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auf dem Friedhof gehört habe, kommt mir wieder in den Sinn: „Sei gewarnt, Hexenkind, wenn eine Seele ins Leben zurückkehrt, tut sie das nicht, ohne etwas aus dem Limbus mit hinüberzunehmen“. Nur ich konnte sie hören, Chris nicht. Sprach sie von den Schattenwesen, die ich nun überall lauern sehe? Ist es das, was ich aus dem Limbus mitgenommen habe?

      Wieder schüttle ich mit dem Kopf. Diese ganze Grübelei führt zu nichts. Ich könnte natürlich Kitty fragen, was sie davon hält, dass ich nun überall diese Schatten sehe. Sie ist immerhin ein Medium, vielleicht sieht sie sie ebenfalls. Doch es gibt im Moment Wichtigeres, um das wir uns kümmern müssen. Es reicht schon, dass sie und Naomi uns bei der Suche nach meiner Mutter unterstützen, ich will sie nun nicht mit diesen Schattenkreaturen beunruhigen. Außerdem bin ich nicht die einzige, für die sich etwas verändert hat, seitdem wir von den Toten auferstanden sind!

      „Was hat Bianca eigentlich gesagt?“, frage ich an Chris gewandt und drehe mich im Sitz weiter in seine Richtung.

      Seine Hände umklammern das Lenkrad noch ein wenig fester, sein Blick bleibt weiterhin starr auf die Straße gerichtet. „Bei ihr ist alles in Ordnung. Ihre Verwandlung ist wie gehabt, keine Veränderungen.“

      „Das… Das ist doch gut, oder?“

      Er presst die Lippen aufeinander und ich sehe schon wieder diese tiefe Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen. „Einerseits ja. Andererseits frage ich mich, was ich getan haben soll, um diese Bestrafung zu verdienen.“

      Jede mögliche Antwort bleibt mir im Halse stecken. Er sieht es als Bestrafung an, dass er nun wieder Pfoten hat, sobald er sich verwandelt. Was, wenn es wirklich eine Strafe ist? Ich sehe diese Schatten und er wird einen Schritt in seiner Mannwolfentwicklung zurückgeschleudert. Ist das die Strafe dafür, dass wir den Tod überlistet haben?

      Ein seltsames Zischen unterbricht meine Gedanken und ich drehe mich zu seinem Ursprung nach hinten um. Zwischen Naomi und Kitty erscheint schwarzer Nebel, der die Gestalt eines großgewachsenen, halbnackten Mannes mit Ziegenbart annimmt. Der Dschinn!

      Naomi kreischt und weicht zur Seite, Kitty jedoch bleibt kühl und gelassen, besieht sich den riesigen Dschinn von oben bis unten. Chris blickt in den Rückspiegel und vor Schreck reißt er kurz am Lenkrad, sodass der gesamte Bulli ins Ruckeln kommt. Dann flucht er und bringt ihn wieder sicher in die Spur.

      „Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Meisterin.“

      „Du hast ihn mitgenommen?“, unterbricht Chris die dunkle Stimme des Dschinns und blickt finster zu mir herüber.

      „Nein! Ich habe die Lampe im Haus gelassen! Ich weiß auch nicht, warum er jetzt hier ist“, verteidige ich mich und gebe den finsteren Blick an den Dschinn weiter. „Was willst du hier?“

      „Du hast einen Dschinn?“, will Naomi nun wissen. Sie presst sich gegen die Schiebetür, um so viel Abstand wie nur eben möglich zwischen sich und den Dschinn zu bringen. „Davon hattest du gar nicht erzählt!“

      „Sie hat ihn wohl vergessen, sie hat nämlich den ganzen Morgen noch nicht an ihn gedacht!“, meldet Kitty sich jetzt zu Wort und sieht den Dschinn an, als widere seine mattschwarze Erscheinung sie an.

      Der Dschinn räuspert sich. „Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Meisterin“, wiederholt er seine Worte. „Du hast noch zwei Wünsche frei. Wünsche dir deine Mutter zurück und dass dein Gefährte seine Pfötchen loswird. Dann wären all deine Probleme gelöst und du wärst mich los.“

      „Auf keinen Fall!“, zische ich wütend nach hinten. „Wie kommst du überhaupt hierher? Deine Lampe ist noch immer im Haus. Was willst du hier?“

      Er kreuzt die muskulösen Arme vor der massiven Brust und verzieht einen Mundwinkel spöttisch nach oben. „Meisterin, du brauchst die Lampe nicht mit dir herumzuschleppen, um mich in deiner Nähe zu wissen. Wir sind aneinander gebunden, bis du all deine Wünsche ausgesprochen hast. Wo immer du hingehst, dort werde ich auch sein. Und meine Lampe ist nicht mehr in eurem Haus, sondern in eurem Koffer.“

      „Du hast dir schon was gewünscht?“, fragt Naomi.

