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      LUNATA

Im Schneesturm

      Im Schneesturm

      © 1856 Lew Tolstoi

      Originaltitel Metel

      Aus dem Russischen von August Scholz

      Umschlagbild: Rudolf Ferdinandovich Frentz

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

      1

      In der siebenten Abendstunde verließ ich, durch ein Glas Tee erwärmt, die Poststation. Ihr Name ist mir nicht mehr erinnerlich, ich weiß nur, daß sie irgendwo im Lande der Donischen Kosaken, in der Nähe von Nowotscherkask lag. Es war bereits dunkel, als ich, fest in meinen Pelz gehüllt, mich neben Aljoschka in den Schlitten setzte. Hinter dem Stationsgebäude schien die Luft mild und ruhig. Es fiel zwar kein Schnee, doch war der Himmel bedeckt und erschien im Vergleich mit der reinen, weißen Schneefläche, die sich vor uns ausbreitete, auffallend dunkel und niedrig.

      Kaum waren die schwarzen Gestalten der Windmühlen, von denen eine ihre mächtigen, unbeholfenen Flügel bewegte, hinter uns verschwunden, als ich bemerkte, daß der Weg beschwerlicher wurde und ganz mit Schnee verweht war. Der Wind begann mir heftiger in die linke Seite zu blasen, wehte die Schweife und Mähnen der Pferde auseinander und trieb eigensinnig den Schnee hoch, den die Schlittenkufen und die Hufe der Tiere aufwarfen. Das Schellengeläut war fast unhörbar, ein kalter Luftzug drang mir durch die Ärmelöffnung bis in den Rücken, und ich erinnerte mich des guten Rates, den der Stationsvorsteher mir gegeben hatte, lieber auf der Station zu übernachten, da ich leicht unterwegs einschneien und gezwungen sein könnte, die Nacht im Freien zuzubringen.

      »Werden wir uns nicht verirren?« fragte ich den Postillion. Da ich keine Antwort erhielt, faßte ich meine Frage deutlicher: »Was meinst du, Postillion, werden wir die nächste Station erreichen, werden wir uns nicht verirren?«

      »Gott mag's wissen!« antwortete er, ohne den Kopf nach mir umzuwenden. »Ein schlimmes Wetter, nichts vom Wege zu sehen. Ach du lieber Gott!«

      »Sag' also – hoffst du mich nach der Station zu bringen oder nicht?« erkundigte ich mich weiter. »Werden wir hinkommen?«

      »Wir sollten wohl hinkommen,« antwortete der Postillion und fügte noch irgend etwas hinzu, was ich bei dem heftigen Winde nicht verstand.

      Zum Umkehren hatte ich keine Lust. Aber auch die Aussicht, die ganze Nacht in Frost und Schneegestöber mitten in der öden Steppe zuzubringen, die diesen Teil des Kosakenlandes bildet, erschien mir durchaus nicht verlockend. Überdies hatte ich zu dem Postillion, obschon ich ihn im Finstern nicht genau gesehen hatte, aus irgendeinem Grunde nur geringes Vertrauen. Er saß mitten auf dem Kutschbock und nicht, wie sonst die Kutscher, auf der Seite, war von gar zu mächtigem Wuchse, hatte etwas Träges in seiner Stimme und trug eine große, auf seinem Kopfe bald dahin, bald dorthin schwankende Mütze, die gar nicht nach einer Postillionsmütze aussah. Auch die Art, wie er die Pferde lenkte, gefiel mir nicht. Er hielt die Zügel in beiden Händen, wie ein Lakai, der hinter dem Kutscher auf dem Trittbrett steht. Ganz besonders aber mißtraute ich ihm darum, weil er ein Tuch um die Ohren gebunden hatte. Mit einem Worte: ich versprach mir nichts Gutes von diesem mürrischen, gekrümmten Rücken, der mir die Aussicht versperrte.

      »Nach meiner Ansicht wäre es besser, daß wir umkehren,« meinte Aljoschka.

