollständig kompromittierte.

      »Lest laut,« sagte der Herzog, »ich bin wie Ihr, ich habe den Inhalt des Briefes vergessen.«

      Nanon fand das Lächeln wieder, das sie einige Sekunden vorher vergeblich gesucht hatte, und las, der Aufforderung des Herzogs gehorchend: »Ich werde um acht Uhr zu Nacht speisen. Seid Ihr frei? Ich bin es. In diesem Falle seid pünktlich, mein lieber Canolles, und fürchtet nichts für unser Geheimnis.«

      »Das ist klar, wie es mir scheint!« rief der Herzog bleich vor Wut.

      »Das spricht mich frei,« dachte Nanon,

      »Ah! ah!« fuhr der Herzog fort, »Ihr habt ein Geheimnis mit Herrn von Canolles?«

      Nanon begriff, daß ein Zögern von einer Sekunde sie ins Verderben stürzen würde, überdies hatte sie alle Muße gehabt, den ihr von dem anonymen Brief eingegebenen Plan in ihrem Gehirn reifen zu lassen.

      »Nun ja,« sagte sie, den Herzog fest anschauend, »der Herr und ich haben ein Geheimnis.«

      »Ihr gesteht es zu?« – »Ich muß wohl da man Euch nichts verbergen kann.«

      »Oh!« schrie der Herzog.

      »Ja, ich erwartete Herrn von Canolles,« fuhr Nanon ruhig fort.

      »Ihr erwartetet ihn?« – »Ja, ich erwartete ihn.«

      »Ihr wagt es, dies zu gestehen?« – »Wißt Ihr denn aber auch, wer Herr von Canolles ist?« – »Ein Dummkopf, den ich für seine Unklugheit schwer bestrafen werde.«

      »Er ist ein hochherziger und tapferer Edelmanns den Ihr auch fortan wohlwollend behandeln werdet.«

      »Oh! ich schwöre bei Gott, daß dem nicht so sein »Keinen Schwur, Herr Herzog, wenigstens nicht, ehe ich gesprochen habe,« antwortete Nanon.

      »Weil er,« fuhr sie, mit einer dramatischen Bewegung, den zitternden Herzog beim Arm ergreifend fort, »weil er mein Bruder ist.«

      Der aufgehobene Arm des Herzogs fiel herab.

      »Euer Bruder!« rief er.

      Nanon machte ein Zeichen mit dem Kopfe, das ein triumphierendes Lächeln begleitete, und wußte den Herzog durch ein ebenso geschickt wie kühn gewobenes Lügennetz halb zu überzeugen. Sie deutete an, eine erste Liebe ihres Vaters zu Frau von Canolles, der Mutter ihres Bruders, sei nach seiner Verehelichung leidenschaftlich wieder aufgeflammt und habe zu ernsten Folgen geführt. Sie selbst habe von dem Verwandtschaftsverhältnis erst nach dem Tode ihres Vaters erfahren und dem um die Ehre seiner Mutter zart besorgten Herrn von Canolles schwören müssen, das Geheimnis streng zu wahren.

      »Ja,« schloß sie pathetisch ihre Erzählung, »ich hatte ihm einen Eid geleistet, dieses Geheimnis niemals irgend jemand in der Welt zu enthüllen. Aber Euer Verdacht ließ den Becher überströmen. Wehe mir! ich habe meinen Eid vergessen; wehe mir! ich habe das Geheimnis meines Bruders verraten.«

      Und Nanon zerfloß in Tränen.

      Der Herzog, jetzt fast völlig getäuscht, fiel vor ihr auf die Knie und küßte ihre schönen Hände, die sie ganz niedergeschlagen hängen ließ, während ihre Augen, zum Himmel emporgerichtet, Gott um Vergebung wegen ihres Eidbruchs zu bitten schienen.

      »Ihr sagt: Wehe mir!« rief der Herzog. »Sagt doch: Glück für alle! Die verlorene Zeit soll dem lieben Canolles wieder eingebracht werden. Ich kenne ihn nicht, aber ich will ihn kennen lernen. Ihr stellt mir Canolles vor, und ich werde ihn lieben wie einen Sohn. Doch da fällt mir ein, kommt denn der Junge nicht? Warum sollte ich warten, um ihn zu sehen? Ich werde ihn sogleich im Goldenen Kalbe holen lassen.«

      »Ah! ja, damit er erfährt, daß ich nichts zu verbergen vermag und daß ich Euch gegen meinen Eid alles gesagt habe.«

      »Ich werde diskret sein.«

      »Ah! Herr Herzog, nun muß ich Euch den Krieg ankündigen,« versetzte Nanon mit jenem Lächeln, das die Teufel von den Engeln entlehnt haben.

      »Und warum denn, meine teure Schöne?«

      »Weil Ihr einst lüsterner nach einem Zusammensein unter vier Augen wart, als jetzt. Kommt, wir wollen zu Nacht speisen, und morgen früh ist es noch Zeit, Canolles holen zu lassen.« (Von jetzt bis morgen kann ich ihn benachrichtigen, dachte sie.)

      »Es sei,« sagte der Herzog, »setzen wir uns zu Tische.«

      Von einem Rest von Zweifeln gepeinigt, fügte er ganz leise hinzu: »Von jetzt bis morgen werde ich sie nicht verlassen, und wenn sie nicht eine Zauberin ist, wird sie kein Mittel finden, ihn zu unterrichten.«

      Und sie setzten sich mit so lächelnden Gesichtern zu Tisch, daß selbst Francinette, so genau sie auch als vertraute Kammerfrau die Art und Weise des Herzogs und den Charakter ihrer Gebieterin kannte, glaubte, ihre Gebieterin sei vollkommen ruhig und der Herzog vollkommen beschwichtigt.

       Viertes Kapitel

      Der Reiter, den Canolles mit dem Namen Richon begrüßt hatte, war, wie erzählt, in den ersten Stock des Gasthofes zum Goldenen Kalb hinaufgestiegen und speiste in Gesellschaft des Vicomte zu Nacht.

      Er war es, den der Vicomte ungeduldig erwartete, als ihn der Zufall zum Zeugen der Vorkehrungen des Herrn von Epernon machte und in den Stand setzte, dem Baron von Canolles einen Dienst zu leisten.

      Herr Richon hatte Paris vor acht Tagen und Bordeaux an demselben Tage verlassen und brachte also die neuesten Nachrichten über die Wirren, die von Paris bis Bordeaux das Land erfüllten und ein immer beunruhigenderes Ansehen gewannen. Während er erzählte, betrachtete der junge Mann stillschweigend sein männliches, gebräuntes Antlitz, sein sicheres, durchdringendes Auge, seine weißen, scharfen, unter dem langen schwarzen Schnurrbart schimmernden Zähne und all die verschiedenen Kennzeichen, die Richon zum Musterbild eines wahren Glücksritters in gutem Sinne machten.

      »Also,« sagte der Vicomte nach einem Augenblick, »also ist die Frau

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