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und es gab keine Kontaktadressen. Gar nichts. Das hat er aus Sicherheitsgründen immer so gehalten. Als Einzige könnte vielleicht Eva etwas wissen.“

      „Eva sitzt den ganzen Tag unter dem Baum auf der Kuppe und schweigt.“

      „Ich fürchte, wir werden sie trotzdem fragen müssen. Aber lass uns vorher noch einmal alles durchgehen.“

      „Wir haben hier noch dieses Schreiben von der Regionalverwaltung“, er zeigt Deixner seinen Kommunikator.

      „Sie wollen wissen, wer den Verein leitet, der die Farm trägt. Es ist eine informelle Anfrage. Offenbar hat die Afrikanische Botschaft angefragt, da der Verein ja afrikanisch ist. Deshalb haben wir ja überhaupt die Genehmigung zum kommerziellen Anbau.“

      Deixner starrte das Schreiben verdattert an. Doch bevor er etwas sagen konnte, wiegelte der Verwalter schon ab:

      „Ich denke, das ist nicht so schlimm. Das wird, sobald es offiziell wird, in den Löchern der Anonymisierung versinken. Ich würde sagen, wir machen, was wir immer tun, nämlich erst einmal gar nichts.“

      „Schon komisch, dass die gerade jetzt kommen. Das bedeutet etwas. Weißt du, ob die Afrikaner uns eigentlich mögen?“ Deixner hatte sich das nie gefragt.

      „Nun ja, soviel ich weiß, sind die Afrikaner uns Europäern gegenüber schon ziemlich misstrauisch. Das war auch ein Grund, warum Jasiri immer alleine oder zusammen mit anderen Afrikanern fuhr.“

      „Wenn die uns die Genehmigung entziehen, sind wir auch weg.“ Er hielt inne. „Aber wem gehört denn jetzt die Farm überhaupt, falls Jasiri tatsächlich tot ist?“

      „Keine Ahnung, sie ist als Verein nach afrikanischem Recht gegründet, Jasiri hat das auch alles alleine gemacht. Die Unterorganisationen für die Miete der Ländereien, die Anstellung der Mitarbeiter, die Schule und den Vertrieb sind hiesige Gesellschaften, die aber alle dem Verein unterstehen.“

      „Wir müssen das mit Eva besprechen, alles andere ist zwecklos.“

      Nemec schaute Deixner von der Seite an: „Wollen wir sie holen? Sie sitzt auf dem Hügel und sagt kein Wort.“

      „Lass uns warten, bis sie zurückkommt.“

      Die Schule – Wien Zentrum

      "Und damit kommen wir zur Zusammenfassung.“ Mia und Felix, Schüler der Philosophieschule Wien, blickten sich gut gelaunt an, ein sichtbares Aushandeln, wer das Ende übernehmen durfte, bei diesem engagierten Referat, das sie mit beneidenswerter Leichtigkeit durchtänzelten. Mia gewann.

      „Der ökonomische Rationalismus zu Beginn unseres Jahrhunderts war unserer Ansicht nach ein einzigartiges historisches Ereignis, da erstmals die Auflösung nationaler Grenzen sowie die Auflösung der Wertegemeinschaft gleichzeitig gewirkt haben. Die kulturelle Regionalisierung am Beispiel der kulturautonomen EU-Regionen oder auch am Beispiel Afrikas zeigt, dass dieser solitäre Moment nicht tragfähig war. Wir begründen das mit den menschlichen Grundbedürfnissen, die in der Mehrzahl jenseits des Rationalen angesiedelt sind. Und wir schließen uns persönlich der humanistischen Ansicht an, dass diese Grundbedürfnisse auch nicht in ihrer Gänze feststellbar, sondern durch stete Veränderung gezeichnet sind."

      „Nur das nicht Messbare lebt!“, setzte Felix plakativ nach und Mia rammte ihm als Rache dafür, sich doch das letzte Wort gegriffen zu haben, scherzhaft den Ellenbogen in die Seite. Sie verbeugten sich theatralisch und die Klasse applaudierte. Zhaoming Chiang erhob sich und klatschte ebenfalls.

      "Vielen herzlichen Dank, ich denke, das war ein gutes Schlusswort für den Vormittag, ich freue mich schon auf morgen, wenn wir diesen Vortrag kritisch zerlegen werden, und wünsche ihnen allen einen guten Tag und erst einmal einen guten Appetit."

      Damit entließ er die Klasse, die sich in dem schlafwandlerischen Schwarmverhalten, das der Jugend vorbehalten ist, in Richtung Tür bewegte. Selber wandte er sich aber noch einmal an die beiden Vortragenden.

      Der Raum aus dem frühen 20. Jahrhundert war nun leer und strahlte mit seinen blassgelben Wänden, seinen hohen Decken und den riesigen Fenstern im hellen Sommerlicht.

