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dieser Zeit, in der wir mehrmals wöchentlich bis in die frühen Morgenstunden durch Kneipen und Diskotheken zogen, war mir vollkommen klar, dass mir diese Welt mit all dem Glamour, dem zur Schau getragen Reichtum und der pausenlose Drogenkonsum nicht die Wirklichkeit eröffnete, die mir so viel bedeutete, Ekstase. Es war offensichtlich, dass auch Drogen und das Zur-Schau-stellen von Geld nur eine Manipulation dieser irdischen Wirklichkeit bedeuteten. Ich sah die zugekifften, lachenden Freunde, manche stiegen bald auf härtere Sachen um, aber keiner sah wirklich glücklich aus. Ich sah die schönen Mädchen auf dem Beifahrersitz mit spritzigen Autos ihrer älteren Freunde davonbrausen, ein nichtssagender, kurzer und bedeutungsloser Höhepunkt, der sich bald auf ihren Gesichtern spiegelte. Warum war ich hier in dieser eigenartigen, leeren Welt gelandet?

      Die sexuelle Lust und die damit verbundene Energieerfahrungen spielten in meinen Leben genau so eine große Rolle, wie die Erscheinungen und die Visionen. Ich begann früh zu masturbieren und praktizierte dies mehrmals täglich in meiner Jugend, meist ohne die Ejakulation zuzulassen. Mit fünfzehn Jahren hatte ich, dank Unterstützung der Jugendzeitschrift BRAVO, meine ersten richtigen sexuellen Erfahrungen mit einem Mädchen. Ich stürzte mich in dieses Vergnügen, weil die Zeitschrift proklamierte, dass jetzt das richtige Alter wäre um Geschlechtsverkehr zu haben oder zumindest verstand ich es so. Beim ersten Mal scheiterte ich kläglich und beim zweiten Versuch war ich erleichtert, als es vorüber war, erst dann begann allmählich das Vergnügen. Zum Glück war es jedes Mal die gleiche Freundin, sodass ich nicht als kompletter Versager das Feld verlassen musste.

      Es gab ein besonderes Mädchen in meinem Dorf, das eine Anziehung auf mich ausübte, die nur schwer zu beschreiben ist. Ihre Shakti strömte aus ihrem Wesen wie Feuer. Ihr Körper und ihr Lachen strahlten vor Lust und Lebensfreude und sie zeigte es ohne jede Art von Hemmungen. Wir mussten uns nur ansehen und eine Energie rauschte durch unsere jungen Körper, die dann bei der ersten Berührung überwältigende Lust entfachte und uns in Selbstvergessenheit fallen ließ.

      Sie hatte weder Angst vor ihrer eigenen sexuellen Energie noch vor meiner männlichen Kraft und unsere Art der Liebe hatte eine erhebende Qualität, die uns völlig verwirrte. Wir waren wie zwei junge, hemmungslose Magnete, die sich anzogen und während unseres Zusammensein nicht mehr voneinander lassen konnten. Sie konnte meine Präsenz und mein plötzliches Auftauchen schon Minuten vorher spüren, bekam eine Art Fieber, obwohl es keine konkreten Verabredungen gab. Ihr Körper glühte vor Lust und Hingabe und wir liebten uns Nächte hindurch ohne einen Minute Schlaf. Wir schliefen sogar miteinander, auch wenn wir nicht körperlich zusammen im gleichen Raum waren und uns in der selben Nacht im Traum begegneten. Endlich eine, die an meiner Welt teilnehmen konnte. Aber ich konnte meine tatsächliche Liebe für sie nicht in Worte fassen und ich hatte nie den Impuls oder das Bedürfnis nach einer sogenannten normalen Beziehung verspürt, wie sie von meinen Freunden gelebt und angestrebt wurde. Das Ende einer jeden Liebe schien mir unerträglich und unvermeidbar. Es brauchte nicht die Tragik von „Romeo und Julia“.

      Ich – hielt diese Liebe nicht mehr aus. Sie – konnte nicht mehr länger so leben. Nach einer letzten Liebesnacht, die am frühen Morgen in den Sanddünen eines Kieswerkes am Rande eines Sees endete, verschwand sie für immer und ich sah sie nie wieder.

      Meine Visionen und Erfahrungen begannen zu diesem Zeitpunkt vollkommen zu verschwinden. Mit meinem besten Freund aus der Jugendzeit hatte ich auf einem alten Waldfriedhof in der Karfreitagnacht, in einem letzten fatalistischen Akt, mit Spaten und einer Flasche Rotwein bewaffnet, in einem alten Grab eine Dose mit folgendem Inhalt vergraben:

      Gott ist tot! Gott kann uns am Arsch lecken!

      Wir hatten zusammen begonnen Sartre zu lesen, Camus, Beckett, Kierkegaard, Nietzsche, andere Philosophen, Poeten und vieles mehr.

      Mein Freund war zum Atheisten geworden und am Ende musste ich ihm Recht geben, auch wenn ich ein komisches Gefühl dabei hatte und einen Widerstand in mir verspürte. In dieser Welt gab es keinen Gott mehr. Das, was ich als Ekstase erfahren hatte, schien niemand sonst wahrzunehmen. Mit fünfzehn Jahren hatte ich einen Tag vollkommenen Glücks erlebt. Ich war morgens aufgewacht und war einfach nur glücklich, ohne Grund oder ohne irgendetwas dafür getan zu haben, einfach nur so.

