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Ein Mann will nach oben. Ханс Фаллада
Читать онлайн.Название Ein Mann will nach oben
Год выпуска 0
isbn 9783753126357
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Det is achtbar! – Det is nich schlecht! – Zwölf Mark sechzig – det hat unsereener die ganze Woche nur! – Na, aba die Bahnfahrt jeht ab! – Wat denn, die Bahn ist doch nich teuer!« So ging es hin und her im Abteil.
»Ick frage mir nur«, ließ sich Rieke Busch wieder vernehmen, »wenn Se uff Kundschaft jehn, wollen Sie ja doch 'nen juten Eindruck machen, wat?«
»Selbstredend!«
»Ick frage mir nur, warum Se sich da so 'ne olle Kluft anpellen? In der Jacke da haben Se direkt een Loch! Det ist wohl vom Pfiffikus? Bei zwölf Mark den Tag müssen Se doch Klamotten haben wie Jraf Kooks!«
»Aber, meine Dame«, sagte der Jüngling und fiel vor lauter Patzigkeit in das schönste Berlinisch, »Sie haben sich bei det Wetta ooch nich jrade fein injepuppt! Denken Sie, ick lasse mir mein bestet Zeug einweechen?«
»Da haben Se recht!« rief Rieke Busch. »Und weil's so naß is, haben Se Schuhe mit Wasserlöcher anjezogen, det et nich so lange dauert, bis de Füße naß werden, wat?«
»Mit Ihnen spreche ich überhaupt nicht«, sagte der Jüngling wieder sehr fein. »Ich spreche nur mit dem Herrn. – Ich würde Sie anlernen«, sagte er überredend, »es ist ganz leicht, der Artikel geht reißend. Ich will sowieso mehrere Untervertreter anstellen. Ich lasse Ihnen den Pfiffikus mit neunzig Pfennig, wenn Sie fünfzig Stück abnehmen, Verkaufspreis ist eine Mark. Da ist überhaupt kein Risiko dabei!«
»Nein, danke wirklich!«
»Und Sie kost' er achtzig!« rief Rieke Busch wieder. »Det is een Jeschäft ohne Risiko, det jloob ick – aber für Sie! – Nee, Karl, laß man. Uff so 'ne mußte nie hören. Wenn schon eener und erzählt dir, du kannst zwölf Mark am Tag vadienen, und ohne Arbeet, und sieht aus, als hätte sein Magen seit sieben Wochen keene Schrippe nich jesehen – denn sag bloß: hau ab, dir kenn ick!«
»Na, erlauben Sie mal, meine Dame! Ich kann Ihnen beweisen –«
»Det können Se mir aba nich beweisen, det det Loch in Ihre Jacke keen Loch is und det Ihre Schuhe keen Wassa ziehen. Und det jenügt mir! – Nee, Karl, wir reden erst mal mit Vata'n. Wenn Vata seinen hellen Tag hat, is es ooch helle. Bloß, mir schwant, er ist mal wieda blau!«
6. Ankunft in der Wiesenstraße
Es war schon dunkle Nacht gewesen, als der Zug im Stettiner Bahnhof einlief. Mit unglaublicher Zungenfertigkeit hatte Rieke Busch einem Dienstmann, der Feierabend machen wollte, seine Karre abgeschwatzt. Das alte Gesicht unter der roten Mütze wurde immer verwirrter, dann stets vergnügter. »Na, Männecken, Sie sind doch ooch müde?« hatte Rieke gefragt und ihre Hand ganz sachte neben die altersfleckige, ausgemergelte Hand auf den einen Holm des Handwagens gelegt. »Wat wollen Se da mit de Karre nach Haus zuckeln? Alleene jeht sich det doch ville besser?«
»Du bringst mir die Karre ja nich wieda, du freche Kröte, du!« jammerte der alte Mann.
»Wo wohnen Se denn? In de Müllerstraße? Ooch 'ne feine Jejend! Und ick wohne in de Wiesenstraße – kennste de Wiesenstraße, Opa?«
»Det hab ick doch jleich jemorken, det du vom Wedding bist, du Aas du!« strahlte der Alte.
»Na, siehste«, lachte Rieke, »da weeßte schon, wie ick heiße! Aas heiße ick! Und wie heißt du, Opa?«
»Küraß heiß ich. Nummer siebenundachtzig. Müllerstraße, vergiß nicht!«
»Küraß –?« Rieke sprach den Namen wie Kieraß. »Kieraß, ick hab jedacht, so heeßen nur die Hunde. Na jut, Opa, det wer' ick schon nich verjessen, siebenundachtzig, Müllerstraße, Kieraß. – Schieb ab, Opa! Huste dir man sachte in den Schlaf!«
»So ein frechet Aas!« hatte der Alte wieder gesagt und war ganz gehorsam abgeschoben, ohne Rieke auch nur nach ihrem richtigen Namen zu fragen. Aas aus der Wiesenstraße schien ihm als Pfand für seinen Handwagen völlig zu genügen.