      »Ach du lieber Gott! Da, wie es treibt: nicht die Spur sieht man vom Wege! Kaum daß man die Augen aufmachen kann ... Ach du lieber Gott!« ächzte der Postillion.

      Noch waren wir keine Viertelstunde gefahren, als der Postillion den Schlitten halten ließ, die Zügel Aljoschka übergab, ungeschickt die Beine vom Sitz streckte und, indem er mit seinen großen Stiefeln über den knirschenden Schnee hinschritt, den Weg zu suchen begann.

      »Was ist denn los? Wohin denn? Haben wir etwa schon den Weg verloren?« fragte ich. Aber der Postillion antwortete mir nicht, er wandte sein Gesicht von der Windseite ab und entfernte sich vom Schlitten.

      »Nun, hast du den Weg gefunden?« fragte ich, als er zurückkehrte.

      »Nichts zu sehen,« versetzte er in ärgerlichem, ungeduldigem Tone, als ob ich daran schuld sei, daß er vom Wege abgekommen war. Langsam streckte er seine großen Füße wieder unter das Schutzleder und begann mit den steifgefrorenen Handschuhen an den Zügeln herumzuklauben.

      »Was werden wir nun anfangen?« fragte ich, als der Schlitten sich wieder in Bewegung setzte.

      »Was sollen wir anfangen? Wir fahren weiter, wohin Gott uns führt.«

      Und so fuhren wir aufs Geratewohl in kurzem Trabe weiter, abwechselnd durch ellenhohen Schnee und über die spröde, nackte Eiskruste. Bald waren wir mitten im schönsten Schneetreiben: von unten überschüttete uns der Wind mit immer neuen, immer heftigeren Schneeschauern, während von oben ein feiner, trockner Schnee zu fallen begann.

      Wir fuhren wirklich, »wohin Gott uns führte«, denn nach kaum einer weiteren Viertelstunde kam uns kein einziger Werstpfahl mehr zu Gesichte.

      »Was meinst du?« fragte ich von neuem den Postillion, »werden wir die nächste Station erreichen?«

      »Welche Station? ... Zurück würden wir schon kommen, wenn wir die Pferde gehen ließen; zur nächsten Station aber kaum, da rennen wir nur ins Verderben.«

      »Nun, dann fahre also zurück,« sagte ich, »es ist schließlich besser ...«

      »Ich soll also umwenden?« fragte der Postillion.

      »Ja, ja, wende um.«

      Der Postillion ließ die Zügel locker. Ich bemerkte gar nichts davon, daß er umgekehrt war, nur daß die Pferde rascher gingen; auf einmal jedoch blies mir der Wind in die rechte Seite, und bald wurden auch durch den Schnee hindurch die Windmühlen wieder sichtbar. Der Postillion bekam auf einmal Mut und wurde gesprächig.

      »Neulich waren auch Reisende in den Schneesturm geraten,« begann er zu erzählen, »und da mußten sie in Heuschobern übernachten und kamen erst gegen Morgen an. Zum Glück waren sie noch auf die Heuschober gestoßen, sonst wären sie gar noch erfroren, so kalt war es. Auch so hat sich einer die Füße abgefroren und ist nach drei Wochen gestorben.«

      »Aber heute ist's nicht so kalt, und der Wind scheint sich zu legen,« versetzte ich. »Könnten wir nicht doch noch fahren?«

      »Kalt ist's nicht, aber es treibt ganz böse. Jetzt scheint es leicht, weil wir zurückfahren, aber draußen geht's wieder los. Fahren könnte man schon, wenn's zum Beispiel mit Kurierpferden wäre, dann müßte es eben sein. Aber so steht's uns doch frei. Ist's etwa eine Kleinigkeit, den Fahrgast erfrieren zu lassen? Wie soll ich mich denn verantworten, wenn ich Euer Gnaden ins Grab bringe?«

      In diesem Augenblick hörten

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