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machten das nicht, weil es etwas mit dem Sturm zu tun hatte, sondern weil es Mutter beruhigte.

      Um acht brach er über uns herein. Das Haus könnte ihm wohl standhalten, egal wie stark er am Dach zerren würde. Doch binnen Minuten befanden wir uns auch in Reichweite des Gewitters. Und Gewitter waren etwas viel Unheimlicheres als Wind oder Sturm. Ich sah, wie die Blitze in den Wald einschlugen und mir wurde himmelangst. Ich griff nach Mutters Händen, damit sie mit dem Räumen aufhörte, und klammerte mich daran fest.

      »Fürchtest du dich auch?«

      »Ich kann nicht«, sagte sie. Sie zog ihre Hände an sich und ging in der Küche auf und ab. Die Pupillen hielt es nicht lange auf einer Stelle des Raumes. Sie sprangen von einer zur nächsten. Das kannte ich von ihr. Dann fing es an, ihr schlechter zu gehen.

      »Mutter?«

      »Ich kann nicht!Ich kann nicht! Ich …« Sie sagte diesen Satz immer fort, bis sie bei der Tür war. Dort schrie sie: »ICH MUSS HIER RAUS!«, und schlug mit den Fäusten dagegen.

      »Bleib bei mir!«

      »Ich kann nicht!«, fauchte sie mich an und kam meinem Gesicht bedrohlich nahe. Plötzlich war das Gewitter egal und ich bemühte mich nur noch, nicht zu weinen, um ihr keinen Grund zu geben, böse auf mich, statt auf den Sturm zu sein.

      Sie versuchte den Schlüssel der Haustür zu drehen, da klammerte ich mich an ihren Rock und zerrte sie zurück.

      »Lass mich!«

      »Du musst bei mir bleiben.«

      Sie wurde feuerrot und schrie mir etwas entgegen, das ich nicht verstand.

      »Du kannst nicht raus«, flehte ich und hielt sie so fest, wie ich konnte. Aber sie schlug mit den Armen um sich, traf mich mit dem Ellenbogen an der Schläfe und riss die Haustür auf. Eine Böe ergriff die Küche und warf tosend alles von den Schränken. Sie zog die Halterungen der Vorhänge aus den Wänden. Es war so laut, dass es unmöglich wurde, auch nur ein Wort zu verstehen. Ich versuchte noch, etwas von Mutter zu fassen zu bekommen, aber ich griff ins Leere.

      Sie war bereits in den Sturm gelaufen.

      Als man mich am Abend oberhalb der Treppe fand, stand das halbe Haus verwüstet unter Wasser. Doch das interessierte niemanden. Die Leute aus dem Dorf versuchten herauszufinden, was mit uns geschehen war, aber ich sprach nicht. Nicht ein Wort. Egal, auf welche Weise sie es anstellten. Es ging nicht. Sobald ich den Mund aufgemacht hätte, wären sie wie die Geier über mich hergefallen und hätten jede Einzelheit aus mir herausgepresst. Auch als sie Mutter am darauffolgenden Tag in bemitleidenswertem Zustand fanden und in eine Anstalt brachten, blieb ich still. Sie lebte. Das reichte den Leuten aus dem Dorf, um mit den Fragen aufzuhören.

      Ich kann nicht sagen, wie es mir zu dieser Zeit ging. Was macht es auch für einen Unterschied, ob furchtbar ausreichte oder hundeelend es besser traf. Manchmal hält das Gedächtnis Erinnerungen einfach nicht exakt fest, wenn es sie nicht begreift. Ich kann nur mit Sicherheit sagen, dass es half, dass mich in der folgenden Zeit mein Onkel Karl zu sich nahm. Eigentlich war er nicht mein Onkel. Meine Großeltern hatten ihn kurz nach der Geburt aufgenommen und zwischen Mutter und ihm keinen Unterschied gemacht.

      Mutter fehlte seit Jahren der Kontakt zu Karl. Wahrscheinlich, weil die Großeltern ihm und nicht ihr, dem leiblichen Kind, das Haus vermacht hatten. Es war viel kleiner als das, in dem ich aufgewachsen war - neben der Küche nur zwei Zimmer, aber trotz alledem war bei Karl der Raum, den ich brauchte. Er redete oft mit mir, dann, wenn er über mein braunes Haar strich oder wenn ich ihm beim Kochen über die Schulter sah. Es war gut, ihn zu hören, weil er in der ersten Zeit nichts von sich gab, das einer Antwort bedurfte. Ich konnte mir wenig vorstellen, dass zwangloser, dass heilsamer war und ich weiß noch, wie ich nach einigen Tagen das erste Mal reden musste, weil ich es nicht mehr aushielt.

