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Afrikas, die dann doch immer wieder Rückzugsräume bot, der andere ist die Fähigkeit zum Beharren, die wir in Afrika besonders stark erleben. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass Afrika die Wiege der Menschen ist. Dass die Afrikaner diejenigen sind, die niemals weggelaufen sind, sondern sich so, wie sie waren, immer der Situation gestellt haben, so schwierig sie auch war. Sei es aus Feigheit vor dem Weglaufen, sei es aus Vertrauen in das eigene Sein. Wir können es nur vermuten.

      Die Wiederkehr des afrikanischen Selbstbewusstseins ging natürlich einher mit der sonstigen Geschichte. Das späte 20. Jahrhundert war eine Zeitenwende. Ich denke das wissen Sie.“

      Um die Klasse aufzulockern, stellte er eine Frage: „Was waren die großen Veränderungen um die Jahrtausendwende?“

      Die Antworten kamen ohne Zögern:

      „Ende des Glaubens an die großen Eroberungskriege“,

      „Erkenntnis der globalen Zerstörungsfähigkeit“,

      „Grenzenlose Kommunikation und Transparenz“,

      dann mit etwas Abstand:

      „Abkehr vom Geld als alleiniges Maß von Wert.“

      Die Klasse war gut in Form. Zufrieden fuhr Zhaoming fort:

      „Sehr gut, und in deren Folge die Diskussion um die Aufwertung des Individuums als Basis der Gemeinschaft. Während dieses Thema in Europa immer noch sehr kontrovers diskutiert und in Regionen wie der Christlichen Amerikanischen Union völlig abgelehnt wird, war es das Schlüsselthema für Afrika. Die sogenannte Elfenbein-Gruppe hat in den 20er-Jahren ein radikales Konzept formuliert, das Afrika neu definiert hat.

      Dessen Inhalt war ein Befreiungsschlag. Befreiung im religiösen Sinn durch die Ablehnung von religiöser Autorität. Eben die Befreiung von Gewaltherrschern durch deren gemeinschaftliche Aberkennung, und der Ersatz der künstlichen Staaten durch Stämme und Dörfer. Das Glück war, dass in vielen Gegenden der Staat so wirkungslos war, dass sein offizieller Wegfall zunächst nur Gutes brachte.

      Sie haben alle importierten Ideale angezweifelt, bis hin zur Demokratie. Nach dem Prinzip der ständigen Weiterentwicklung beschlossen sie stattdessen, Gesetze und Regeln immer wieder neu in Frage zu stellen. Der afrikanische Weg der Entscheidungsfindung ist daher kompliziert. Die Dorf- und Stammesräte müssen nun immer wieder neu ihren gemeinsamen Willen ermitteln.

      Es war eine Zeit, in der die Leute bereit waren, sich damit zu beschäftigen. Sie hatten die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, sie hatten Zugang zu Bildung und sie hatten die Möglichkeit, Verbündete zu finden, um sich erfolgreich gegen bewaffnete Gruppen zu wehren, welche den Lauf der Dinge verhindern wollten.

      So rollte die Welle. Los ging es in Südafrika mit Nelson Mandela. Später folgte Nordafrika. In beiden Fällen ging es zuerst um Freiheit.

      Die Vereinigten Afrikanischen Religionen haben sich schließlich aus der Mitte Afrikas heraus gebildet. Hier hatten sich über alle Zeiten der Fremdbestimmung die afrikanischen Wurzeln am besten erhalten. Sie haben sich von dort schnell nach Süden entwickelt und mit zwanzig Jahren Abstand schließlich auch den Norden erobert. Die Übertritts-Welle vom katholischen Glauben war beeindruckend. 90% in 10 Jahren. Das muslimische Nordafrika war zögerlicher, aber ebenfalls unaufhaltsam. Nicht einmal das gewaltige Atombombenattentat in der Sahara konnte der Welle etwas anhaben, bei dem tausende Quadratkilometer Ölquellengebiet für eine unbestimmte Zukunft verseucht wurden, angeblich um es nicht den Ungläubigen zu überlassen. Was damals wirklich geschehen ist, wissen wir nicht, aber es zeigt uns die Kraft der afrikanischen Bewegung.“

      Das Klingelzeichen beendete die Vorlesung. Die Schüler blieben noch einen Moment sitzen, als warteten sie noch auf etwas. Zhaoming schloss die Sitzung jedoch und entließ die Klasse.

      Er wollt bereits gehen, als er von einem Paar angesprochen wurde, eindeutig keine Schüler, auch kein Pärchen. Sie stellten sich vor als Beobachter der Europäischen Erziehungskommission.

      Sie wirkten nett und lobten seine Vorlesung, er lud sie in sein Büro ein, wo sie ein langes Gespräch führten. Schließlich stellten sie ihm umfangreiche Fördermittel in Aussicht.