      Ich versuche den vorwurfsvollen Ton in ihrer Stimme und die Enttäuschung in ihrem Blick zu ignorieren. „Es ging nicht anders“, gebe ich zu und seufze. „Das ist eine lange Geschichte, aber glaube mir, ich hätte es nicht getan, wenn es einen anderen Ausweg gegeben hätte.“

      „Nenne mir deinen nächsten Wunsch“, fordert der Dschinn mich auf.

      „Nein! Verschwinde in deiner Lampe und lass uns in Ruhe. Ich rufe dich schon, wenn ich dich brauchen sollte!“

      Langsam schüttelt er mit dem Kopf. „So funktioniert das nicht.“

      Ich rolle mit den Augen. „Ich habe jetzt noch keinen Wunsch, also lass mich in Ruhe!“

      Die Augen des Dschinns werden zu schmalen Schlitzen und ein dämonisches Grollen kommt aus seiner Kehle, das sich in ein immer lauter werdendes Donnern verwandelt. Seine Konturen verschwimmen, er löst sich in Nebel auf, der den ganzen Innenraum des Wagens einnimmt, bevor ein lauter Knall ertönt und er endlich verschwindet.

      „Scheiße, was war das denn?“ Naomis Stimme zittert. „Das ist aber kein netter Dschinn.“

      „Dschinns sind niemals nett“, sagt Kitty und wedelt mit der Hand vor ihrem Gesicht, als wäre dort immer noch der schwarze Nebel, der uns die Luft zum Atmen nimmt. „Aber dieser hier ist wirklich extrem unsympathisch.“

      Langsam drehe ich mich wieder nach vorne um. Chris sieht verstimmt aus. Mit zusammengepressten Lippen lenkt er schweigend den Wagen über die Landstraße Richtung Autobahn. „Es tut mir leid“, sage ich in dem kläglichen Versuch mit diesen vier Worten wieder alles zu bereinigen, auch wenn ich weiß, dass dadurch der Dschinn nicht für immer verschwindet und Chris auch nicht die Pfoten bei der Verwandlung wieder loswird.

      Er nickt, ohne den Blick von der Straße zu nehmen und greift nach meiner Hand, die in meinem Schoß liegt. Er drückt sie an seine Lippen und gibt einen Kuss auf meine Fingerknöchel.

      „Ich überlege mir was, versprochen. Irgendwie werde ich diesen verfluchten Dschinn wohl wieder los, ohne schlimme Konsequenzen. Und was deine Verwandlung betrifft…“, sage ich und drücke seine Hand. „Wir werden der Sache auf den Grund gehen, Chris. Koste es, was es wolle. Und wenn ich zum obersten Exorzisten persönlich gehen muss, um das zu regeln, dann mach ich das!“

      „Ich weiß“, murmelt Chris und schenkt mir ein halbherziges Lächeln. „Konzentrieren wir uns jetzt lieber auf deine Mutter und was mit ihr geschehen sein könnte, in Ordnung?“

      Ich lächle zurück und nicke, doch auch mein Lächeln ist kein ehrliches. Mit Naomi und Kitty im Nacken mag ich ihn nicht zu einem offenen Gespräch drängen, obwohl es genau das ist, was wir nun bitternötig hätten. Es ist offensichtlich, dass es ihn sehr beschäftigt, dass er bei seiner Verwandlung wieder Pfoten hatte. All die Dämonen, die er und seine Vorfahren getötet haben, haben ihn zu dem Mannwolf gemacht, der er bislang noch war. Er war immer so stolz darauf, wie weit die Belger-Wölfe schon waren und wie wenig sie noch einem echten Werwolf ähnelten. Wenn er den Rückschritt nun als Bestrafung ansieht, was glaubt er dann, was sein Vergehen war? Zu Sterben und wieder aufzuerstehen? Oder denkt er, dass er dafür bestraft wird, mit einer halbdunklen Hexe zusammen zu sein?

      „Wir fahren nun also erst zu Elvira, habe ich das richtig verstanden?“, unterbricht Kitty meine Gedanken und tippt mir dabei auf die Schulter.

      Ich räuspere mich und schiebe das ungute Gefühl in meiner Brust beiseite. „Ja, genau. Wir fragen bei Elvira nach, was genau geschehen ist, bevor Mama verschwand. Vielleicht erreiche ich auch mit meinem Pendel vor Ort genauere Ergebnisse. Naomi kann dort auch nochmal die Karten legen und du könntest deine Fühler ausstrecken und sehen, ob du noch irgendwelche Hinweise bekommen kannst.“

      „Wir haben echt nicht viele Hinweise“, sagt Naomi, die sich offenbar von dem Schock, einen Dschinn neben sich sitzen zu haben, erholt hat. „Wenn die Karten bei Elvira wieder nichts Brauchbares liefern, haben wir beinahe nichts.“

      Kitty

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