      »Wenn du noch öfter in der Gegend herum tapst, verpasst du die Hälfte der Nacht«, sagte er lächelnd an einem Freitagabend, als ich durch den Flur wollte.

      Es war halb elf und es trieb mich zum zweiten oder dritten Mal in die Küche, um etwas zu trinken. Karl sagte immer tapsen, weil meine Füße etwas nach innen gedreht waren und es manchmal unbeholfen aussah, wenn ich ging.

      »Ich kann nicht schlafen«, antwortete ich zögernd, weil ich nur zu gut Mutters Reaktion kannte, wenn ich nach meiner Zeit noch herumgeisterte.

      »Das hat meist einen Grund. Den sollten wir herausfinden, sonst klappt das mit dem Einschlafen selbst nach Mitternacht nicht«, sagte er auf eine Art, die mir fremd war, weil er so viel Ruhe ausstrahlte. Er ließ mich zu sich auf das Sofa. Als ich in den Kissen versank, merkte ich, dass er jung roch. Hätte ich ihn noch nie zuvor gesehen und an diesem Abend nur gerochen, ich hätte gewusst, dass er nicht älter als fünfundzwanzig sein konnte. Sonst wäre sein Duft viel herber und nicht so angenehm gewesen.

      »Na?«, fragte er. »Was geht dir durch den Kopf?«

      Ich merkte, wie mir mein Herzklopfen die Stimme nehmen wollte. Also ich platzte damit heraus, bevor es mir unmöglich wurde, darüber zu sprechen.

      »Ich will nicht, dass mir die Haare ausfallen!«

      »Warum sollen sie dir ausfallen?« Karl hatte nicht mit solch einer Antwort gerechnet. »Das passiert doch nur Männern und auch nur, wenn sie älter sind. Meistens zumindest.«

      »Und was ist mit Schneiders Erika?«, fragte ich.

      »Stimmt,« überlegte er. »Sie hat tatsächlich verflucht wenig Haare, aber bei Frauen geschieht das sehr selten.«

      »Ich weiß, warum sie ihnen ausfallen.«

      »Ach ja?«

      »Sie fallen bei denen aus, die Furchtbares getan haben. Sie bekommen den Kahlkopf zur Strafe.«

      »Wer sagt dir denn so etwas?«

      »Glaub' mir. Bei manchen dauerte es zwar einige Jahre, aber es passiert bei jedem, der es verdient.«

      »Wie kommst du darauf?« Er drückte mich an sich. »Und was ist, wenn ich dir verspreche, dass dem nicht so ist?«

      »Siehst du«, sagte ich, »mein Kopf erklärt mir die Welt auch schon auf eine fremde Weise; genau wie Mutters Kopf.«

      »Davor hast du Angst?«

      »Ich will nicht verrückt werden.«

      »Komm her.«

      Er hielt mich so lange fest und sagte mir so oft, dass mein Kopf völlig in Ordnung sei, bis ich es glaubte. Zumindest eine Zeit lang.

      *

      Am Sonnabend wusste ich nachmittags mit mir nichts anzufangen und saß im Garten auf einem der Steine, die das Rosenbeet umschlossen. Dem Tag ging es ebenso wie mir, er schleppte sich ohne Höhepunkt vor sich hin. Wenigstens hatte er an Sonne gedacht. In einem orangefarbenen Ton stand sie über dem Dorf und hängte allem lange Schatten an.

      Auf dem Weg lief eine Ameise. Sie krabbelte hektisch in eine Richtung, drehte dann wieder um und ging woanders hin, um wenig später ein ganz neues Ziel zu verfolgen. Eines vermochte sie wohl nicht – stehenzubleiben. Es machte keinen Sinn, nach einem System in ihren Bewegungen zu suchen, aber es musste eines geben. Irgendjemand sagte diesen kleinen Kerlchen, was sie zu tun hatten, anders passte das tägliche Tun von Tausenden ihrer Art nicht zueinander.

      Ich schreckte auf, bevor ich mir darüber weiter Gedanken machen konnte. Hinter mir schabte etwas. Karl hatte angefangen, den Weg zur Gartentür zu harken. Ich stand auf und versuchte, ihm zur Hand gehen, indem ich das Unkraut aus einem Beet zog.

      »Fräulein!«, sagte er in harschem Ton. »Was hast du bis eben gemacht?«

      »Ich hab vor mich hingeschaut«, antwortete ich und suchte nach einer Rechtfertigung. »Ich wusste doch nicht, dass wir heute etwas im Garten zu tun haben«, stammelte ich das zu Ende, was mir auf die Schnelle einfiel.

      »Gut, dann wirst du dich dort wieder auf den Stein setzen!«

      Ich hatte keine Ahnung, warum

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