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Neues zu Erntedank und Weihnachtszeit. Michael Voigt
Читать онлайн.Название Neues zu Erntedank und Weihnachtszeit
Год выпуска 0
isbn 9783752912432
Автор произведения Michael Voigt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Moderatorin: Aber bitteschön was soll sich denn an einem Erntedankfest ändern? Seit Jahrhunderten freuen sich Menschen über die gute Ernte und danken Gott dafür.
Theo Loge: Sehen Sie, so ähnlich dachten die Menschen noch vor 100 Jahren auch, wenn es um die Ernte ging. Keiner konnte damals ahnen, dass es einmal Mähdrescher geben würde. Inzwischen fahren diese Maschinen sogar allein über das Feld, nur noch über GPS-Daten gesteuert. Alles ändert sich, auch in der Landwirtschaft!
Moderatorin: Ja gut, das ist eben der technische Fortschritt. Aber warum sollte sich am Danken selbst etwas ändern?
Theo Loge: Sehen Sie, heute wird alles auch aus ökologisch-wirtschaftlicher Sicht betrachtet. So ein Erntedankgottesdienst wird daher bald völlig unzeitgemäß sein. Bedenken Sie nur den hohen Energieverbrauch, den eine solche Versammlung erzeugt: Strom, Heizgas und so weiter. Und man braucht oft irgendein Verkehrsmittel, um überhaupt hierher zu kommen…
Moderatorin: Und wie wird das Erntedankfest Ihrer Meinung nach künftig aussehen? Verzichten wir auf den Dank?
Theo Loge: Keinesfalls! Kolosser 2,7 fordert uns auf: Seid reichlich dankbar! Man wird das Problem daher vermutlich digital lösen.
Moderatorin: Digital?
Theo Loge: Natürlich! Die Gläubigen installieren künftig einfach eine Erntedank-App auf ihrem Smartphone. In Chatrooms, Foren und Sozialen Netzwerken können sie sich dann ja auch untereinander austauschen. Beispielsweise verabreden sich die Glieder einer Kirchgemeinde dann per WhatsApp zum gemeinsamen Singen des Liedes: „Nun danket alle Gott“…
Moderatorin: Ist das nicht ein bisschen zu unpersönlich?
Theo Loge: Da stimme ich Ihnen zu! Doch der Fortschritt macht auch vor den Kirchen nicht halt. Heute kann man in einigen Kirchen bereits online spenden. Da gibt es keinen Klingelbeutel mehr. Das ließe sich auch beim digitalen Erntedankfest gut umsetzen.
Moderatorin: Das ersetzt doch aber keinen Gottesdienst! Die Gemeinschaft der Gläubigen, die persönliche Begegnung, das erhebende Gefühl gemeinsamer Anbetung…
Theo Loge: Ich verstehe Sie ja. Mir gefällt das auch nicht so recht. Aber Sie werden sehen, bald brauchen wir zur Abwehr der Terrorgefahr eine Genehmigung für Gottesdienste. Da kann man sich auch gleich im Internet treffen. Das spart Kosten und erleichtert dem Staat auch die Überwachung!
Moderatorin: Aber so richtig mit Erntedank, den Gaben auf dem Tisch und dem Anblick so vieler leckerer Sachen hat das auch nichts mehr zu tun, oder?
Theo Loge: Leckere Sachen? Ich vermute, auch die Landwirte und Kleingärtner werden sich den neuen Gegebenheiten stellen müssen…
Moderatorin: Wie das?
Theo Loge: Sehen Sie, selbst der ökologische Anbau schädigt die Umwelt. Die Tierhaltung erzeugt Methan, die Pflanzenproduktion wiederum bewirkt jede Menge Feinstaub. Es wird daher nicht mehr lange dauern, da gibt es vielleicht eine Steuer auf Bio-Produkte.
Moderatorin: Malen Sie da nicht ein bisschen zu schwarz? Irgendwie müssen Lebensmittel ja angebaut werden!
Theo Loge: Nach Ansicht einiger Naturschützer ist es viel sinnvoller, Nahrung im Labor zu züchten. Die berühmte Tomate aus dem Reagenzglas also. In Form und Farbe optimiert! Dadurch wird die Natur geschont, und es gibt keine Verluste durch Schädlinge. So sagen es zumindest diese Umwelt-Leute…
Moderatorin: Aber ist dann ein Erntedankfest nicht sinnlos geworden? Wir würden uns dann nicht mehr auf Gott verlassen, treffen uns nur noch im Internet und essen Sachen aus dem Labor! Wofür dann noch danken?