      In den nächsten Tagen verschwand dieser Zustand wieder, aber es blieb in meinem Bewusstsein eine Spur, dass ich etwas vollkommen Wahres erlebt hatte, und dass es keinerlei Anstrengung bedurfte, um diesen Zustand zu erfahren.

      So endete meine Jugend auf einem vergessenen Waldfriedhof, im verzweifelten Zynismus und in einer wachsenden Verachtung für diese Welt und die Menschen. Wir schenkten uns zur Feier des Tages Rotwein ein, saßen bein-baumelnd auf den Grabsteinen, tranken auf unser neues Leben und verspotteten all den Mumpitz, den uns die monotheistischen Religionen und diese westliche Gesellschaft für wahrhaftig verkauft hatten. Nichts davon stimmte.

      Auf-Essen oder Aus-Brechen

      „Und Traurigkeit ist die Illusion der Leere.“

      Adi Da

      Meine Schulzeit ging zu Ende. Ich war nun neunzehn Jahre alt, hatte das Abitur in der Tasche und wollte irgendwie an dieser mir fremden Welt teilnehmen. Seit meiner frühen Jugend liebte ich das Gestalten und das Entwerfen. Schon früh nähte ich für mich und andere alle Arten von ausgeflippten Klamotten und ich hatte mir zum Ziel gesetzt, nach einer Schneiderlehre an einer Universität Modedesign oder Kostümbild zu studieren, um Schönheit und Kreativität in diese Welt zu bringen.

      Das Ganze endete in einem Desaster. Im Jahre 1984 kam ich in die Beamten-Stadt Karlsruhe, schlenderte in den ersten Tagen durch die Fußgängerzone und der Schock traf mich völlig unvorbereitet, als ich mit der Grauheit der Menschen, ihrer Verschlossenheit und dem gehetzten Gang, den ausnahmslos jeder in der Stadt verinnerlicht hatte, konfrontiert wurde. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich war in einer behüteten ländlichen Privatschule der katholischen Kirche mit großteils jungen und sympathischen Lehrern aus der 68er Bewegung aufgewachsen. Am Ausbildungsplatz dagegen herrschte offener Sexismus gegenüber Frauen, fast alle heuchelten nach oben und stießen nach unten. Ich fiel vollkommen aus meiner Naivität und wollte nicht begreifen, dass die Arbeitswelt so grausam und verlogen sein sollte. Ich quälte mich durch zweieinhalb Jahre Lehrzeit, kämpfte gegen die Strukturen vergeblich an und erlebte den Abschluss wie ein Erlösung.

      Kurz vor Ende der Ausbildung begann ich mit der Suche nach einem Studienplatz. Ich besuchte Wien, reiste nach München und am Schluss kam ich nach Berlin. Als ich vor der Freien Universität stand und auf den großen Gebäudeeingang blickte, überkam mich wie früher eine spontane und offensichtliche Erkenntnis: Ich sah tausende von jungen Menschen aus den Eingängen strömen und verstand schlagartig, dass es nicht DAS war, was ich suchte, und dass ich dort nicht erreichen konnte, was ich wollte. Auch wenn ich keine genau Vorstellung davon hatte, was DAS eigentlich sein sollte und was mein Ziel war. Wenn so viele Menschen sich angebliches und scheinbares Wissen über das Dasein und die Schönheit der Kunst aneigneten und die menschliche Welt so lieblos und grau ist, dann musste irgendetwas mit dieser Wissensvermittlung nicht stimmen. Ja mit dem Wissen von und über die Welt musste etwas grundlegend falsch sein. In diesem Augenblick hatte sich mein Studium erledigt.

      Mittlerweile wohnte ich in meinem eigenen Haus, das ich im Alter von fünf Jahren nach dem Tod meines Vaters und meines Großvaters geerbte hatte. Beide waren im Abstand von zwei Wochen kurz nacheinander gestorben, und so blieb nur ich als alleiniger Erbe übrig. Meine Stiefoma wohnte nach dem Tod ihres Mannes, weiterhin ebenfalls in dem Haus, das sehr schön in der Mitte eines Dorfes, direkt an einem gemächlich vor sich hinfließenden Fluss lag. Es besaß zwei Stockwerke, Keller, Speicher, eine große Scheune und einen Garten. Vor dem Haus stand eine prächtige Linde, die der Großvater vor dem 2. Weltkrieg direkt am Fluss gepflanzt hatte.

      Meine Stiefoma mochte unser Familie nicht und meine Mutter und ich konnten auch nach Jahren keine besonders innige Beziehung zur Großmutter aufbauen. Als sie sieben Jahre später starb, übernahmen wir das ganze Haus, ohne dass ich und meine Mutter jemals gemeinsam darin wohnen sollten. Meine Mutter mochte das Haus nicht und blieb in ihrem Dorf.

      Mit fünfzehn Jahren begann ich mit der Renovation der ersten Etage und arbeitete mich Zimmer für Zimmer voran. Mein viel älterer Stiefbruder hatte die zweite

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