      Er wollte sie einladen, mit ihm gemeinsam zu Mittag zu essen. Er liebte diese Klasse und besonders diese beiden Schüler, daher wollte er sie mit einigen Hinweisen auf den morgigen Tag vorbereiten.

      Mia war ein aufgewecktes ehrgeiziges Mädchen und hatte wohl schon immer vorgehabt, hier zu landen. Felix dagegen hatte selbstvergessen in der Welt der Biosysteme gelebt, den Scouts war aber aufgefallen, dass er deutlich mehr in Frage stellte als seine Lernkameraden. Beide hatten, wohl schon zur Zeit der Funktionsschule, einen anderen, stark geerdeten Hintergrund. Eine Stabilität, die er bei anderen Schülern so nicht vorfand. Er wollte das besser verstehen oder vielmehr besser erfahren. Vieles, was er in Europa vorfand, erkannte er zwar mit dem Verstand, tat sich aber dann doch schwer, Vorurteile und Urteile voneinander zu trennen.

      Er traf Mia und Felix in der Cafeteria. Die beiden hatten sich bereits bedient und als er eintrat, saßen sie, die Köpfe zusammengesteckt, an einem Fenstertisch. Er hätte schwören können, dass sie ineinander verliebt waren, so turtelnd sahen sie aus, aber das ging ihn nichts an.

      Er stand mit seinem Salat an ihrem Tisch, räusperte sich. Sie sahen auf und strahlten ihn an. "Setzen Sie sich, Herr Professor", lud Mia ein, wir haben schon angefangen, tut mir leid.“

      "Das Essen hier sieht zwar hübsch aus, ich möchte aber lieber nicht wissen, was das tatsächlich ist", plapperte sie weiter, als er saß.

      "Was wollen Sie damit sagen?", fragte Zhaoming Chiang vorsichtig. "Mia meint, dass die Lebensmittel in der Europäischen Union eine Katastrophe sind", warf Felix ein.

      "Und ich habe recht!", schoss es von Mia zurück. "Die industrielle Produktion und der Sortenschutz sind ein Verbrechen. Komplette Landstriche sind verwüstet, um die empfindlichen Sorten zu schützen, die den maximalen Ertrag bieten. Bei uns in der Region gehört nahezu das komplette Land ESCO, Sie wissen schon, der Agrarkonzern, und es wird gnadenlos ausgebeutet. Da wohnt kein Vogel mehr und keine Biene. Meine Großmutter hat mir erzählt, in ihrer Jugend gab es überall am See Vögel.“

      Mia blickte auf und sah in die aufmerksamen Augen Zhaoming Chiangs. „Sie hat mir einmal Bilder gezeigt, mit dem ganzen Himmel voller Vögel, das sah toll aus. Inzwischen gibt es nur noch in unserem Teil ein paar Vögel, der Rest ist Wüste.“

      "Wo kommen Sie denn her, wenn ich fragen darf?" Zhaoming Chiang richtete sich mit seinem Tablett ein und suchte das Salz.

      "Vom Wiener See, meine Eltern arbeiten dort auf einer Farm. Bioprodukte.“

      "Die besten Früchte Europas, das kann ich versichern", Felix schmatzte. „Das ist eigentlich schon afrikanisches Essen.“

      Zhaoming Chiang glaubte zu bemerken, wie Mia Felix unter dem Tisch trat.

      "Ich habe dort schon als Kind immer geholfen, fuhr Mia Felix ins Wort. Die Funktionsschule war bei uns Nebensache. Außer Sport, Musik und Gesellschaftskunde konnten wir alle Fächer machen, wie wir wollten, wir mussten halt die Tests bestehen, aber das war leicht. Ich war immer so schnell wie möglich fertig. Um mithelfen zu können. Irgendetwas machen, es war wie Abenteuerspielen.“ Versonnen setzte sie nach: „Ich glaube dabei ist mein Interesse für die Philosophieschule entstanden, wir hatten da echt interessante Leute aus aller Welt."

      Zhaoming Chiang horchte auf, sagte aber nichts, sondern begann seinen Salat zu essen. "Der hier ist vermutlich wirklich nicht von ihrer Bio-Plantage", merkte er nur an. Der Salat war in jeder Hinsicht verwechselbar mit dem Salat jeder beliebigen Cafeteria in Europa oder auch in Amerika. Nach einigem Kauen fuhr er fort:

      "Ich kannte einmal einen Afrikaner, der sich später, glaube ich, für eine Bio-Plantage am Wiener See engagiert hat. Wir waren zusammen im Integrationskurs. Später habe ich ihn einmal zufällig wieder getroffen, da hat er von der Farm erzählt.“

      „Oh“, kam es von Mia, und dem ‚Oh‘ folgte ein betretenes Schweigen.

      „Habe ich etwas falsches gesagt?“

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