      Verbindung – Wiener See

      Eva war nach dem Ausflug zu ihrer Schwester in aller Stille zurück auf die Farm gefahren und hatte sich ins Bett gelegt. Sie war ausgezehrt, musste schlafen.

      Sie schlief wie in einem Kokon, tief und bewusstlos. Nach acht Stunden und einer drittel Erdumdrehung wachte sie auf, wie sie in den sieben Jahren ihrer Ehe so oft aufgewacht war: alleine, und mit einer Aufgabe.

      Während sie die morgendliche Routine abspulte, dachte sie nach. Sie hatte den Großteil ihres Ehelebens ohne Jasiri verbracht. Das machte es einfacher, trotz des Schmerzes. Tatsächlich war er gar nicht so sehr mit ihr verwachsen, wie sie es sich eigentlich gewünscht hätte. Sicher, ein Teil von ihm war in ihr. Gewachsen aus ihrem gemeinsamen Leben. Und mit dem konnte sie sprechen. Sie hatte dem bisher nie Beachtung geschenkt, doch nun suchte sie ihn. Seinen Rat. Sie schloss die Augen und wartete. Bewegte sich nicht, bis sie sicher war, das er es war, der in ihr sprach.

      Seine Botschaft war noch eindeutiger als erwartet: ‚Lass Dich nicht hängen! Sei Du selber, nimm es in die Hand und warte nicht auf mich!‘ Und er lachte sie an.

      Beim Frühstückstee sortierte sie sich und beschloss, den Kampf anzunehmen. Sie zog sich fertig an, schwarze Hose und schwarzes T-Shirt. Kampfkleidung. Sie legte ihre Kette um und ging über den Hof zum Büro des Verwalters.

      Mirko Nemec wirkte erleichtert, als sie eintrat, sagte aber nichts. Erst als sie saß, mit geradem Rücken auf der Stuhlkante, in angespannter Haltung, sah er aus seinen kleinen Augen direkt zu ihr hoch: „Du nimmst es an?“

      „Ja.“

      „Gut.“

      Mirco erklärte ihr noch einmal im Detail, was er und die anderen wussten, und Eva stellte fest, dass die Lücke erschreckend groß war. Während des Gespräches merkte sie ebenfalls, welche Erwartungen auf ihr lasteten. Jasiri war immer der Chef gewesen, alle anderen hatten sich ihm untergeordnet und sich auf ihn verlassen. Das ging nun auf sie über.

      Sie gingen gemeinsam alle Unterlagen durch, viel gab es allerdings nicht. Außer ein paar Dokumenten zum Atombombenattentat in der Sahara vor einigen Jahren, einigen politischen Dokumenten zum Gerichtsverfahren um das Gelände der Farm und einem Abdruck der Übertrittserklärung Siziliens zu Afrika fanden sie nur die Personalakten der Farm, die bis auf die Akte von Quasiz alle sehr dünn waren. Eva fand es schmerzhaft, dass auch in ihrer Welt der Verlust von Vertrauen offenbar in harter Bürokratie endete. Unterlagen zu Lieferwegen, Bestellvorgängen oder Ansprechpartnern fanden sie keine. Enttäuscht gaben sie auf.

      Eva bemerkte die zunehmende Verzweiflung Mircos und versuchte, so gut wie möglich durchzuhalten. Dazu fragte sie Mirco immer weiter aus. Wegen seines bruchstückhaften Wissens überlegten sie sich ein Hilfsmittel: für alles Unklare wählten sie Tiernamen und deren Beziehungen. Nutztiere für erlaubtes, Wildtiere für alles ungesetzliche oder bedrohliche. Es kam ein ziemlich wilder Zoo dabei zusammen und Eva spürte immer mehr, dass Jasiris Zurückhaltung, sie in seine Welt einzubinden, dazu diente, sie und die anderen auf der Farm zu schützen.

      Sie musste sich nun ein eigenes Bild machen. Ihr Zustand schwankte weiterhin zwischen Verzweiflung und Kampfgeist, und die alten Kerle, die immer unter Jasiri ihre Aufgaben erfüllt hatten, halfen ihr nur zu verstehen, wie es bisher geschehen war. Sie musste etwas Neues finden. Irgendwie kam sie auf die Idee herauszufinden, was die Jugend, die neue Generation auf der Farm dachte. Die ganze Organisation war in Gefahr, und in der Jugend lag einer der dringenden Gründe für den Erhalt der Farm. Ihr war zwar nicht klar, was sie sagen sollte, aber das war nur ein Grund mehr zu reden. Mit Mia zu reden.

      Mia war unter den Jungen ihre engste Vertraute. Sie war klug, mutig, hilfsbereit, in der nächsten Generation würde sie sicher eine wichtige Rolle auf der Farm oder auch anderswo übernehmen. Mia war im ersten Jahrgang der neuen Funktionsschule der Farm gewesen. Was hatte Eva gekämpft, um das Schulrecht zu erhalten. Zum Glück war

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