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ob des Ernstes dieses Vorhabens. Ist es nur eine jungenhafte Abenteueridee? Wie will er sich denn in Kanada durchschlagen? Was will er dort überhaupt machen? Hat er denn wirklich die innere Stärke, allein in der Fremde, über 10.000 Kilometer entfernt von zu Hause, mit sich und den Umständen zurecht zu kommen? War er doch noch ein gutes Jahr zuvor eher ein „Schwätzer“, der fast bei jeder Gelegenheit glaubte, seinen Senf dazu geben zu müssen. Dabei beruhten seine Kommentare in den seltensten Fällen auf eigenen Erlebnissen oder Lebenserfahrungen.

      August 2006. Die Familie von Julian trifft sich in ihrem Münchner Schrebergarten. Der Onkel, der ihm besonders zugetan ist, ist ebenfalls anwesend. Der junge Mann von mittlerweile über 21 Jahren will tatsächlich Ernst machen mit seinem Kanada-Vorhaben. In drei Tagen ist Abreise. So gesehen hat das Treffen im Garten den Charakter eines offiziellen Abschiedsrituals innerhalb der Familie. Julian will wirklich nach Kanada gehen und sich dort durch Arbeit finanziell eigenständig über Wasser halten. Dieses Ziel hat er sich zumindest gesteckt. Vancouver soll seine erste Station sein und er hat auch schon eine konkrete, aber ziemlich lockere Organisation gefunden, die ihm bei einer Arbeitsvermittlung und bei der ersten Quartiersuche in Kanada helfen wird.{5} Alle wünschen Julian Glück für seine mutige Reise allein. Doch lassen wir nun Julian im folgenden Frage-Antwort-Dialog mit seinem Onkel knapp vier Jahre später selbst zu Wort kommen.

       (b) Das Interview

      1.

      Was hat Dich eigentlich dazu bewogen, nach Ende Deines Zivildienstes ausgerechnet nach Kanada zu gehen? Wie ist diese Idee überhaupt entstanden? Wann ist dieser Gedanke zum ersten Mal aufgetaucht? Warum überhaupt wolltest Du so weit weg gehen?

      Mich hat Sebastian, ein Cliquenmitglied, dazu inspiriert. Irgendwie war er für mich ein Vorbild, weil er nach Ende der Hauptschule und dem Abschluss seiner Lehre für ein Jahr ganz allein nach Australien ging. Er war das Nesthäkchen, sein Bruder verdiente längst viel Geld bei einer Versicherung. Ihm als dem Jüngsten wurde nichts zugetraut. Darum wollte er sich und seiner Familie beweisen, dass er auch alleine in die weite Welt gehen könne.

      Er hat sich wirklich etwas zugetraut und dies habe ich an ihm bewundert. Er gibt nie klein bei und macht immer sein eigenes Ding. Als er von Australien zurückkehrte, war er ein anderer Mensch: Er war viel reifer, selbständiger und erwachsener geworden. Dies wollte ich für mich ebenfalls erreichen.

      Da Sebastian in Australien war, ging ich ans andere Ende der Welt, nach Kanada eben, um ihm nicht einfach alles nachzumachen. Ich wollte ein ganz eigenes Abenteuer erleben. Ich hatte ja schon einen Bezug zu Amerika, weil ich mit meinen Eltern einen Teil meiner Kindheit in den USA verbracht hatte – vom zweiten bis zum fünften Lebensjahr. Ich wollte aber nicht wieder in die USA und zwar aus politischen Gründen. Die damalige Busch-Regierung ging mir gehörig auf die Nerven.

      Während meiner Zivildienstzeit ist der Gedanke einer Kanada-Fahrt zum ersten Mal aufgetaucht und hat dann immer konkretere Gestalt angenommen, je mehr mir Sebastian von seiner Reise erzählt hat. Ich wollte deshalb so weit von zu Hause weggehen, damit die Abgrenzung von meinen Eltern klar war. Ich wollte mich sozusagen daran hindern, bei der ersten Krise gleich wieder zu Mama und Papa heimzufahren. Wenn man das Schwimmen wirklich lernen will, darf man nicht in ein Babybecken springen, in dem man ja stehen könnte.

      2.

      Hast Du während Deiner Reisevorbereitung auch Angst oder zumindest ein mulmiges Gefühl vor diesem Schritt bekommen? Oder hat die Abenteuerlust immer überwogen? Gab es eine Krise vorher, in der Du vielleicht Dein ganzes Unternehmen in Frage gestellt hast? Wurdest Du von Deinen Eltern dabei bestärkt? Wer hat Dich am meisten unterstützt?

      Ein Abenteuer war die Reise nicht – zumindest nicht in erster Linie. Es ging darum, mir selbst etwas zu beweisen. Ich hatte nie Zweifel, dass die Reise schief gehen könnte.