Theo Loge: Das weiß ich auch nicht so richtig. Ich weiß nur, dass ich heute sehr dankbar bin!
Moderatorin: Wofür denn zum Beispiel?
Theo Loge: Ich bin dankbar, dass die von mir befürchteten Zustände noch keine Realität sind.
(Applaus-Schild)
Der Kaktus auf dem Erntedanktisch
Auf dem Erntedanktisch herrschte wieder einmal großes Gedränge. Sattgelbe Bananen, kräftig rote Kirschen, reife Tomaten und tiefgrüne Gurken tummelten sich neben prallen Pflaumen, prächtigen Weintrauben und imposanten Kartoffeln. Mittendrin in dem Durcheinander tummelte sich sogar ein knusprig braunes Brot. Auch ein dicker Kürbis war gekommen. Gemeinsam mit seiner Cousine, der Melone, saß er, erschöpft vom weiten Weg, ganz hinten auf dem Erntedanktisch und lehnte sich an eine Wand.
Alle waren sie gekommen, um Gott zu loben und für das gute Ernteergebnis zu danken. Der Herr hatte sie vor Frost, Hagelschlag und Sturm bewahrt. Er hatte zur rechten Zeit Sonne und Regen gesandt und Wühlmäuse, Schnecken, Stare sowie Insekten gerade einmal so viel naschen lassen, dass auch diese satt werden konnten.
Nun lagen, standen und saßen sie also da, die Früchte des Feldes, der Gärten und Haine. Sie freuten sich und übertrafen sich gegenseitig im Gotteslob.
Okay, ein bisschen Eitelkeit war auch dabei. Wer war der oder die Schönste? Und wen liebte Gott wohl am meisten?
Den schlanken, eleganten Spargel etwa, die zarten Getreidehalme oder doch eher die kleinen, knubbeligen Pilze?
Das feurige Orange der Möhren wetteiferte mit dem leuchtend gelben Mais um die Aufmerksamkeit des Schöpfers, während die kleinen Erdbeeren vor Verlegenheit erröteten und sich schüchtern hinter einem Korb voller Äpfel versteckten.
Auf diese Weise bemerkte zunächst niemand, dass sich soeben noch ein Gast einfand. Ein kleiner, grüner Kaktus stellte sich bescheiden an den Rand der Szenerie und wollte Gott ebenfalls loben. Er wäre vielleicht gar nicht weiter aufgefallen, hätte sich eine aufgeregt zappelnde Aubergine nicht zufällig an ihm gestochen.
„Iiihhh!“, kreischte die Aubergine erschrocken. Und weil sie aus Frankreich kam rief sie weiter: „Käßke sä!?“, was so viel bedeutet wie: „Was ist das denn!?“
„Ich bin ein Kaktus“, flüsterte der kleine, stachlige Geselle und nahm gleich eine noch grünere Farbe an. Denn wenn Kakteen erröten, werden sie tiefgrün.
Die anderen Früchte wurden jetzt ganz aufgeregt, denn einen echten Kaktus hatten die meisten von ihnen noch nie getroffen. Vorsichtig und neugierig zugleich beäugten sie den Neuankömmling. Jeder machte sich so seine Gedanken über den grünen Kameraden.
‚Ob er wohl besser schmeckt als wir?‘, fragten sich beispielsweise die Weintrauben. Doch wie sollte man so einen stachligen Kerl verletzungsfrei essen?
Äpfel und Birnen wiederum versuchten abzuschätzen, ob dieses komische Gewächs vielleicht eine ernsthafte Konkurrenz darstellte. Immerhin wollte ja jeder von ihnen bei Gott einen besonders guten Eindruck hinterlassen. Sie kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass dieser kleine Stacheltyp mit Sicherheit weit unterhalb ihrer Liga spielte.
Ein nachdenklicher Blumenkohl (er sah nicht umsonst aus wie ein Gehirn) fragte schließlich ganz unverblümt: „Und dich kann man essen? Wie machen die Menschen das, und wie schmeckst du eigentlich?“
Doch bevor der eingeschüchterte Kaktus antworten konnte, erklang von ganz hinten eine volltönende Stimme:
„Nein!“, rief die Melone. „Das ist doch nur ein gewöhnlicher Kaktus. Diese Typen stehen die ganze Zeit nur in der Gegend rum und stechen alle unvorsichtigen Leute. Eine echte Landplage!“