Vereint hatten Karl und Rieke nun die Körbe aufgeladen, die fast schlafende Tilda wurde so dazwischengestopft, daß sie nicht herunterfallen konnte, und nun waren die beiden losmarschiert. Karl zwischen den Holmen des Wagens, Rieke bald nachschiebend, bald neben ihm, um ihm den Weg zu zeigen. Ihre überlangen Röcke hatte sie mit einem Strick wulstartig um die Hüften gebunden. Die Gaslaternen flackerten in einem böigen Wind, stumm, verschlossen sahen die dunklen Häuser auf sie herab. Ab und zu wusch ein plötzlicher Schauer die Gesichter der Kinder. Wenn Karl Siebrecht daheim in der kleinen Stadt sich je seinen Einzug in die große Kaiserstadt Berlin ausgemalt hatte, dann nie so! Nie hatte er daran gedacht, vor einem Handwagen, Körbe ziehend, durch dunkle Straßen zu schieben, als einzige Freundin und Bekannte eine echte Berliner kesse Nummer, als einzige Aussicht eine Schlafstelle, die er mit einem Bäcker teilen sollte: »Janz ordentlich, der Junge! Säuft nich, arbeetet, nur schwach uff de Beene mit de Mächens, da fällt er zu leicht um«, hatte Rieke seinen Schlafgenossen charakterisiert. Vormittags noch daheim, von der Minna betreut, in den altvertrauten Wänden, zwischen den Möbeln, die sein ganzes Leben um ihn gewesen waren – ach, fühlte er nicht noch Rias frischen Kuss auf den Lippen? –, und nun ganz draußen, für immer draußen, und seine Lippen schmeckten nichts als den faden Regengeschmack, der doch nicht rein nach Regen wie da draußen schmeckte, sondern nach Rauch, nach Ruß ...
»Wie heißt diese Straße?« sagte er zu Rieke und sah fast scheu zu den dunklen Häusern hoch.
»Det is die Ackerstraße! Wenn wa die hoch sind, haben wa's nich mehr weit!«
»Ackerstraße? Wo ist denn hier ein Acker?« Er empfand wirklich schon Sehnsucht nach einem wirklichen Acker, über den der Herbstwind weht.
»Acker? Ach, du meenst Feld, wo se Kartoffeln druff bauen? Det jibt's hier nich. Det war valleicht mal früha. Wir wohnen ja ooch Wiesenstraße, aba Wiese is nich, dafür haben wa de Palme!«
»Die Palme? Was ist denn das? Ein botanischer Garten?«
»Mensch! De Palme, det weeßte nich? Det is de Herberje zur Heimat, die haben wir jrade vis-à-vis! Wo die Penna und die Stroma schlafen, wenn se sonst keene Bleibe haben! So wat haben wa, aba Wiese haben wa nich. Und Acker ooch nich. Na, laß man«, sagte sie fast tröstend. »Wenn wa imma Kartoffeln satt haben, broochen wa keen Acker nich!«
Sie schoben stumm weiter. In so vielen Fenstern brannte Licht, rötliches vom Gas, schwach gelbliches vom Petroleum, manchmal auch strahlend weißes elektrisches – hinter den Fenstern bewegten sich Schatten, auf der Straße glitten Schatten eilig vorüber, in der Eckdestille grölte und schrie es. Ein Schutzmann in Pickelhaube mit herabhängendem grauen Schnauzbart trat nahe an die Karre heran, musterte stumm die kleine Fuhre – unwillkürlich sagte Karl Siebrecht »guten Abend«, und der Schutzmann drehte sich wortlos um und ging weiter. Niemand wußte von Karl Siebrecht, keiner nahm Notiz von ihm, jeder hatte seinen Arbeitsplatz, sein Heim, etwas Verwandtes, selbst die kleine Rieke. Er nur schob alleine dahin, ohne Rieke wäre auch für ihn die Palme dagewesen, die Heimat der Heimatlosen. Ein beklemmendes Gefühl schnürte ihm die Kehle zusammen, noch nie, selbst damals nicht, als er am Bett des Vaters begriffen hatte, daß der Vater tot war, daß er nicht mehr atmete – noch nie hatte er sich so einsam und verlassen gefühlt. Dieses verfluchte sentimentale Lied kam ihm nun auch noch ins Gedächtnis: »Verlassen bin i«, mußte er summen, »wie der Stein auf der Straßen ...« Er fühlte die Steine, Hunderte, Tausende unter seinen Füßen, sie wuchsen ihm zur Seite zu himmelausschließenden Mauern empor, Steine, nur Steine, nichts Lebendiges mehr ... Und er allein darunter, etwas Lebendiges, etwas Atmendes, mit Blut in den Adern, mit einem Herzen, etwas Gefühl – und doch nur ein Stein unter Steinen, verlassen, wertlos. Niemand wußte von ihm, wie niemand von den Steinen wußte, über die sein Fuß eben gegangen war!
»Da links um de Ecke!« kommandierte Rieke Busch. »Rin in de Hussiten! Wie is dir denn, Karl? Du klapperst ja! Keene fünf Minuten, denn sind wa zu Hause, da koch ick dir wat Warmet!«
»Es ist nur, Rieke«, sagte der Junge, »es ist alles so viel, alle diese Häuser, und alles Stein, und keiner weiß von uns ...«