      Ja, es gab Ängste, aber nicht speziell wegen der Reise. Obwohl ich doch eigentlich nicht schüchtern wirke, hatte ich Angst davor, auf fremde Leute zuzugehen. Dies ist auch heute immer noch mit einer gewissen Hemmung verbunden. Aber dies müsste nicht sein. Man steht sich eigentlich nur selbst im Wege, wenn man sich den Luxus solcher Hemmungen leistet. So eine Sozialphobie hat keinen Nutzen für das Dasein, sie ist eine unnötige Barriere.

      Diese Angst vor dem Kontakt mit Leuten kam jetzt aber mehr hoch, denn ich musste ja bei der Fahrt ohne meine sonst gewohnten Beziehungen leben. Beispielsweise hätte ich damals sogar in München eine Scheu davor gehabt, einfach ein mir unbekanntes Mädl anzusprechen. Ich hatte aber keine Angst, dass etwas bei der Reise an sich schief laufen könnte.

      Eine wirkliche Krise gab es somit nicht vor der Reise. Ursprünglich sollte ja noch ein Kumpel mitfahren, die ersten Pläne schmiedete ich jedenfalls mit ihm. Wir hätten dann wohl die ganze Zeit in Kanada nur gesoffen. Bereits nach kurzer Zeit der Vorbereitung sprang der Freund wieder ab. Da hatte ich aber schon zu viel Feuer gefangen, so dass ich die Reise jetzt auch alleine durchziehen wollte. Es war viel besser so, dass ich nun ganz alleine fahren musste.

      3.

      Eine solche Reise setzt aber ein großes Urvertrauen voraus. Warst Du Dir denn darüber bewusst?

      Durch ein Fernsehinterview mit dem Starkoch Alfons Schubeck hörte ich von ihm einen wichtigen Satz, der sinngemäß so lautete: „Zweifel bringen Dir gar nichts. Vor allem, wenn Du an Dir selbst zweifelst. Mit Zweifeln musst Du umgehen lernen oder sie am besten gleich ganz eliminieren!“

      Meine Eltern haben mich von Anfang an voll unterstützt und die geplante Reise für gut befunden, obwohl sie sicher sehr gemischte Gefühle hatten. Mein Vater hat ja so etwas während seines Studiums auch gemacht; er bekam ein Stipendium und verbrachte 15 Monate in den USA.

      4.

      Du warst bis dahin stark in Deine Clique eingebunden und hast mit ihr fast jedes Wochenende verbracht. Wie haben die anderen Gruppenmitglieder dies aufgenommen, als Du ihnen zum ersten Mal von Deinen Reiseplänen erzählt hast? Welche Reaktionen hast Du von ihnen bekommen? Welche Meinungen haben Dich bestärkt, welche eher geschwächt? Warst Du der einzige in Deiner Clique, der für eine längere Zeit ins Ausland ging? Hattest Du ein Vorbild in der Gruppe, an dem Du Dich bei Deinem Vorhaben orientieren konntest?

      Das Cliquenmitglied Sebastian hat mich sehr unterstützt; er hat gemeint, dass solch eine Fahrt gut zu meiner Persönlichkeit passen würde. Die übrigen Gruppenmitglieder haben mein Vorhaben ebenfalls alle für gut geheißen. Es wurde aber im Grunde als etwas Normales betrachtet. Noch ein weiterer Kumpel war mittlerweile schon ins Ausland gegangen. Niemand hat mich in meinen Plänen geschwächt.

      Eine Organisation („stepin“){6} hat den Papierkram für mich erledigt. Da es mir aber bei der ganzen Reise um Autonomie ging, wollte ich mich nicht zu fest an eine Instanz binden. Der einzige Vorteil der Organisation war, dass ich durch sie immer wieder einen guten Internetzugang hatte und dass sie ein Briefkasten für mich war.

      5.

      War es schwer für Dich, Deine Clique zu verlassen? Hattest Du mit Deinen Cliquenmitgliedern Kontakt, während Du in Kanada warst? War es schwierig für Dich, einmal außerhalb Deiner Familie zu sein? Denn bis dahin hattest Du es ja wirklich bequem; alles wurde Dir vor allem von Deiner Mutter abgenommen.

      Ja, zunächst war es schon schwer, außerhalb meiner Clique zu sein. Aber dann war ich in Kanada sofort mit vielen neuen Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert. So hatte ich überhaupt keine Zeit, meiner Clique nachzutrauern. Ich hatte aber durchaus eine gelegentliche Chat-Community mit meinen Freunden in dem Internetforum „Lokalisten“ - etwa einmal pro Woche.

      Von der Familie wegzugehen war insofern schwieriger, als ich einfach einen gewissen Luxus gewohnt war bei meinen Eltern. An den mangelnden Komfort bei meiner Kanada-Reise konnte ich mich nie so ganz gewöhnen. Da ich die ersten Wochen nur aus meinem Rucksack leben musste, konnte ich mich nicht so kleiden, wie ich eigentlich wollte. Ich kam etwas heruntergekommen daher, was ein bisschen an meinem Selbstwertgefühl nagte. Dies störte mich, aber ich kam damit schließlich doch

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